# taz.de -- Initiative gegen Dumping bei Agrarwaren: Bauern schaffen eigene Milchmarke
       
       > Ab sofort gibt es in Supermärkten die „Du bist hier der Chef!“-Milch.
       > Kunden haben über den Preis abgestimmt. Sie wollen 1,45 Euro pro Liter
       > zahlen.
       
 (IMG) Bild: Auf einem Biohof haben Kühe den besseren Ausblick, viel mehr Geld für ihre Milch gibt es aber nicht
       
       BERLIN taz | Bauer Sven Lorenz ist keiner, der jammern will. Sah es in den
       letzten Monaten oft so aus, als [1][protestierten alle Landwirte] gegen
       mehr Platz für Tiere im Stall, gegen strengere Düngeregeln, gegen die da
       oben, zeigt sein Beispiel: Das stimmt nicht. Viele Bauern suchen nach neuen
       Wegen. Der von Lorenz – er betreibt einen Hof mit 120 Milchkühen und 120
       Hektar Land – ist allerdings besonders.
       
       Lorenz, seit Jahren schon Biobauer, lässt seine Kühe jetzt noch länger auf
       die Weide, hat diese vergrößert, auch einen Hektar hinzugepachtet. Seit
       diesem Montag steht das Ergebnis als Erstes in Regalen von Rewe, später
       soll es bei anderen Lebensmittelketten folgen: die Milchmarke „Du bist hier
       der Chef!“. „Das gab es so alles noch nicht“, sagt Lorenz, „Sie sehen schon
       auf der Verpackung, was anders ist.“
       
       Die ist denkbar schlicht, grün und blau. Auffällig die Aufschrift: „Diese
       Milch wurde von uns Verbrauchern gewählt“. Das Besondere: Bevor Lorenz und
       zwölf weitere Kollegen in den vergangenen Wochen ihre Arbeit verändert
       haben, konnten Verbraucher online unter dubisthierderchef.de abstimmen. Die
       Frage: Was für eine Milch soll zu welchem Preis in Läden verkauft werden?
       
       Wie bio soll die Milch sein, woraus die Verpackung bestehen, wie gut der
       Bauer dabei vergütet werden? Knapp 10.000 Kunden haben sich insgesamt bei
       acht Fragen entschieden. Und je nachdem, was sie anklickten, verschob sich
       der Preis für die Milch. Nun steht unten auf der Vorderseite der
       Milchpackung „Unverbindliche Preisempfehlung, von Verbrauchern gewählt:
       1,45 Euro.“
       
       ## Alle zehn Jahre halbiert sich die Zahl der Milchhöfe
       
       Entscheidend für Lorenz auch ein Satz auf der Seite: „Die Bauern erhalten
       pro Liter 58 Cent“ – mehr als üblich. Im Schnitt bekommen konventionelle
       Bauern derzeit 31 Cent pro Liter, 44 Cent halten sie aber erst für fair.
       Die Einkaufsmacht der großen Handelsketten, vor allem der Discounter, sei
       enorm, sagt Lorenz. Die einzelnen Landwirte könnten dem wenig
       entgegensetzen. [2][Das ruiniere viele]. „Alle zehn Jahre macht die Hälfte
       aller Milchhöfe in Deutschland dicht.“ 60.000 sind es heute noch.
       
       Lorenz hat seinen Hof – er hat ihn von den Schwiegereltern im
       nordhessischen Vöhl übernommen – vor zehn Jahren auf Bio umgestellt.
       Biobauern bekommen immerhin 47 Cent pro Liter Milch, haben aber auch mehr
       Aufwand. „Der Preis rechnet sich auch bei Bio noch nicht richtig“, sagt
       Lorenz. Die Umfrage jedoch zeige, dass Kunden bereit seien, mehr zu zahlen,
       solange sie wüssten, dass beide glücklicher werden – die Bauern und die
       Kühe. Vielen behage nicht, wie bisher mit Tieren meist umgegangen werde.
       
