# taz.de -- Kleingärtner in der Zwickmühle: „Gärten weg? So ein Dreck!“
       
       > Eine Wilmersdorfer Gartenanlage mit 100-jähriger Geschichte soll einem
       > Schulneubau weichen. Umweltsenatorin enttäuscht Gartenfans.
       
 (IMG) Bild: Kleiner Garten, große Vorsitzende: Gabriele Gutzmann
       
       BERLIN taz | „Wir sind hier einfach eine tolle Truppe, und deshalb macht es
       doppelt so viel Spaß“, sagt Oliver Rudzick, ein Kleingärtner am
       Wilmersdorfer Volkspark. Der promovierte Physiker hat mittels OpenStreetMap
       alle Obstbäume der Kolonie verzeichnet, darunter seltene Sorten und
       100-jährige Birnbäume. Die [1][Gartenkolonie Am Stadtpark I] hat einen
       vierköpfigen Vorstand, der sich monatlich trifft und für Nachbarn offene
       Feste oder Ausstellungen organisiert. Dafür wurde sie vom örtlichen
       Bürgermeister 2016 mit dem Erwin-Barth-Preis ausgezeichnet.
       
       Dank dieses guten Zusammenhalts gelang es den Kolonisten, quasi von jetzt
       auf gleich Ende Mai eine Protestkundgebung zu organisieren. Im Zweiten
       Entwurf des Kleingartenentwicklungsplans von Mitte April war überraschend
       der Block 1 ihrer Kolonie mit 19 Gärten als Baufläche der angrenzenden
       Schule ausgewiesen worden. 50 Menschen kamen und hielten selbst gemalte
       Transparente in die Luft: „Gärten weg? So ein Dreck!“
       
       Vier Obstbäumchen, eine ungemähte Wiese mit blühendem Salbei und zwei
       Gemüsebeete nebst winziger Bude: Die Vereinsvorsitzende Gabriele Gutzmann
       hat mit nur 120 Quadratmetern wohl den kleinsten der Gärten. Sie wundert
       sich darüber, dass Wilmersdorf als jener Stadtteil Berlins, der in den
       letzten 50 Jahren mit die meisten Kolonien hergeben musste, schon wieder
       gefleddert werden soll. Und ist empört, dass sie erst aus der Zeitung von
       den Plänen des Senats erfuhr. Sofort hat sie zahllose Briefe an Politiker
       geschickt. Denn schließlich hat diese Gartenanlage eine 100-jährige
       Geschichte hinter sich und ist eine der letzten im innerstädtischen
       Bereich.
       
       Citykleingärten sind selbstverständlich immer gefährdet. Besonders seit die
       Politik auf die Nachverdichtung der Innenstädte setzt. Und da SPD und Grüne
       die Laubenpieper seit den 1980er Jahren als mit Gift um sich spritzende
       Spießer ansehen, opferten sie so manche Schrebergärten. Auch die neue
       Begeisterung für Gemeinschaftsgärten kam Politik und Verwaltung gelegen –
       denn es führte dort zu der Hoffnung, das steigende Bedürfnis nach Grün
       durch geringeren Flächenanspruch deckeln zu können. Das war jedoch eine
       Fehleinschätzung. Die Gemeinschaftsgärten mit ihren oft sehr kleinen Beeten
       in vom begeisterten Publikum überrannten offenen Gärten haben vielmehr den
       Kleingärtnern erhebliche Neukundschaft zugetrieben.
       
       ## Demo gegen den Kleingartenentwicklungsplan
       
       Die gemeinsame Demo von – coronabedingt nur etwa 45 – Kleingärtnern und
       Gartenaktivistinnen samt Naturschützern vor dem Roten Rathaus zeigte es:
       Ein Ausbooten der Kleingärten mittels Gemeinschaftsgarten-, Radweg- oder
       Schulbau-Argumenten funktioniert nicht. Kleingärtner sind längst auf
       giftfreien Gartenbau verpflichtet. Sie haben heute auch ihrerseits die neue
       Leidenschaft für Klimafragen, Biodiversität, Bienen, Hummeln und Co.
       übernommen.
       
       Die Demonstration richtete sich gegen den Kleingartenentwicklungsplan von
       Umweltsenatorin Regine Günther (Grüne). Der sollte an dem Tag vom Rat der
       zwölf Bezirksbürgermeister abgesegnet werden. Der Plan sieht vor, dass in
       den kommenden zehn Jahren mindestens 473 Kleingärten dem Bau von
       Bildungsstätten und sogar immer noch Straßen geopfert werden sollen.
       Ersatzland gibt es nicht, es wurde von den Vorgängerregierungen verhökert.
       Parzellenteilungen sind praktisch meist unmöglich. Der Rat der
       Bürgermeister vertagte die Entscheidung.
       
       Aber damit stecken die Gartenfreunde in einer Zwickmühle. Solange der Plan
       nicht abgesegnet ist, sind die 160 Gartenanlagen, die nur bis ins Jahr 2020
       abgesichert waren, zu der auch Am Stadtpark I gehört, nicht mehr geschützt.
       Andererseits ist der vorliegende neue Entwurf für die Gartenfreunde sehr
       unbefriedigend. Es sollen viel mehr Gärten weg, als abgesprochen war, und
       es gab kaum gemeinsame Treffen, also keinen „umfassenden
       Beteiligungsprozess“, heißt es im Fachblatt Gartenfreund.
       
