# taz.de -- G20-Prozess gegen Polizisten: Polizeigewalt gegen Polizeigewalt
       
       > Ein Münchner Polizist warf während des Hamburger G20-Gipfels eine
       > Bierdose auf seine KollegInnen. Bestraft wird er dafür nicht.
       
 (IMG) Bild: Zu den Dosenwürfen kam es am Rand der „Welcome to Hell“-Demonstration
       
       HAMBURG taz | Mit einem Freispruch ist am Montagmorgen in Hamburg der wohl
       skurrilste der zahlreichen G20-Prozesse zu Ende gegangen. Das Altonaer
       Amtsgericht sprach den früheren Münchner Polizisten Oliver D., der während
       der „Welcome to Hell“-Demo im Juli 2017 eine Bierdose auf die sich im
       Einsatz befindenden damaligen Kollegen geschleudert hatte, vom Vorwurf der
       gefährlichen Körperverletzung und des tätlichen Angriffs auf
       Vollstreckungsbeamte frei.
       
       Dem 38-Jährigen sei nicht nachzuweisen, so Richter Reinhard Kloß, dass er
       es billigend in Kauf genommen habe, seine ehemaligen Kollegen zu verletzen.
       Die Staatsanwaltschaft, die eine Bewährungs- oder Geldstrafe gefordert
       hatte, prüft nun, Rechtsmittel dagegen einzulegen.
       
       Der Beamte hatte sich mit seiner Hamburger Freundin, Johanna K., die
       ebenfalls eine Dose in Richtung der Einsatzkräfte warf, privat auf der
       Anti-Gipfel-Demo am Abend des 6. Juli 2017 aufgehalten. Die Polizei hatte
       den Zug gestoppt, weil viele der etwa 12.000 TeilnehmerInnen vermummt
       gewesen seien. Dass die Einsatzkräfte mit Schlagstöcken in die
       demonstrierende Menschenmenge stürmten, um vermummte Demo-TeilnehmerInnen
       zu isolieren, habe er als „komplett unbegründet und unverhältnismäßig
       wahrgenommen“, erklärte der Angeklagte im Verfahren.
       
       Er gab „Wut“ auf seine KollegInnen und auch Angst als Motive für den
       Dosenwurf an. Er habe „Schiss gehabt“, selber von seinen KollegInnen
       „niedergeknüppelt“ zu werden. Johanna K. ließ über ihre Anwältin mitteilen,
       sie sei „schockiert und wütend“ über den Polizeieinsatz gewesen. Beide
       hatten am Abend der Demo sogar noch ein Fernsehinterview gegeben, in dem
       sie sich über den „völlig unverständlichen“ Einsatz der „Bullen“
       ausgelassen hatten. Dabei klärte Oliver D. die JournalistInnen nicht
       darüber auf, dass er selber Polizist ist und bereits an vielen Demos
       dienstlich teilgenommen hatte.
       
       Beide Angeklagten warfen nach eigenen Angaben jeweils eine fast leere
       Bierdose in Richtung der eingesetzten Beamten und beide beteuerten vor
       Gericht, sie hätten damit niemand verletzen wollen. Eine Flug-Simulation
       der Kriminaltechniker, die diesen Fall untersuchten, ergab jedoch, dass die
       Dosen gefüllt gewesen sein müssen. Videoaufnahmen beweisen, dass die von
       dem Münchner Beamten geschleuderte Dose nur etwa anderthalb bis zwei Meter
       hinter mehrenden laufenden Polizisten aufschlug.
       
       Trotzdem erklärte der Vorsitzende Richter in seiner Urteilsbegründung am
       Montag, es sei den beiden Angeklagten nicht nachzuweisen, dass sie
       PolizistInnen verletzen wollten. Der Freispruch sei nicht wegen erwiesener
       Unschuld erfolgt, sondern „in dubio pro reo“, im Zweifel für den
       Angeklagten.
       
       ## Der Angeklagte studiert heute Medizin
       
       Damit unterscheidet sich das Urteil von fast allen anderen Schuldsprüchen
       in Hamburger G20-Prozessen. Viele Dutzend ProtestlerInnen waren angeklagt,
       Gegenstände in Richtung von Polizeikräften geworfen zu haben. Egal ob diese
       auch nur in der Nähe der Beamten auftrafen oder nicht. Egal wie oft die
       Angeklagten betonten, sie hätten niemand verletzten wollen. Egal wie
       detailliert ihre AnwältInnen belegten, dass die geworfenen Gegenstände die
       Beamten aufgrund ihrer Schutzmontur auch als Volltreffer nicht hätten
       verletzen können – am Ende fast aller Verfahren standen hohe Bewährungs-
       oder sogar Haftstrafen ohne Bewährung. Insgesamt hat die Staatsanwaltschaft
       bislang 449 Anti-G20-AktivistInnen angeklagt.
       
       Der nun freigesprochene Ex-Polizist studiert heute Medizin. Nach dem Gipfel
       hatte er zunächst seine Arbeit wieder aufgenommen. Erst ein halbes Jahr
       nach dem Gipfel wurde er als Dosenwerfer identifiziert und im Zuge der
       Ermittlungen vom Dienst suspendiert.
       
       Er ist bislang der einzige Polizist, der sich nach den
       G20-Auseinandersetzungen in einem ein Strafverfahren verantworten musste.
       Von den 157 PolizistInnen, gegen die die Staatsanwaltschaft wegen
       Körperverletzung im Amt und verwandter Delikte zum Nachteil von
       DemonstrantInnen ermittelt hat, wurde bislang kein einziger angeklagt. 120
       Ermittlungsverfahren wurden bereits eingestellt.
       
       6 Jul 2020
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Marco Carini
       
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