       ## Tiere artgerechter halten
       
       Kühe sind auf Höchstleistung getrimmt. Eine [3][konventionelle Kuh] gibt am
       Tag nicht nur ein paar Liter für ihr Kälbchen, sondern gut 30 Liter für den
       Milchmarkt. Sie lebt selten länger als viereinhalb Jahre. Dabei können Kühe
       natürlicherweise leicht 20 Jahre werden. Das schaffen sie auch auf dem
       Biohof nicht. Dort leben sie im Schnitt sechs Jahre und geben 20 Liter
       Milch am Tag. Die neue Marke ist „eine Chance, einen guten Preis zu
       bekommen und die Tiere noch artgerechter zu halten“, meint Lorenz.
       
       Er sagt – nein, er schwärmt –, es rieche im Stall nun nach dem frischem
       Gras, mit dem er seine Kühe jetzt vor allem füttert. Und wenn es doch mal
       Kraftfutter gibt, darf es nur aus der Region kommen. Viel öfter als vorher
       sind die Tiere aber ohnehin draußen. Mindestens vier Monate im Jahr laufen
       die Kühe von Lorenz nun vor seinem Hof auf der Weide. Er muss neue Regeln
       einhalten. Wie auch seine zwölf Kollegen, die ab jetzt ebenfalls die „Du
       bist hier der Chef!“-Milch liefern. Einige von ihnen mussten ihre Ställe
       umbauen, um den Tieren noch mehr Platz zu geben als zuvor. Lorenz nicht. Er
       hat erst vor zwei Jahren einen neuen Stall gebaut. Sie alle aber eint: Sie
       achten jetzt noch mehr auf das Wohl der Tiere und auf Regionalität, als sie
       es als Biobauern ohnehin schon gemacht haben – dem Kundenwunsch
       entsprechend.
       
       ## Verkauf zunächst in 400 Filialen
       
       Die Idee kommt ursprünglich aus Frankreich. Unter der Marke: „C’est qui le
       patron?!“ werden dort bereits gut 35 Produkte etwa bei der großen
       Supermarktkette Carrefour verkauft. Neben Milch gehören Äpfel und Butter
       dazu. In Deutschland hat die Idee Nicolas Barthelmé, ein gebürtiger
       Franzose, von seinem Wohnort aus, dem hessischen Eltville, angeschoben. Er
       hat die Onlineumfrage ins Leben gerufen. Er hat immer und immer wieder
       Gespräche geführt, um Mitstreiter zu finden. Und er gewann nicht nur
       Lorenz.
       
       Bauer Lorenz ist Vorsitzender der Milcherzeugergemeinschaft Hessen, ein
       Zusammenschluss von Biobauern, die in eigener Regie auch die einzige
       Biomolkerei Hessens führen. Der Name: Upländer Bauernmolkerei. Sie holt die
       Milch von Lorenz und den anderen ab, verarbeitet sie, bevor Rewe sie dann
       in die Regale stellt. Die Handelskette startet mit dem Verkauf zunächst in
       400 Filialen vor allem in Hessen, aber auch in Bayern, Nordrhein-Westfalen,
       Rheinland-Pfalz. Rewe-Einkaufschef Hans-Jürgen Moog hält die Milch für
       „eine wirkliche Bereicherung für den Markt“. Später soll sie auch
       andernorts angeboten werden.
       
       Und wenn die Kunden trotz allem nicht zugreifen? Lorenz rechnet damit
       nicht. Im Moment sieht es so aus, als würden schon in vier Wochen auch
       andere Handelsketten die Milch verkaufen, dann zum Beispiel auch in
       Baden-Württemberg. Die Verhandlungen laufen. Eine fettarme Milch und eine
       H-Milch-Variante sollen folgen. Und Lorenz, dessen ältester seiner vier
       Söhne gerade eine Ausbildung zum Landwirt macht, sagt: „Wir haben bereits
       Bauern auf der Warteliste, die mitmachen wollen.“
       
       22 Jul 2020
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Hanna Gersmann
       
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