# taz.de -- Rechte Gewalt stoppen: Wie viel Staat soll es sein?
       
       > Um rechte Gewalt zu stoppen, müssen wir über konkrete Maßnahmen sprechen.
       > Diese könnten auch für Linke unangenehm werden.
       
 (IMG) Bild: Den Kampf um die Köpfe kann kein Justizministerium und kein BKA gewinnen
       
       Nach Ereignissen wie dem Mord an CDU-Regierungspräsident Walter Lübcke, den
       Anschlägen von Halle und Hanau, aber auch den letzten Wahlen in
       Ostdeutschland gab es die weitverbreitete Forderung danach, eine Zäsur zu
       erkennen: Deutschlands Problem mit Nazis und rechtem Terror dürfe „endlich
       nicht mehr verharmlost“, „nicht länger geleugnet“ werden.
       
       Dieser Reflex kommt aus einer Zeit, in der es flächendeckende Verharmlosung
       und Verleugnung gab. Diese Zeit ist aber vorbei. Sie endete irgendwann
       zwischen dem Lübcke-Mord und dem Anschlag von Halle. Es gibt Ausnahmen,
       aber die Spitzen der konservativen Parteien und die großen Medien, ebenso
       Wirtschaftsverbände, Kirchen und Gewerkschaften erkennen heute klar an,
       dass es rechten Terror gibt und dass mit der AfD Rechtsextreme Macht
       bekommen haben. Die Frage ist, was daraus folgt.
       
       Der Appell, nicht länger zu verleugnen, hatte meist den Charakter einer
       moralischen Anrufung. Nur selten waren mit ihm konkrete Forderungen
       verbunden. Wenn doch, dann zielten sie auf die persönliche oder diskursive
       Ebene: Man möge „den eigenen Rassismus reflektieren“, „Betroffenen
       zuhören“, „Ängste ernst nehmen“, der AfD keinen Raum mehr geben. Man möge
       aufhören, „fremdenfeindlich“ zu sagen, wenn es sich um Rassismus handele.
       
       Das ist alles richtig. Aber es wird nicht ausreichen, um die rechte Gewalt
       zu stoppen. Wenn unbestritten ist, dass es lange übersehene, militante
       rechte Netzwerke gibt – wie sollen diese konkret unschädlich gemacht
       werden? Darüber wurde zu wenig geredet. Stattdessen wurden vage
       Bekenntnisformeln wiederholt. Erst in den letzten Tagen sind konkrete
       Vorschläge öffentlich diskutiert worden.
       
       ## Kampf um die Köpfe
       
       Eine Gruppe um den Jenaer Professor Matthias Quent und den Thüringer
       Verfassungsschutz-Chef Stephan Kramer etwa hat einen „Masterplan“
       vorgelegt. Sie wollen richtigerweise vor allem die Zivilgesellschaft
       stärken, um die Normalisierung extrem rechter Positionen in der
       Gesellschaft zurückzudrängen. Denn den Kampf um die Köpfe kann kein
       Justizministerium und kein BKA gewinnen, sondern nur die Freiwillige
       Feuerwehr, der SPD-Ortsverein, der Jugendclub, die Kirchengemeinde, der
       Kegelverein.
       
       Eine Antwort auf rechte Gewalt aus linken Kreisen lautet
       „antifaschistischer Selbstschutz“. Nicht erst nach Hanau gibt es, daran
       angelehnt, die Parole vom „migrantischen Selbstschutz“. Die Antifa hat ihre
       unbestreitbaren Verdienste im Kampf gegen Nazi-Strukturen. Aber gegen
       rechtsextreme SEKler, die 10.000 Schuss Munition beiseiteschaffen und dann
       hunderte Leichensäcke für zu ermordende Flüchtlingshelfer bestellen wollen,
       wird sie kaum etwas ausrichten.
       
       Einem Ausspruch des SPD-Europaministers Michael Roth folgend haben viele im
       politischen Betrieb die AfD zuletzt als „politischen Arm des
       Rechtsterrorismus“ bezeichnet. Wenn man das ernst meint – und dafür gibt es
       gute Gründe –, muss dieser Befund auch Folgen haben. SPD-Generalsekretär
       Lars Klingbeil hat verlangt, die Partei vom Verfassungsschutz beobachten zu
       lassen. Ein gangbarer Vorschlag. Aber er würde nichts daran ändern, dass
       die AfD weiter erhebliche staatliche Gelder für völkische Bildungs- und
       Öffentlichkeitsarbeit bekommt. Wie wäre das zu verhindern? Über das
       Parteienrecht? Gar mit einem juristisch überaus heiklen Verbot? Und: Ist
       der Verfassungsschutz, nach allem, was man von ihm weiß, überhaupt der
       richtige Akteur? Wenn nicht – wer dann?
       
       Nach Hanau gab es für Wortmeldungen wie diese auf Twitter viel Beifall:
       „Ich will keine Trauerbekundungen mehr. Ich will Verhaftungen.“ Wer wollte
       da widersprechen? Aber der implizite Ruf nach einem stärkeren Staat wirft
       Fragen auf, über die zu reden ist. Soll der Staat angesichts des rechten
       Terrors Dinge tun, die er bislang nicht getan hat – oder nicht tun durfte?
       
       Die [1][Innenminister] wollen den Nazis mit den Sicherheitsbehörden zu
       Leibe rücken. Was so viel heißt wie: Diese Behörden sollen mehr Befugnisse
       bekommen. Aktuell etwa soll das Verfassungsschutzgesetz geändert werden.
       Der VS soll verschlüsselte Chats auslesen dürfen. Das umstrittene
       Anti-Hatespeech-Gesetz wird gerade überarbeitet. Es dürften nicht die
       einzigen solcher Reformen bleiben. Doch wie verhält sich eine Linke dazu,
       wenn sie in Zukunft womöglich von einem AfD-Landesinnenminister gegen alle
       eingesetzt werden könnten, die ihm nicht passen?
       
       Viele sagen, Polizei und Verfassungsschutz seien zu sehr [2][von Rechten
       durchsetzt], ihnen sei ohnehin nicht mehr zu trauen. Es ist inständig zu
       hoffen, dass darüber noch nicht das letzte Wort gesprochen ist. Gleichwohl
       ist die Frage offen, wie man mit einem Fall wie kürzlich [3][in Hamm]
       umgehen soll: Da posierte ein Polizist, der Waffenscheine ausgibt, bei
       Facebook als germanischer Krieger und hielt auch am Arbeitsplatz nie mit
       seiner Gesinnung hinterm Berg. Er fiel erst auf, als er mit anderen konkret
       plante, Politiker und Muslime zu ermorden.
       
       Wie also sollen Rechtsextreme erkannt und aus dem Dienst entfernt werden?
       Denkbar wäre eine Regelabfrage beim Verfassungsschutz bei der Einstellung.
       Viele der später enttarnten Nazis im Polizeidienst hätte das allerdings
       nicht erfasst. Müsste die Eingreifschwelle des Staates also noch weiter
       abgesenkt werden?
       
       Einige Bundespolitiker wollen eine AfD-Mitgliedschaft für unvereinbar mit
       der Beschäftigung im öffentlichen Dienst erklären. An den Radikalenerlass
       in den 1970er Jahren haben viele Linke noch ungute Erinnerungen. Will man
       das trotzdem wiederholen? Oder ist die Situation vielleicht so, dass es
       dazu gar keine vernünftige Alternative mehr gibt?
       
       Antworten auf all diese Fragen werden der Zivilgesellschaft nicht leicht
       fallen. Umso wichtiger, dass die Diskussion anfängt.
       
       27 Feb 2020
       
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