# taz.de -- Osman Kavala wieder in Haft: Massenverhaftungen in der Türkei
       
       > Nach den Freisprüchen im Gezi-Prozess läuft in der Türkei die nächste
       > Verhaftungswelle. Es geht jetzt um den Putschversuch gegen Erdoğan 2016.
       
 (IMG) Bild: Ayşe Buğra (links), Ehefrau von Osman Kavala, auf dem Heimweg nach seiner erneuten Verhaftung
       
       ISTANBUL rtr/afp | In der Türkei gehen die Behörden mit Massenverhaftungen
       gegen mutmaßliche Gegner von Präsident Recep Tayyip Erdoğan vor. Die
       Staatsanwaltschaft habe fast 700 Haftbefehle unter anderem gegen Angehörige
       des Militärs und der Justiz erlassen, berichteten Staatsmedien am Dienstag.
       Sie sollen Anhänger der Bewegung des im US-Exil lebenden Predigers Fetullah
       Gülen sein. Erdoğan wirft seinem einstigen Mitstreiter vor, hinter dem
       Putschversuch im Juli 2016 zu stecken.
       
       Die Nachrichtenagentur Anadolu meldete, die Staatsanwaltschaft habe bei
       Ermittlungen gegen Angehörige der Luftwaffe die Festnahme von 157 Personen
       angeordnet, darunter 101 aktive Offiziere. Etwa 100 Menschen seien bereits
       festgenommen worden. In der Hauptstadt Ankara richtete sich das Vorgehen
       der Staatsanwaltschaft gegen Beschäftigte im Justizministerium. Hier seien
       71 Menschen festgenommen worden, meldete Anadolu. Weitere rund 467
       Haftbefehle seien im ganzen Land ergangen.
       
       Auch der türkische Unternehmer und Kulturmäzen Osman Kavala wurde am
       Dienstagabend nur wenige Stunden nach seinem [1][Freispruch im Prozess um
       die regierungskritischen Gezi-Proteste] erneut in Haft genommen.
       
       Die Staatsanwaltschaft in Istanbul hatte kurz nach dem Freispruch am
       Dienstagnachmittag einen neuen Haftbefehl gegen Kavala erlassen. Dieser
       Haftbefehl bezieht sich laut Anadolu auf den gescheiterten Putsch von 2016.
       
       Kavala war nach dem Freispruch am frühen Nachmittag durch ein Gericht in
       Silivri nahe Istanbul aus dem dortigen Hochsicherheitsgefängnis entlassen
       worden, wo er mehr als zwei Jahre in Untersuchungshaft verbracht hatte.
       Laut Anadolu wurde er von der Polizei für Gesundheitschecks in ein
       Krankenhaus gebracht und danach erneut formell in Haft genommen.
       
       „Wir sind bestürzt über die erneute Inhaftierung von Osman Kavala
       unmittelbar nach seinem Freispruch“, erklärte das Auswärtige Amt in Berlin
       über den Kurzbotschaftendienst Twitter. Das Ministerium forderte
       „schnellstmögliche Aufklärung“ zu den neuen Vorwürfen gegen den
       Unternehmer. Die Türkei müsse in dem Fall „alle rechtsstaatlichen
       Standards“ einhalten, zu denen sie sich verpflichtet habe.
       
       Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International nannte die erneute
       Inhaftierung „zynisch und ungeheuerlich“. Diese Justizentscheidung sehe
       nach „vorsätzlicher und kalkulierter Grausamkeit“ aus, erklärte die
       türkische Amnesty-Aktivistin Milena Buyum. Nach Ansicht der
       Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) zeigt die erneute
       Inhaftierung, dass sich die türkische Justiz unter „enger politischer
       Kontrolle“ befindet. Es handle sich um ein „rachsüchtiges und gesetzloses
       Vorgehen“, sagte die HRW-Vertreterin Emma Sinclair-Webb der
       Nachrichtenagentur AFP.
       
       In dem am Dienstag beendeten [2][Prozess] waren Kavala und acht andere
       Bürgerrechtsaktivisten wegen eines „Umsturzversuchs“ im Zusammenhang mit
       den Gezi-Protesten im Jahr 2013 in Istanbul angeklagt gewesen. Die Richter
       gelangten jedoch zu dem Schluss, dass es für diesen Vorwurf keine
       hinreichenden Belege gebe.
       
       Nach dem Freispruch brachen dutzende Unterstützer der Angeklagten im
       Gerichtssaal in Jubel aus. Das Auswärtige Amt in Berlin reagierte
       „erleichtert“ und betonte: „Eine mutige und unabhängige Zivilgesellschaft
       ist Voraussetzung für Pluralismus und Demokratie.“ Später machte sich dann
       unter vor dem Gefängnis in Silivri versammelten Unterstützern Kavalas nach
       der Nachricht von seiner erneuten Inhaftierung schockiertes Schweigen
       breit. Seine Ehefrau Ayşe Buğra war sichtlich bestürzt.
       
       Kavala ist durch seine Haft zu einem Symbol der zunehmenden Repression der
       Zivilgesellschaft durch die islamisch-konservative Regierung nach dem
       Putschversuch im Juli 2016 geworden. Erdoğan attackierte Kavala mehrfach
       persönlich und beschuldigte ihn, „Terrorismus zu finanzieren“.
       
       Am Mittwoch soll in Istanbul das Urteil in einem weiteren hochumstrittenen
       Strafprozess gegen Aktivisten ergehen. Angeklagt sind elf Menschenrechtler
       wegen „Unterstützung einer Terrororganisation“. Ihnen drohen bis zu 15
       Jahre Haft. Zu den Angeklagten gehören der Deutsche [3][Peter Steudtner],
       der Ehrenvorsitzende der türkischen Sektion von Amnesty International,
       Taner Kılıç, und die türkische Amnesty-Direktorin İdil Eser.
       
       19 Feb 2020
       
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