# taz.de -- Black-Lives-Matter-Demo in Berlin: Schweigen ist Silber, Handeln Gold
       
       > Bewährungsprobe für Antidiskriminierungsgesetz: Nach der Demo gegen
       > Polizeigewalt fordern Aktivist:innen politische und rechtliche
       > Konsequenzen.
       
 (IMG) Bild: Silent Protest ist bei diesem Anliegen durchaus schwer: Black-Lives-Matter-Demo in Berlin
       
       BERLIN taz | Bei Tahir Della steht das Telefon [1][seit Samstag] nicht mehr
       still. Er ist Sprecher der Initiative Schwarzer Menschen in Berlin und hat
       die [2][Black-Lives-Matter]-Großdemo vom vergangenen Samstag
       mitorganisiert, bei der Zehntausende gegen rassistische Polizeigewalt und
       alltägliche Diskriminierung von People of Colour und Schwarzen protestiert
       haben. „In dieser Größenordnung haben wir das noch nicht erlebt“, sagt
       Della, „es sind viele Betroffene zusammengekommen, aber auch viele, die
       sich bisher kaum mit institutionellem Rassismus beschäftigt haben.“
       
       Er habe am Dienstagmorgen sogar ein Auto gesehen, das mit dem Schriftzug
       „Black Lives Matter“ an ihm vorbeigefahren sei. Vor allem über
       Social-Media-Kanäle hätten viele junge Leute an der Ermordung von George
       Floyd in den USA Anteil genommen und sich anschließend mobilisiert. Jetzt
       müsse es auf politischer Ebene weitergehen, sagt Della, der in einem
       Netzwerk arbeitet mit [3][Berliner zivilgesellschaftlichen
       Antidiskriminierungsstellen] wie Each One Teach One, Reachout und der
       Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt.
       
       „Ein nächster Schritt wäre es, ein bundesweites Netzwerk von
       Antidiskriminierungsbüros aufzubauen, sodass man flächendeckend gegen
       Behördenrassismus vorgehen kann.“ Gegen institutionellen Rassismus helfen
       keine punktuellen Entlassungen oder interkulturelle Trainings, sagt Della,
       sondern nur handlungsfähige Strukturen. Während in Berlin durch das
       Landesantidiskriminierungsgesetz erstmals solche geschaffen werden sollen,
       fehlen sie anderswo noch völlig.
       
       Die linke Gruppe Migrantifa, die am Samstag in einem Block bei der
       Black-Lives-Matter-Demo zu finden war, prangerte vor allem [4][rassistische
       Polizeigewalt während der Demo] an. Die Geschehnisse seien eine echte Probe
       für das neue Antidiskriminierungsgesetz, schreibt die Gruppe in einer
       Pressemitteilung, in der sie [5][rassistische Vorfälle] schildert und
       kritisiert.
       
       ## Bis 4:30 Uhr vor der Gesa
       
       Auch Aktivistin Lyza S., die ebenfalls im linken Block demonstrierte,
       fordert im Nachgang vor allem Solidarität mit während der Demo
       festgenommenen People of Colour und Schwarzen. „Es gab tatsächlich
       rassistische Polizeigewalt auf einer Demo gegen rassistische
       Polizeigewalt“, sagt S. zu den über 90 Inhaftierungen von überwiegend
       Schwarzen und People of Colour am Samstag. Aktivist:innen aus dem linken
       Block und der Migrantifa hätten bis 4.30 Uhr vor der Gefangenensammelstelle
       ausgeharrt und auf die Freilassung gewartet.
       
       „Wir leisten gerade Unterstützungsarbeit für Betroffene, indem wir
       anwaltliche und psychologische Beratung vermitteln, und dokumentieren Fälle
       und Erfahrungen.“ Nach diesem massiven Protest und wiederum der Gewalt
       durch die Polizei sei es wichtig, dass das Thema nicht auf symbolischer
       Ebene verhandelt, sondern daraus Schlüsse gezogen würden.
       
       Solche Schlüsse will nun auch die grüne Basis ziehen, der das Thema
       institutioneller oder Behördenrassismus derzeit unter den Nägeln brennt.
       Die beiden Bezirksgruppen Neukölln und Friedrichshain-Kreuzberg
       diskutierten am Dienstagabend über einen Antrag, sich für die Einrichtung
       einer Enquetekommission im Abgeordnetenhaus stark zu machen. „Ich hatte
       einfach die Nase voll“, sagt Aida Baghernejad von den Grünen aus
       Friedrichshain-Kreuzberg, die jetzt den Anstoß dazu gab, und zählt auf:
       George Floyd, die neuesten Enthüllungen um Beziehungen zwischen Berliner
       Sicherheitsbehörden und rechten Strukturen, die Polizeigewalt nach der
       Großdemo.
       
