# taz.de -- Gesundheitssystem in Kamerun: Ein Fanal namens Monique
       
       > Vor vier Jahren stirbt in Kamerun eine Hochschwangere. Ihr skandalöser
       > Tod hat die Debatte über eine gerechtere Gesundheitspolitik in Afrika
       > befeuert.
       
 (IMG) Bild: Protest gegen die Regierung Kameruns gibt es auch im Ausland, wie hier Mitte Juli in Belgien
       
       Monique Koumatekel [1][trug nicht das Coronavirus in sich], als sie starb.
       Die junge Kamerunerin war einfach hochschwanger, als ihre Familie sie am
       12. März 2016 ins Laquintinie-Krankenhaus in Kameruns größter Stadt Douala
       brachte. Sie war schon stundenlang unterwegs gewesen. Im Krankenhaus begann
       eine tödliche Odyssee. Auf der Entbindungsstation wurde die Familie
       abgewiesen: Die Frau sei schon tot. An der Leichenhalle hieß es, ohne
       Totenschein könne man nichts machen und außerdem bewege sich doch noch der
       Fötus, sie gehöre zurück auf die Entbindungsstation. Ein Pfleger dort, der
       das untersuchen wollte, wurde von einer Kollegin gestoppt. Monique blieb
       vor der verschlossenen Tür liegen.
       
       Die verzweifelten Angehörigen wussten sich keinen anderen Ausweg, als am
       Krankenhauskiosk ein Skalpell zu kaufen und zu versuchen, das Baby selbst
       zu retten, per Kaiserschnitt auf dem Fußboden. Es war zu spät. Moniques
       Nichte Rose Tacke öffnete zwar den Bauch, aber die Zwillinge, die sie
       heraushob, waren tot. Das Krankenhauspersonal schaute dem blutigen
       Geschehen ungerührt zu, manche amüsierten sich und filmten es auf ihren
       Handys.
       
       Die Horror-OP auf dem Krankenhausboden wurde zum Skandal, denn das kaum
       erträgliche Video machte sofort in sozialen Netzwerken die Runde. Wie
       einige Jahre zuvor beim Tod des jungen Tunesiers Mohamed Bouazizi, dessen
       öffentliche Selbstverbrennung zum Fanal des Arabischen Frühlings wurde,
       verwandelte sich Monique Koumatekel durch ihren Tod und den ihrer
       ungeborenen Kinder in eine Ikone. „Wir sind alle Monique Koumatekel“ stand
       auf handgemalten Protestplakaten bei Frauendemonstrationen.
       
       Kameruns autoritärer Staat reagierte, wie er es immer tut. Er verhaftete
       die Angehörigen wegen „Störung der Totenruhe“ und auch das Personal der
       Entbindungsstation. Oppositionelle eilten der Familie zu Hilfe, der
       Krankenhausleiter wurde abgesetzt – um ein Jahr später als Gesundheitschef
       der gesamten Provinz wiederaufzutauchen. Zugleich gingen die Behörden gegen
       soziale Medien vor, als Vehikel des Protests. Die Affäre Monique Koumatekel
       wurde zu einer der vielen Initialzündungen der Revolte, die den Westen
       [2][Kameruns in einen blutigen Bürgerkrieg gestürzt] hat, von dem sehr
       wenig nach außen dringt. Auf der Liste der vergessenen Konflikte der Welt
       hält Kamerun regelmäßig den ersten Platz.
       
