# taz.de -- Shoa-Überlebende Eva Fahidi ist tot: „Auf einmal allein unterm Vollmond“
       
       > Zum 75. Tag der Befreiung hatte sie in der taz erzählt, wie sie einen
       > Todesmarsch überlebte. Nun ist Eva Fahidi mit 97 Jahren in Ungarn
       > gestorben.
       
 (IMG) Bild: Eva Fahidi
       
       Eva Fahidi, geboren 1925 in Debrecen, war im Mai 1944 nach Auschwitz
       deportiert worden. Ihre Familie wurde dort ermordet. Nach dem Krieg
       heiratete sie, bekam eine Tochter und arbeitete als Außenbeauftragte in
       einem ungarischen Stahlwerk. Fahidi lebte in Budapest, bis sie am 11.
       September 2023 verstarb. Im Gedenken veröffentlichen wir diesen in einer
       Sonderbeilage zum Tag der Befreiung am 8. Mai 2020 erschienen Text erneut.
       
       „Ende März 1945 erlebte ich gefangen im KZ-Außenlager Münchmühle nahe dem
       hessischen Allendorf. Unsere Evakuierung begann am 28. März 1945. Es
       dämmerte schon, als wir zum Appellplatz getrieben wurden. Oberscharführer
       und Lagerleiter Adolf Wuttke gab bekannt, dass wir Münchmühle verlassen,
       sobald es dunkel würde. So geschah es. Unser Todesmarsch begann mit einem
       Fünftel Stück Brot in der Tasche.
       
       Jedem, der diesen Artikel liest, empfehle ich zu probieren, wie man in
       Holzpantinen läuft, wenn man sie barfuß trägt, ohne Socken, Strümpfe. Nach
       zehn Minuten ist der Fuß voller blutender Wunden und Blasen. Wir erreichten
       so eine Scheune und haben uns in das Stroh zum Schlafen gelegt. Am nächsten
       Tag konnten wir nicht weiterlaufen, weil Tiefflieger der Alliierten
       unterwegs waren und 1.000 Frauen eine auffällige Kolonne gewesen wären.
       
       So warteten wir, bis es finster wurde. Dann mussten wir uns in Fünferreihen
       aufstellen und es ging weiter. Damals wog ich mit meinen 1,76 Meter keine
       40 Kilo. Ich stellte mich in die letzte Fünferreihe, der SS-Wachmann mit
       seiner Peitsche und seinem Hund neben mir. Ich war schon ein erfahrener
       Häftling, ich wusste, nichts kann so überzeugend sein wie die Peitsche,
       sogar die Halbtoten stehen auf und marschieren, wenn sie gebraucht wird.
       
       Unweit der Scheune floss ein Bach. Wir mussten eine hölzerne Brücke
       überqueren, die zu schmal für eine Fünferreihe war. So entstand eine
       Unordnung. Der SS-Mann neben mir ging hin, um Ordnung zu schaffen.
       
       Ich setzte mich in das Gras und wartete auf den SS-Mann: Er würde gewiss
       zurückkommen und mich mit seiner Peitsche zum Aufstehen und Weiterlaufen
       zwingen. Alles war mir egal, ich wollte nichts als Ruhe. Doch der SS-Mann
       kam nicht, ich hörte, wie der Lärm der 1.000 Frauen immer leiser wurde.
       
       Auf einmal saß ich dort allein bei Vollmond in einem fremden, feindlichen
       Land. Wenn jetzt ein Fremder gekommen wäre und mich gefragt hätte, wo ich
       herkäme, in diesen schrecklichen Fetzen, die ich trug, schmutzig,
       vernachlässigt, stinkend? Ich hätte ihm gesagt: Ich bin Eva Fahidi,
       verwöhntes Kind meiner Eltern, die mich sehr lieben, aber wo sind meine
       Eltern? Und die Angst überschüttete mich.
       
       Auf allen Vieren kroch ich in die Scheune zurück, mein Herz wollte aus den
       Rippen herausspringen, und auf einmal bewegte sich das Stroh am anderen
       Ende der Scheune: Ein anderes Mädchen hatte sich dort schon versteckt, so
       waren wir zwei. Später in der Nacht wuchs unsere Gruppe weiter an.
       
       Wir stellten Wachen an den kleinen Fenstern auf. Es dauerte nicht lange,
       bis Lärm ertönte: Panzer! Alle sind wir hinausgerannt, und tatsächlich
       waren es Panzer, mit fünfzackigen weißen Sternen dekoriert, und Schwarze
       saßen darin.
       
       Die Verständigung war schwierig. Diese Männer von der 6. Panzerdivision
       hatten vor uns noch keine anderen KZ-Häftlinge gesehen und begriffen nicht,
       dass unsere einzige Sünde war, Jüdinnen zu sein. Sie dachten, wir seien
       Verbrecher. Sie nahmen uns auf ihre Panzer nach Ziegenhain mit und
       verteilten uns in der Bevölkerung. Ich kam zur Familie Kurz mit einem 16
       Jahre alten Jungen, der in der Hitlerjugend gewesen war.“
       
       Dieser Text war der 9. in einer Reihe zum Tag der Befreiung 2020. Zuvor
       erschienen: 
       
       (8) [1][Jack Rindt, kanadischer Soldat] 
       
       (7) [2][Johns Lampel, befreit in Theresienstadt] 
       
       (6) [3][Nikolaj Kurilenko, Rotarmist] 
       
       (5) [4][Claus Günther, Hitlerjunge]
       
       8 May 2020
       
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