# taz.de -- SOS Mediterranee verurteilt Maßnahme: Ocean Viking hängt fest
       
       > Die italienischen Behörden haben das Seenotrettungsschiff der NGO wieder
       > einmal festgesetzt. Die NGO SOS Mediterranee spricht von „Schikane“.
       
 (IMG) Bild: Erst Anfang Juli wurden 180 Geflüchtete tagelang an Bord der Ocean Viking aufgehalten
       
       BERLIN taz | Die italienischen Behörden haben am Mittwochabend die Ocean
       Viking, das Schiff der deutschen Seenotrettungs-NGO „SOS Mediterrannee“ auf
       unbestimmte Zeit festgesetzt. Zuvor war das Schiff elf Stunden lang von der
       Polizei im Hafen von Porto Empedocle auf Sizilien inspiziert worden.
       [1][SOS Mediterrannee] sprach von einer „neuen Stufe behördlicher Schikane
       mit dem Ziel, die lebensrettenden Einsätze der zivilen
       Seenotrettungsschiffe zu blockieren.“
       
       Tatsächlich ist die Praxis keineswegs neu: Seit 2017 haben die Behörden von
       Malta und Italien abwechselnd immer wieder praktisch alle privaten
       Seenotrettungsschiffe an die Kette gelegt, und teils gar nicht, teils erst
       nach Wochen oder Monaten wieder fahren gelassen. Durch die Festsetzung der
       Ocean Viking ist aktuell kein ziviles Rettungsschiff mehr im zentralen
       Mittelmeer im Einsatz.
       
       Nach Angaben von SOS Mediterrannee haben die italienischen Behörden die
       Festsetzung damit begründet, dass die Ocean Viking mehr Personen befördert
       habe als im Zertifikat für die Ausrüstung von Frachtschiffen angegeben sei.
       
       Das Schiff hatte zuletzt vor zwei Wochen 180 aus Seenot gerettete Menschen
       nach Porto Empedocle gebracht. Zuvor hatte die Ocean Viking neun Tage auf
       die Erlaubnis der italienischen Behörden gewartet, in einen Hafen des
       Landes einlaufen zu dürfen. Die Flüchtlinge wurden auf ein Quarantäneschiff
       verlegt, die Besatzung der Ocean Viking auf dem Schiff unter Quarantäne
       gestellt. Diese war nun aufgelaufen, das Schiff sollte wieder in See
       stechen. Doch das verhinderten die Behörden nun.
       
       ## Mehr Menschen als auf Papier
       
       SOS Mediterrannee betreibt das Schiff seit rund einem Jahr. In dieser Zeit
       sind nach Angaben der NGO drei Hafenkontrollen durchgeführt worden, bei
       denen nur „minimale Anpassungen“ gefordert worden seien. Neue
       Sicherheitsvorschriften seien in der Zwischenzeit nicht erlassen worden.
       „Es ist offensichtlich, dass die italienischen Behörden in den vergangenen
       Monaten angebliche Sicherheitsmängel vorgeschoben haben, um die zivilen
       Rettungsschiffe vom Mittelmeer zu verdrängen“, sagt Verena Papke, die
       Geschäftsführerin von SOS Mediterrannee.
       
       SOS Mediterrannee räumte ein, dass ihr Schiff bei Rettungseinsätzen teils
       tatsächlich eine größere Zahl von Menschen aufnimmt als in den Papieren des
       Schiffes angegeben ist. Doch bei diesen handele es sich nicht um
       „Passagiere“, wie Italiens Behörden behaupteten, sondern um Gerettete – und
       dazu sei die NGO verpflichtet, es geschehe also rechtmäßig.
       
       Anfang April hatten Italien und Malta ihre Häfen für „unsicher“ erklärt und
       damit faktisch für rettende Schiffe geschlossen. Kurz darauf erhielten
       zivile Seenotrettungsorganisationen in Deutschland einen Brief aus dem
       Bundesinnenministerium mit dem Appell, derzeit „keine Fahrten aufzunehmen“,
       und „bereits in See gegangene Schiffe zurückzurufen“. Während die
       Rettungs-NGOs so blockiert werden, sind in diesem Jahr im zentralen
       Mittelmeer bislang nach Zahlen der [2][UN-Migrationsorganisation IOM] 391
       Menschen ertrunken. Das sind etwa halb so viele wie im gleichen Zeitraum
       des Vorjahres. Das hat damit zu tun, dass die libysche Küstenwache immer
       mehr Geflüchtete auf dem Meer schnell abfängt und wieder zurück nach Libyen
       bringt. Von Januar bis Mitte Juli waren das nach Zahlen des
       UN-Flüchtlingswerks UNHCR 5.650 – fast die Hälfte mehr als im
       Vorjahreszeitraum.
       
       ## Geflüchtete in Libyen nicht sicher
       
       Zuletzt brachte die Küstenwache am 20. Juli insgesamt 76 Menschen nach
       Libyen zurück. Sehr häufig geschieht dies in Kooperation mit der
       EU-Grenzschutzagentur Frontex, den italienischen oder maltesischen
       Behörden. Die stören sich nicht daran, dass das UNHCR jedes Mal protestiert
       und darauf hinweist, dass Flüchtlinge in Libyen nicht sicher sind.
       
       Allerdings ist die Praxis auch in Italien nicht unumstritten. Denn nun soll
       erstmals einem Kapitän der Prozess gemacht werden. Sein Schiff „Asso
       Ventotto“ hatte im Juli 2018 in internationalen Gewässern vor der libyschen
       Küste mehr als hundert Menschen aus Seenot gerettet, darunter fünf
       Minderjährige und fünf Schwangere. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft
       wurden die Migranten nach Tripolis zurückgebracht und dort der libyschen
       Küstenwache übergeben. Die Staatsanwaltschaft Neapel wirft dem Kapitän und
       der Reederei deshalb Völkerrechtsverstöße vor.
       
       Die EU versucht derweil, die Zusammenarbeit mit den nordafrikanischen
       Ländern in Sachen Flüchtlingsstopp zu intensivieren. In der vergangenen
       Woche vereinbarten die Innenminister der EU-Staaten und der
       nordafrikanischen Länder, darunter Libyen, in einer Videokonferenz
       „stärkere Schleuserbekämpfung“. In einer Erklärung der EU-Teilnehmer hieß
       es, man wolle eine engere Zusammenarbeit zwischen der Behörde für
       Polizeikooperationen der Afrikanischen Union (Afripol) und den EU-Agenturen
       Frontex und Europol sowie des Europäischen Netzwerks von Verbindungsbeamten
       für Einwanderung fördern. Vorgesehen seien zudem Ausbildungsprojekte sowie
       finanzielle Hilfen für technische Ausstattung.
       
       ## Bekämpfung der Schleuserkriminalität
       
       Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) sagt, um „Tote im Mittelmeer zu
       verhindern“ gelte es, die Bekämpfung der Schleuserkriminalität zu stärken.
       Die Zusammenarbeit mit den Partnern in Nordafrika solle deshalb während der
       deutschen EU-Ratspräsidentschaft in den kommenden Monaten weiter ausgebaut
       werden.
       
       Innerhalb der EU gibt es derweil noch immer keine Verständigung über den
       Umgang mit Bootsflüchtlingen, da nur wenige EU-Länder zur Aufnahme von aus
       Seenot geretteten Migranten und Flüchtlinge bereit sind.
       
       23 Jul 2020
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://sosmediterranee.de/press/ocean-viking-festgesetzt/
 (DIR) [2] http://germany.iom.int/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Christian Jakob
       
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