# taz.de -- Bauhaus-Künstler Johannes Itten: Gelebte und gelehrte Esoterik
       
       > Er gilt als Begründer der Farbtypenlehre und Anhänger einer rassistischen
       > Pseudoreligion. Eine Ausstellung in Bielefeld.
       
 (IMG) Bild: Johannes Itten, Häuserrhythmen II, 1917, Aquarell auf Papier
       
       Das Bauhausjahr 2019 hat trotz vieler Ausstellungen, Publikationen und zwei
       neu eröffneten Sammlungshäusern auch enttäuscht. So in der
       fortgeschriebenen Marginalisierung der künstlerischen Beiträge weiblicher
       Studierender am [1][Bauhaus], die zu Beginn sogar in der Überzahl waren.
       Ebenso in der, keiner weiterreichenden Revision für nötig erachteten,
       während der frühen Jahren in Weimar gelebten und gelehrten Esoterik, zu der
       auch Rassentheorie zählte.
       
       Während für die rückläufige Frauenquote Gründungsdirektor Walter Gropius
       verantwortlich zeichnete – der bereits 1920 die „scharfe Aussonderung, vor
       allem bei dem der Zahl nach zu stark vertretenen weiblichen Geschlecht“
       forderte und eine „Frauenklasse“, die Weberei, einrichtete – wird für den
       zweiten Aspekt gemeinhin der Schweizer Johannes Itten (1888–1967) in Haft
       genommen.
       
       Er war auf Empfehlung von Gropius’ Ehefrau Alma Mahler 1919 als einer der
       ersten Formmeister ans Bauhaus berufen worden und alternierend für fünf
       Werkstätten zuständig. Dort begründete er den für alle Studierenden
       obligatorischen Vorkurs, zeichnete aber auch für eine in Weimar gelebte und
       gelehrte sektiererische Esoterik verantwortlich, zu der eine Rassentheorie
       zählte.
       
       1923 schied Itten in persönlichem Konflikt mit Gropius aus. Der Vorkurs
       aber blieb ein Herzstück der Bauhauslehre, in der Folge von so
       unterschiedlichen Temperamenten wie László Moholy-Nagy, Josef Albers, Paul
       Klee und Wassily Kandinsky vertreten.
       
       ## Eugenisch-evolutionäre Ansichten
       
       Was umfasste nun die Lehre Ittens, nicht nur am Bauhaus – wie lassen sich
       aus heutiger Sicht eugenisch-evolutionäre Anteile bewerten? Aufschluss dazu
       gab im Herbst 2019 eine mit rund 400 Exponaten opulent bestückte Schau des
       Kunstmuseums Bern, die Anfang März bei ihrem Kooperationspartner, dem
       Hermann Stenner Kunstforum in Bielefeld, gerade noch eröffnen konnte.
       
       Nun ist auch sie geschlossen. Die Ausstellung legt einen Schwerpunkt auf
       Ittens als „Tagebücher“ bezeichnete Skizzenkonvolute, in denen er seine
       Lehrtätigkeit an diversen Institutionen theoretisch niederlegte,
       bearbeitete und revidierte, insofern er sie an die adressierten
       Studierenden und Fachdisziplinen anpasste.
       
       Der begleitende Katalog vermag jetzt nicht den gesamtästhetischen
       Augenschein der Ausstellung zu ersetzen, doch seine Texte, unter anderem
       von Christoph Wagner, Kunsthistoriker und Itten-Forscher an der Universität
       Regensburg, sowie Co-Kurator der Ausstellung, vermitteln profund den
       Erkenntnisstand.
       
       Wie wohl wenige künstlerisch und pädagogisch Tätige erweist sich Itten als
       permanent Suchender. Seine eigene Ausbildung umfasste abgebrochene
       Kunststudien in der Schweiz. 1912 aber machte er das
       Sekundarlehrer-Diplom der Universität Bern. Im Oktober 1913 brach er
       zu Fuß nach Stuttgart auf, um bei Adolf Hölzel zu studieren.
       