       Die organisierten Kleingärtner meinen vielmehr: „Grün retten ist so
       wertvoll wie neues Grün schaffen!“ Sie fragen: Kann die Landesregierung
       nicht beispielsweise die Ausgleichsgelder, die Investoren bei der
       Zerstörung von Grün hinterlegen müssen, so einsetzen, dass sie damit
       gefährdete Gartenanlagen zu expliziten Grün-Ausgleichsflächen umwidmet?
       
       ## Gartenglück mit allen zu teilen
       
       Die Kolonie Am Stadtpark I mit ihren 119 Parzellen auf 2,7 Hektar gab sich
       in den letzten Jahren Mühe, ihr Gartenglück mit allen zu teilen. Eine
       Parzelle ist für eine Schule und einen angrenzende Kindergarten
       eingerichtet. Im offenen Vereins- und Lesegarten treffen sich vormittags
       Hundehalterinnen zum Eierlikör und abends Jugendliche. Fotoausstellungen
       und Feste sowie offene Gartentüren am „Langen Tag der Stadtnatur“, holten
       die anliegende Nachbarschaft gezielt in die Gartenanlage.
       
       Die Kolonie war einst Teil eines Kleingartengürtels, der den Stadtpark und
       Volkspark Schöneberg-Wilmersdorf umgab. Heute heißt der Schöneberger Teil
       der begrünten Eiszeitrinne Rudolph-Wilde-Park. Die Idee, die
       Grüne-Lunge-Funktion von Parks zu erweitern, indem man an ihren Rand
       Kleingartenanlagen legt, stammt aus den 1920er Jahren, als in Großstädten
       „volksnah“ sozial denkende Sozialdemokraten regierten und die Stadtsäckel
       infolge von Krieg und Inflation mager ausgestattet waren.
       
       Einen Volkspark zu unterhalten kostet Geld. Die Kleingärtner hingegen
       bewirtschaften ihre Flächen selbst und bescheren den Spaziergängern Blicke
       auf eine Blumenwelt, die auch die tierische Artenvielfalt deutlich erhöht,
       wie man im Frühjahr vielstimmig hören kann. Eine geniale Idee der Weimarer
       Republik, wie Gert Gröning, emeritierter Prof. der Universität der Künste
       in Berlin, gern betont.
       
       Die benachbarte internationale Wangari-Maathai-Schule mit dem Baubedarf hat
       103 Schüler. Sie residiert in einem für sie viel zu großen Gebäude einer
       ehemaligen Grundschule. Es handelt sich um eine Schule im Aufbau, unter
       Regentschaft der Senatsverwaltung, die eine zweite Internationale Schule
       wünscht – ohne dabei auf die Wünsche des Bezirks sonderlich Rücksicht zu
       nehmen.
       
       ## Nicht in ihrem Namen
       
       Die Namensgeberin der Schule, Wangari Maathai, ist eine der berühmtesten
       Umweltaktivistinnen Afrikas. Zusammen mit dem Nationalen Frauenrat Kenias
       gründete sie 1977 die Green-Belt-Bewegung, um gegen den Klimawandel Bäume
       zu pflanzen. Denn ausgetrocknete Flüsse und Bodenerosion bei Starkregen
       schädigen Hirtinnen und Bäuerinnen, die ihre Kinder dann nicht mehr
       ernähren können. Die Grüngürtel-Bewegung animierte Frauen überall dazu,
       gemeinsam Bäumchen zu setzen, zu pflegen, später auch Baumschulen zu
       gründen. 14 Sahel-Staaten beteiligten sich am Green Belt Movement, weit
       über 50 Millionen Bäume sollen gepflanzt worden sein.
       
       Maathai wurde 2004 als erste Frau Afrikas mit dem Friedensnobelpreis
       ausgezeichnet. Während sie zu Diktaturzeiten der 1990er Jahre als
       Umweltaktivistin mehrfach inhaftiert und gefoltert wurde, wurde die
       Professorin für Biologie später ins Parlament gewählt und stellvertretende
       Umweltministerin. Sie warb weltweit für das Bäumepflanzen.
       
       Ist es möglich, dass Maathai dem Fällen von 90 Obstbäumen zustimmen würde,
       damit eine zweite Schule für „hochmobile Familien“ expandieren kann? Würde
       sie nicht darauf hinweisen, dass die Coronakrise weltweit eine erneute
       Notwendigkeit von Gärten zur Selbstversorgung gezeigt hat?
       
       Die Idee des einstigen Umweltsenators Volker Hassemer (CDU), die Zahl der
       Kleingärten in Berlin auf 100.000 zu erhöhen, ist aktuell wie nie zuvor.
       Die Regierung sollte sich an ihren Koalitionsvertrag erinnern, dem zufolge
       sie keinerlei Grün mehr opfern wollte.
       
       11 Jun 2020
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.kolonie-am-stadtpark.de/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Elisabeth Meyer-Renschhausen
       
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