# taz.de -- Streit im grünen Hamburg-Ottensen: Bulli gegen Fahrrad
       
       > In Hamburg-Ottensen, wo fast alle rot oder grün wählen, sind viele für
       > neue Fahrradwege. Aber wo sollen sie dann ihre großen Campingbusse
       > parken?
       
 (IMG) Bild: Bei der Baustelle für die neue Veloroute wird es eng
       
       HAMBURG taz | Mit dem Rad nach Ottensen zu fahren, ist gar nicht so
       einfach. Ein Teil der Straßen ist gesperrt und ich erkenne nicht, welcher
       Teil der Straße den Fahrradfahrenden zusteht. Für alle
       Verkehrsteilnehmer*innen ist abschnittsweise nur eine Spur frei, um in den
       Stadtteil hinein und wieder heraus zu fahren. Die Autofahrenden haben es
       eilig, deswegen nutzen sie jede Möglichkeit zum Überholen, millimetergenau
       ziehen sie an mir vorbei.
       
       Ottensen ist derzeit eine Baustelle, denn durch den Stadtteil soll eine
       [1][Veloroute] gehen, die von der Innenstadt bis nach Rissen führt. In
       Ottensen wurden die Grünen [2][bei der letzten Bürgerschaftswahl stärkste
       Partei], dennoch hat sich an den neuen Radwegen ein Streit entzündet, der
       unter anderem in der Facebook-Gruppe „Ottensen downtown – die bunte Seele
       Hamburgs“ ausgetragen wird. Denn einerseits werden durch die Bauarbeiten
       die Parkplätze knapp, andererseits wird die Situation auch nach
       Fertigstellung der Veloroute nicht viel besser werden: ein Drittel der
       Parkplätze entlang dieser Strecke soll auf Dauer wegfallen.
       
       Weiter in den Stadtteil hinein folge ich dem Radstreifen, der über den
       Bürgersteig läuft. Eine ältere Dame kommt mir zu Fuß entgegen, sie schaut
       nicht auf. Ich weiche aus auf den Bereich für Fußgänger*innen, aber dort
       kann ich nicht blieben, weil Fußgänger*innen kommen. Auf der Straße kommt
       von vorn ein Auto: Kampf oder Flucht?
       
       In der Keplerstraße, meinem Ziel, wird es wirklich eng. Bis zur Baustelle
       parken Autos dicht beieinander. Auf dem letzten Stück muss ich das Fahrrad
       schieben. Durch die Bauzäune ist der Gehweg ganz schmal und die Straße ist
       aufgerissen. An den Hauswänden und Bauzäunen lehnen unzählige Fahrräder.
       
       ## Vom Arbeiter- zum Szeneviertel
       
       Ich bin mit Claas H. verabredet, den ich über die Ottenser Facebook-Gruppe
       kontaktiert habe. Claas ist 53 Jahre alt, aber wenn er redet, wirkt er viel
       jünger. Er erzählt viel über den Wandel des Stadtteils vom Arbeiter- zum
       Szeneviertel und macht sich darüber lustig, dass in Ottensen beinah täglich
       neue Cafés und Friseure eröffnen.
       
       Von den Bauarbeiten vor seiner Haustür, die bis August 2021 gehen sollen,
       erfuhr er fünf Tage vor Beginn. Lediglich ein Aushang informierte die
       Anwohner*innen darüber, dass die Keplerstraße und die Eulenstraße dicht
       gemacht werden. Diese Ankündigung sorgte in der Ottenser Facebook-Gruppe
       für Furore. Wohin mit den Autos, wenn es keine Parkplätze mehr gibt? Einige
       Mitglieder fühlten sich übergangen, sie fragten, ob sich hier mal wieder
       die Inkompetenz durchgesetzt habe. Es gebe bessere Möglichkeiten, diese
       Route zu bauen, und wenn man es unbedingt machen wolle, solle es nicht von
       der Kfz-Steuer bezahlt werden.
       
       Die Bezirksamtsleiterin von Altona, die Grünen-Politikerin [3][Stefanie von
       Berg], schaltet sich ein: „Wenn die Mobilitätswende sichtbar werden soll,
       werden wir leider vor dem Hintergrund der ambitionierten politischen
       Bauprogramme nicht allen Interessen gerecht werden können“, postete sie in
       die Gruppe. „Man bekommt, was man wählt“, schrieb ein
       Diskussionsteilnehmer.
       
       Schon vor den Bauarbeiten gestaltete sich die Parkplatzsuche in Ottensen
       schwierig. „Wenn man einen Parkplatz findet, gibt man ihn nicht so schnell
       wieder auf“, sagt Claas H. Für ihn und seine Familie ist das Fahrrad das
       bevorzugte Verkehrsmittel. Größere Ausflüge machen sie allerdings mit ihrem
       VW-Bus, einem T5 der älteren Generation, der auch irgendwo parken muss.
       „Viele Radfahrende scheren sich kein bisschen um sicheres Fahren“, sagt
       Claas H. Ohne Rücksicht auf Verluste würden sie durch die engen Straßen
       rasen oder über rote Ampeln fahren. Das mache das Fahrradfahren für alle
       gefährlich.
       