       ## Itten dynamisiert das Zeichnen
       
       Als Wegbereiter der Abstraktion vertrat Hölzel eine systematische
       Kompositionslehre, die sich über die Bildanalyse Grundkategorien
       künstlerischer Arbeit wie Fläche, Farbe, Raum und harmonische Proportion
       erschließen wollte. Hier beginnen Ittens Tagebücher, er schließt
       Freundschaften mit Oskar Schlemmer oder Ida Kerkovius, denen er am Bauhaus
       wiederbegegnen wird, und mit dem drei Jahre jüngeren Hermann Stenner, der,
       erst 23-jährig, bereits Ende 1914 an der Ostfront fällt. Itten übernimmt
       Stenners Atelier, betreut den Nachlass.
       
       Ende 1916 eröffnet er seine erste private Kunstschule in Wien, die sich
       schnell in der österreichischen Avantgarde verankert. In seinen Tagebüchern
       formuliert er nun künstlerische und theoretische Maximen, zu Rhythmus und
       Harmonik, Farbenlehre, Ausdrucksform oder Zeit-Raum-Bewegung. Er
       dynamisiert das Zeichnen, lässt seine Studierenden etwa Skizzen eines sich
       bewegenden Aktes als reine Hand-Arm-Bewegungen oder mit geschlossenen Augen
       ausführen: Wirkungsformen, Gefühlsstenogramme.
       
       Er erkennt unterschiedliche Künstlertypen in der Atmung – „rembrandtisch,
       giottonisch“ –, erweitert die Lehreinheiten um Gymnastik und Atemübungen.
       Itten will den Menschen aus der anerzogenen Form befreien, die erschreckend
       armselig sei, und sucht den Reichtum höchster Subjektivität. In Wien
       konfrontiert er seine Studierenden wie später am Bauhaus mit Spinnen oder
       der Distel: von ihr mussten sie sich stechen lassen, um das Schmerzhafte,
       Aggressive zu erspüren, ihre Form zu „erleben“ – die Synästhesie im Dienste
       künstlerischen Schaffens.
       
       Diese Überhöhung des Subjektiven mag Itten für Welterklärungslehren wie den
       multireligiösen Mazdaznan und sein Evolutionsmodell empfänglich gemacht
       haben, an dessen Spitze, vom Mineral- über das Pflanzen- und Tierreich, die
       „weiße arische Rasse“ stehe. Er trägt diese Idee ins Bauhaus, zeichnet für
       die erste Bauhausmappe 1921 das „Haus des weißen Mannes“: Ein prototypisch
       weißer Kubus, der aber jeglicher NS-Ästhetik so offen zuwiderläuft, dass er
       1937 in der Feme-Schau „Entartete Kunst“ gezeigt wird.
       
       ## Im Konflikt mit dem NS-Regime
       
       In weiteren Lehrtätigkeiten – seiner eigenen interdisziplinären Kunstschule
       ab 1925 in Berlin, zu deren Lehrenden japanische Tuschemaler oder die
       [2][Fotografin Lucia Moholy] gehörten, und parallel ab 1932, der Leitung
       der Fachschule für textile Flächenkunst in Krefeld – gerät Itten trotz
       seinem wohl nicht nur verbalen Opportunismus in Konflikt mit dem NS-Regime.
       
       31 seiner Werke werden aus deutschen Sammlungen entfernt. Seine Berliner
       Schule wird 1934, die Krefelder 1938 geschlossen. Diesem Widerspruch in
       Leben und Werk Johannes Ittens wird die Forschung weiter nachgehen müssen.
       
       Johannes Itten kehrte in die Schweiz zurück, übernahm 1938 die Leitung des
       heutigen Museums für Gestaltung Zürich sowie der Zürcher Hochschule der
       Künste (ZHdK genannt), 1943 außerdem die Fachschule der Zürcherischen
       Seidenindustriegesellschaft. An der Zürcher Hochschule ist der Vorkurs bis
       heute Bestandteil des Propädeutikums.
       
       Ab 1949 baute Itten die Sammlung außereuropäischer Kunst des [3][Museums
       Rietberg] auf, das 1952 eröffnete. Dafür soll er, so erzählt es Christoph
       Wagner, Devotionalien Lenins aus dessen Zürcher Zeit gegen chinesische
       Großplastiken aus Ostberliner Sammlungen getauscht und ihren Transport in
       die Schweiz persönlich kontrolliert haben.
       
       30 Mar 2020
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Bettina Maria Brosowsky
       
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