# taz.de -- Gedenken und Luftwaffe: Stolz auf militärische Stärke
       
       > Israelische und deutsche Düsenjäger flogen gemeinsam über die
       > KZ-Gedenkstätte Dachau. Doch das ist eine eher peinliche Geste.
       
 (IMG) Bild: Die KZ-Gedenkstätte in Dachau
       
       Es gehört wohl zur Kindheitsfantasie fast aller Juden, nachträglich Hitler
       zu töten. Mir ging es in meiner Kindheit in Israel nicht anders: Die Nazis
       waren die ultimativen Schulhof-Bullys, die ich in meiner Fantasie ebenso
       erbittert bekämpfte wie das jüdische Guerilla-Kommando in Tarantinos
       Kriegsfilm-Groteske „Inglourious Basterds“.
       
       Eine Variante beschreibt David Grossman in seinem autobiografisch geprägten
       Roman „Stichwort Liebe“: Der achtjährige Momik hört aus den Gesprächen der
       Erwachsenen die Existenz eines „Nazi-Biests“ heraus, das im Land „Dort“
       seine Angehörigen quälte und das Momik zu gern besiegen möchte, um die
       Wunden seiner Familie zu heilen.
       
       Die Gesten, mit denen das „Nazi-Biest“ symbolisch besiegt werden soll, sind
       im Kindesalter verständlich, können aber als politisches Instrument zur
       Peinlichkeit werden. Für mich gehören Düsenjägerflüge über
       KZ-Gedenkstätten, wie unlängst über Dachau, zu solchen peinlichen Gesten:
       „F-16 Kampfjets der israelischen Luftwaffe und deutsche Eurofighter, am
       Rumpf das Eiserne Kreuz der Luftwaffe, passieren gemeinsam das ehemalige
       Konzentrationslager Dachau“, jubelt die Bild. Das Manöver führte auch über
       das Flugfeld Fürstenfeldbruck, wo palästinensische Terroristen [1][1972 elf
       israelische Olympia-Sportler ermordeten.]
       
       ## Das Eiserne Kreuz
       
       Gar nicht satt sehen kann sich die Bild am Eisernen Kreuz: „An ihren
       Uniformen tragen die Piloten besondere Abzeichen. Darauf zu sehen: die
       deutsche und israelische Fahne, die Kampfjets beider Nationen und –
       ineinander verwoben – der Davidstern und das Eiserne Kreuz.“ Wie man den
       wiederholten Hinweisen aufs Eiserne Kreuz anmerkt, entlastet dieses Ritual
       vor allem die Deutschen.
       
       Das Eiserne Kreuz war eine Jagdtrophäe, wie Dieter Pohl in der Zeit
       ausführte: „Vor allem die nahe der Front operierenden Sonderkommandos, die
       sowohl Juden ermordeten als auch an der Partisanenbekämpfung beteiligt
       waren, wurden von den Armeegenerälen reichlich mit Eisernen Kreuzen
       bedacht. Um nur die größten Verbrecher unter ihnen zu nennen, sei auf
       Rudolf Lange verwiesen, der für den Mord an den Juden Lettlands
       verantwortlich war, und auf Friedrich Jeckeln, der Massaker um Massaker
       organisierte, in der Westukraine, in Kiew (Babij Jar) und in Riga.“ Welche
       Erlösung fürs „wiedergutgewordene“ Deutschland (Eike Geisel): Die
       Nachfahren der Opfer sprechen das Symbol von seiner blutigen Vergangenheit
       frei.
       
       Und was soll die inszenierte Flugroute über Dachau und den Ort des
       Olympia-Attentats? Nicht nur palästinensischer Terror wird hier mit dem
       Holocaust gleichgesetzt, Netanjahu schärfte den israelischen Piloten vor
       dem Start eine weitere Analogie ein: „Damals waren es die Deutschen, die
       Juden massakriert haben. Heute kommt die Gefahr aus Iran.“ Unabhängig von
       der sehr realen Gefahr, die dem Judenstaat durch das Mullah-Regime droht:
       Müsste der vorgebliche Respekt vor den Opfern nicht solche Vergleiche
       verbieten?
       
       ## Abwertende Haltung gegenüber den Vorfahren
       
       Es ist eine eigentümlich abwertende Haltung gegenüber den eigenen
       Vorfahren, die in der israelischen Politik Vorbilder hat: schwache KZ-Opfer
       gegen männlich-heroische Kampfjetpiloten. Schon Staatsgründer Ben-Gurion
       schrieb über Schoah-Überlebende: „Wir haben menschlichen Staub, den wir aus
       der ganzen Welt sammelten, in eine unabhängige, souveräne Nation
       verwandelt.“ Menachem Begin sah Israel als „Yad Vashem mit Luftwaffe“, die
       PLO-Charta als eine Neuauflage von „Mein Kampf“ und Arafat als
       Reinkarnation Hitlers.
       
       Im Ernst, was ist das für eine Heldentat: mit amerikanischen F-16 über
       Gräberfelder zu fliegen – um deutschen und israelischen Nationalisten das
       Gemüt zu streicheln? Ich frage mich, was jüdische Widerstandskämpfer wie
       Abba Kovner oder Mordechai Anielewicz über solche Heldentaten gedacht
       hätten. Heldentaten, die es Täter-Enkeln gestatten, sich als endgültig
       reingewaschen zu fühlen. Heldentaten, die die Fronten im Nahen Osten mit
       falschen historischen Vergleichen verhärten. Wem ist damit geholfen? Werden
       jüdische Restaurants in Chemnitz und Berlin künftig mit Kampfjets
       geschützt? Wird jeder bombardiert, der „Jude“ als Schimpfwort benutzt?
       Fliegen bald Eurojets über Halle?
       
       Nein, der Düsenjäger-Kitsch taugt nicht zur Hitlerbesiegung – und schon gar
       nicht zum Kampf gegen Antisemitismus. Der bleibt, leider, mühsame
       Kärrnerarbeit.
       
       31 Aug 2020
       
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