       Eine solche Enquetekommission könnte die verschiedenen Facetten
       übergreifend analysieren, erklärt Philmon Ghirmai von den Grünen Neukölln –
       „und vor allem säße die Zivilgesellschaft mit am Tisch, was eine
       unabhängige Analyse garantiert“, hofft er. Ziel der Kommission soll sein,
       „rassistische bzw. diskriminierende Strukturen in der Berliner Verwaltung
       (zu) identifizieren und institutionelle und zivilgesellschaftliche
       Handlungsempfehlungen (zu) erarbeiten, um diese abzubauen“, heißt es im
       Antrag.
       
       Die Idee sei bereits „nach Hanau“ entstanden, so Ghirmai. Er und einige
       andere Grüne hatten den Antrag vor dem Hintergrund der [6][rechten
       Anschlagserie in Neukölln] und den ausbleibenden Ermittlungserfolgen
       bereits beim letzten Landesparteitag einbringen wollen, der dann wegen
       Corona ausfiel.
       
       Auch für Ghirmai gibt es viele Gründe für eine solche Enquete – von Racial
       Profiling über Diskriminierung in Behörden und Verwaltungen bis hin zur
       offenkundiger Polizeigewalt ausgerechnet gegen BPoC am Samstag. Er sagt:
       „Wenn die Polizei das Vertrauen der Bürger:innen haben will, muss sie einer
       politischen Überprüfung standhalten können – und sie eigentlich sogar
       begrüßen!“
       
       Falls der Antrag in beiden Bezirken durchgeht, müssen weitere Kreisverbände
       und zuletzt die Fraktion gewonnen werden. Dort gibt es bereits
       Unterstützerinnen, darunter die Abgeordneten Sebastian Walter, June Tomiak
       und Susanna Kahlefeld. Ob eine Enquete noch in dieser Legislatur kommen
       kann, ist jedoch fraglich. „Natürlich möchte ich sie am liebsten sofort“,
       sagt Ghirmai. Aber wenn sie nur ein Jahr tagen würde, weil in 2021 wieder
       gewählt wird, „wäre das viel zu kurz“.
       
       ## Am Sonntag nächste Großdemo: Unteilbar
       
       Die öffentliche Debatte im Nachgang der Demo dreht sich unterdessen bereits
       zu einem großen Teil wieder um Infektionsschutz während der
       [7][Coronapandemie]. Grünen-Vorsitzende Antje Kapek bemängelte die
       Polizeitaktik, die offenkundig nicht auf solche Menschenmassen vorbereitet
       gewesen sei. Tom Schreiber (SPD) sprach sich sogar dafür aus, das
       Abstandsverbot bei Demos zu kippen. Der rot-rot-grüne Senat hingegen sieht
       im Gegensatz dazu vor allem Demonstrant:innen in der Pflicht.
       Anmelder:innen müssten Konzepte und Umsetzung kontrollieren.
       
       Und der Gesundheitswissenschaftler Karl Lauterbach (SPD) kritisierte das
       hohe Risiko, das von Großkundgebungen wie dieser ausgehe. Sprechchöre von
       derart vielen Menschen auf engem Raum verteilten große Mengen an Aerosolen,
       die Infektionsgefahr sei groß. Das sei ein Sargnagel für noch bestehende
       Regeln.
       
       Lyza S. hält dagegen: „Dass so viele Menschen gekommen sind, sagt etwas
       über die Dringlichkeit aus, die von rassistischen Polizeimorden ausgeht,
       und nicht, wie ernst es Leute mit der Infektionsgefahr nehmen. Wir können
       bei dem Thema nicht leise bleiben“, sagt sie. Die überwiegende Mehrheit der
       Teilnehmer:innen hätte zudem Mundschutz getragen.
       
       Am Sonntag soll bereits die nächste Großdemo stattfinden: [8][die
       Unteilbar-Demo]. Tahir Della von der Initiative Schwarzer Menschen wird
       dabei sein, ebenso die Migrantifa-Gruppe. Infektionsschutz soll hier
       gewahrt werden, indem Teilnehmende ein neun Kilometer langes Band der
       Solidarität halten sollen – mit jeweils drei Metern Abstand.
       
       10 Jun 2020
       
       ## LINKS
       
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 (DIR) [4] https://twitter.com/BEMigrantifa/status/1270349174832332805
 (DIR) [5] /Proteste-gegen-Rassismus-in-Berlin/!5688131
 (DIR) [6] /Rechter-Terror-in-Berlin-Neukoelln/!t5612550
 (DIR) [7] /Schwerpunkt-Coronavirus/!t5660746
 (DIR) [8] https://www.unteilbar.org/unteilbar-aktionstag-am-14-juni-2020-sogehtsolidarisch/
       
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