       ## Postkoloniale Gewaltherrschaft
       
       International ist dieser Aufstand tribal einsortiert: die englischsprachige
       Minderheit gegen den französischsprachigen Staat. Aber Kamerun insgesamt
       steht für [3][Kontinuität kolonialer und postkolonialer Gewaltherrschaft]
       in Afrika. Wut gibt es überall; Gelegenheiten, sie zu äußern, sind selten
       und müssen erkämpft werden. „Die gesellschaftliche Wirkung des Todes von
       Monique zeigt, dass es nicht um ein persönliches Problem geht, sondern um
       ein größeres gesellschaftliches Übel“, analysieren die kamerunischen
       Sozialwissenschaftler Jacquineau Azétsop, Christophe Tchawa und Sylvestre
       Omgba Essomba in einem Essay: „Die koloniale und postkoloniale
       Unterdrückung hat eine Atmosphäre der Angst und eine Kultur des Schweigens
       geschaffen, innerhalb der ohne Erlaubnis des Staates keine Geschichte
       erzählt und keine Erinnerung bewahrt werden darf.“
       
       Das Krankenhaus Laquintinie in Douala entstand 1931 als erstes Krankenhaus
       der damaligen französischen [4][Kolonialmacht für Kameruns] Schwarze –
       davor gab es bloß das aus der deutschen Kolonialherrschaft stammende
       „Nachtigal-Krankenhaus“, ein elegantes Gebäude mit europäischem Komfort nur
       für Weiße, wogegen das „Hôpital indigène“, wie es anfangs hieß, als „eine
       Art großer Hangar mit Wellblechdach“ beschrieben wird, mit 30 Holzpritschen
       und in der Mitte einem öffentlichen Behandlungstisch. Später ausgebaut,
       wurde es nach der Unabhängigkeit zu einem Hospital erster Klasse.
       
       Die Entbindungsstation wurde erst Ende Februar 2016 neu eröffnet, als die
       modernste des Landes. Eine einfache Familie wie die von Monique Koumatekel,
       die im Sammeltaxi vorfährt, ist da fehl am Platz. Wie die
       Sozialwissenschaftler ausführen: „Am Eingang muss man die Gebühr für die
       Konsultation zahlen, in der Halle auf die Ergebnisse warten, ein
       Zugangsbillet für einen Spezialisten kaufen, dann für das Labor und die
       verschiedenen Analysen zahlen und zurück zum Spezialisten.“ Die Familie
       Koumatekel konnte das alles nicht. Sie hatte nur 0,30 Euro für ein
       Skalpell.
       
       ## Das Elend des Gesundheitswesens
       
       In einem Papier resümiert der Kommunikationswissenschaftler Ndibi Ola’a
       Frederic das Elend des Gesundheitswesens in Kamerun: „Wir zahlen für ein
       Rezept. Wir zahlen für Behandlung. Wir zahlen, um die Aufmerksamkeit des
       Pflegepersonals zu bekommen. Wir zahlen, damit ein Neugeborenes nicht
       gestohlen wird und auch nicht die Organe eines Verstorbenen aus der
       Leichenhalle.“ Deswegen wusste jede Kamerunerin, die von Monique Koumatekel
       erfuhr: „Das könnte auch mein Schicksal sein.“
       
       Heute bietet Laquintinie als eines der wenigen Krankenhäuser in Kamerun
       Coronatests an. Offiziell sind sie kostenlos. Manchen Berichten zufolge
       verlangen manche Ärzte viel Geld dafür. Derweil sind in Kamerun
       Oppositionsaktivisten verhaftet worden, weil sie kostenlose Schutzmasken an
       die Bedürftigen verteilten. Die Regierung bittet um Spenden gegen Covid-19,
       aber was sie mit dem staatlichen „Solidaritätsfonds für Gesundheit“ macht,
       in den offiziell 10 Prozent der Einnahmen des Gesundheitssektors fließen,
       bleibt ihr Geheimnis.
       
       Postkoloniale Kontinuität heißt eben auch, dass Gesundheit nur für
       Privilegierte da ist. Früher gab es [5][Selektion nach Rasse], heute nach
       Geld. Ein Gesundheitssystem für alle gibt es in Kamerun nicht. Konzepte
       gäbe es. Die Coronapandemie wäre der Moment, sie zum Leben zu erwecken,
       überall auf der Welt. Das in Kameruns sozialen Bewegungen kursierende
       Modell heißt „Monique Koumatekel“.
       
       4 Aug 2020
       
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