       Manche Ottenser*innen mögen sich ein autofreies Viertel wünschen, Claas H.
       wünscht sich eine sinnvolle Mobilitätswende. „Ich will mobil bleiben, und
       zwar nicht nur mit dem Fahrrad.“
       
       Für die Zeit der Bauarbeiten fand das Bezirksamt Altona einen Kompromiss,
       der die Gemüter beruhigte. Es verfügte, dass Kepler- und Eulenstraße
       nacheinander bebaut werden und die erste Bauphase schon nach acht Wochen
       beendet sein soll. Thomas Fischer von der Baustellen-Koordination nennt das
       die „Quadratur des Kreises“: Natürlich versuche man, die Einschränkungen so
       gering wie möglich zu halten, aber es sei schwierig, alle glücklich zu
       machen.
       
       Kurze Zeit später bin ich mit Karla S. in einem kleinen Café verabredet.
       Auch sie ist Mitglied der Facebook-Gruppe. Sie kommt mit dem Fahrrad
       angefahren und begrüßt mich mit strahlendem Lächeln. Bei der Bestellung in
       dem Café bin ich etwas überfordert, es gibt so viele Arten von Kaffee,
       deren Namen ich nicht kenne. Ich frage nach einem Kakao, den man dort auch
       ungesüßt bekommen kann. Wir setzen uns nach draußen und blicken auf die
       Kopfsteinpflasterstraße, auf der dicht aneinandergereiht die Autos parken.
       
       „Ohne die wäre es hier doch viel schöner“, sagt Karla. Auf der
       gegenüberliegenden Seite sehe ich ein kleines Geschäft: „Hängematten und
       Kajaks“. Ich vermute, die angesprochene Zielgruppe ist sehr klein, doch man
       hört, dass es den Laden schon lange gibt.
       
       Karla ist Vertreterin für vier Fahrradmarken, sie und ihr Sohn erledigen
       möglichst alle Strecken mit dem Rad. Doch in Ottensen ist das bisher
       anstrengend. „Die Straßen sind teilweise sehr eng und Autofahrer*innen
       nehmen keine Rücksicht. Auf den Gehwegen stehen Tische und Bänke vor den
       Cafés und Kneipen, die meinem Sohn die Möglichkeit nehmen, dort zu fahren
       und die Radfahrstreifen führen nur in eine Richtung und werden teilweise
       unterbrochen.“
       
       ## Vorsicht vor den Fremdparker*innen
       
       Für Karla S. sind die Baustellen ein Zeichen dafür, dass sich die Situation
       bald verbessert. Das Pilotprojekt [4][„Ottensen macht Platz“] im
       vergangenen Jahr hat ihr sehr gut gefallen. Einige Straßen in Ottensen
       wurden damals für den täglichen Autoverkehr gesperrt. In dieser Zeit
       entfielen etwa 200 Parkplätze, es gab Ärger. „Autofahrer*innen haben das
       Gefühl, ihnen würde jemand die Straße wegnehmen, dabei hat niemand ein
       alleiniges Anrecht auf die Straßen.“ Ihren VW-Bus bewegt sie so selten wie
       möglich, damit ihr Parkplatz nicht von Fremdparker*innen weggeschnappt
       wird, die zum Einkaufen oder Flanieren nach Ottensen kommen.
       
       Dasselbe Café ist auch für Stephan B. gut erreichbar, deswegen treffe ich
       ihn auch dort. Stephan arbeitet mit Computern. Er ist jung, doch sein
       Vollbart gibt ihm etwas Teddyhaftes. Stephan fährt in Hamburg weder Auto
       noch Rad, denn beides erscheint ihm zu gefährlich. Er besitzt noch nicht
       mal einen VW-Bus.
       
       Die Diskussionen in der Facebook-Gruppe kann er mit einem Augenzwinkern
       abtun. „Die Menschen in Ottensen wollen eigentlich keine Autos hier haben,
       außer die Autos sind alt. Denn dann gelten sie als retro und sind cool“,
       sagt er. Seit Corona sieht er vermehrt VW-Busse und Wohnmobile in den
       Straßen. „Die Leute kaufen sich diese großen Autos und dann fällt ihnen
       ein, dass sie die auch irgendwo hinstellen müssen.“
       
       Das Bezirksamt Altona hat inzwischen eine Umfrage gestartet. Die
       Ottenser*innen sollen sagen, ob sie es befürworten, wenn nur noch
       Anwohner*innen dort parken dürften. Durch das Anwohnerparken könnte man
       wegfallende Parkplätze ersetzen, allerdings würde für die Parkplätze eine
       jährliche Gebühr anfallen. Für Menschen von außerhalb würde es dann noch
       schwieriger, in Ottensen einen Platz zu finden.
       
       24 Sep 2020
       
       ## LINKS
       
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