# taz.de -- Militärrabbiner bei der Bundeswehr: Mehr Rabbiner als Soldaten?
       
       > 2021 treten die ersten Militärrabbiner ihren Dienst an. Für die
       > Verteidigungsministerin gute PR – nur die jüdischen Soldaten hat niemand
       > gefragt.
       
 (IMG) Bild: Bald Standard bei der Bundeswehr: ein Rabbiner für fünf jüdische Soldaten, hier in Berlin-Weißensee
       
       Es war eine feierliche Zeremonie: Am 20. Dezember vergangenen Jahres, kurz
       vor Beginn des Chanukka-Festes, unterzeichneten Verteidigungsministerin
       Annegret Kramp-Karrenbauer und Josef Schuster, Vorsitzender des Zentralrats
       der Juden, einen Vertrag. „Ein historischer Tag“, sagte Schuster, und die
       Ministerin pflichtete ihm bei: „Ein großer Tag, auf den wir gemeinsam stolz
       sein können.“ Nach 100 Jahren [1][soll es in der deutschen Armee endlich
       wieder Rabbiner geben]. „Die Militärrabbiner werden eine wichtige Stütze
       für die jüdischen Soldaten sein“, sagte Schuster [2][bei der
       Unterzeichnung].
       
       Anfang kommenden Jahres sollen die ersten Militärseelsorger ihren Dienst
       bei der Bundeswehr antreten. Geplant sind zehn Rabbiner, dazu kommen Büros
       und weiteres Personal. Der Gesetzentwurf sieht 48 Dienstposten für das
       Militärrabbinat vor und beziffert die jährlichen Gesamtkosten auf rund 4,67
       Millionen Euro.
       
       Man könnte das für eine willkommene Normalisierung jüdischen Lebens in der
       Bundeswehr halten. So wie sich Militärpfarrer um evangelische und
       katholische Soldaten kümmern, sollen endlich auch jüdische Soldaten
       religiöse Seelsorge erhalten.
       
       Doch wer ein wenig nachhakt, bekommt den Eindruck, dass es dabei vor allem
       um Symbolpolitik geht. Bei der Recherche wird deutlich, dass die Bundeswehr
       zweifelhafte Zahlen zu Juden in der Bundeswehr nennt, und dass jüdische
       Soldaten bei der Planung nicht einbezogen wurden.
       
       ## 300 oder viel weniger?
       
       „Etwa 300 jüdische Soldaten gibt es in der Bundeswehr“, sagt das
       Verteidigungsministerium. Das wäre statistisch verwunderlich: Die jüdische
       Gemeinde in Deutschland ist in ihrer demografischen Zusammensetzung alt,
       viele sind in den neunziger Jahren erst als Erwachsene aus der ehemaligen
       Sowjetunion eingewandert. Wenn tatsächlich 300 von etwa 95.000 jüdischen
       Gemeindemitgliedern bei der Bundeswehr dienen würden, wäre ihr Anteil
       deutlich höher als in der Gesamtbevölkerung.
       
       Dabei wurden Juden bis zur Aussetzung der Wehrpflicht 2011 nicht
       eingezogen. Kann es sein, dass ausgerechnet der Dienst in der
       Nachfolgeorganisation der Wehrmacht plötzlich so attraktiv geworden ist?
       Dazu kommt, dass jungen Juden in der Diaspora, die sich fürs Militär
       interessieren, noch eine zweite Armee offen steht: Die israelische IDF.
       
       Ein Anruf bei einer der größten jüdischen Gemeinden Deutschlands. Ein
       hochrangiger Funktionär erklärt, dass er über die geplanten Militärrabbiner
       nicht öffentlich reden möchte. Lediglich auf die Frage, ob ihm jüdische
       Soldaten bekannt seien, antwortet er: „Ich kannte mal einen, vor Jahren.“
       
       Der Zentralrat teilt mit, dass er die Berufsstände seiner Mitglieder nicht
       erhebt. Die Anzahl von rund 300 jüdischen Soldaten beruhe auf Schätzungen
       des Verteidigungsministeriums.
       
       Doch wie „schätzt“ die Bundeswehr, ob ein Soldat jüdisch ist? Zunächst
       heißt es, die Zahl basiere auf der freiwilligen Angabe bei Diensteintritt.
       Auf die Nachfrage, wie viele genau ihre Religionszugehörigkeit als jüdisch
       angegeben haben, korrigiert sich der Sprecher des
       Verteidigungsministeriums: Die Zahl basiere auf einer Umfrage [3][des
       Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaft] und sei eine
       „Hochrechnung.“ Welche Umfrage aus welchem Jahr das sein könnte, kann der
       Sprecher nicht sagen. Bei dem Zentrum recherchiert man in den Studien der
       vergangenen Jahre und sagt der taz am Wochenende: „Wir haben das nicht
       erhoben.“
       
       Die Sachlage ist in der Tat schwierig. Nicht alle Juden in Deutschland sind
       Mitglieder jüdischer Gemeinden. Brauchen aber Soldaten, die nicht in eine
       Gemeinde eintreten wollten, deren Rabbiner? Selbst die Mehrheit der
       Gemeindemitglieder lebt eher säkular, geht also selten oder nie in die
       Synagoge und hält auch die Regeln für koscheres Essen nicht ein. Ist
       religiöser Beistand das, was jüdische Soldaten, egal wie viele, dringend
       benötigen?
       
       Die Bundeswehr hätte bei einem Verein anfragen können, der sowohl die Zahl
       der Juden in der Bundeswehr als auch ihre Bedürfnisse besser kennen dürfte,
       beim Bund jüdischer Soldaten. Doch daran bestand offenbar kein Interesse.
       
       Ehrenvorsitzender des Vereins ist Michael Fürst, er war der erste jüdische
       Bundeswehrsoldat überhaupt, war Fallschirmjäger und viele Jahre Reservist.
       Fragt man Fürst, wie viele aktive jüdische Soldaten in der Bundeswehr er
       kenne, zählt er am Telefon bis sechs. Sein Verein hat 15 bis 20 Mitglieder,
       die meisten längst nicht mehr im Dienst. „Wir vom Bund jüdischer Soldaten
       halten die Zahl 300 für weit überzogen“, sagt Fürst. Vielleicht gebe es 40
       oder 50 jüdische Bundeswehrsoldaten, seriös könne man das aber nicht
       schätzen.
       
       10 Rabbiner für höchstens 50 meist säkulare jüdische Soldaten? Für einen
       Gottesdienst nach jüdischen Vorschriften braucht es mehr als zehn
       erwachsene Teilnehmer – an einem Standort.
       
       Michael Fürst hat mit Kramp-Karrenbauer und ihrer Vorgängerin von der Leyen
       über die geplanten Militärrabbiner gesprochen. Ein Foto auf dem
       Twitter-Kanal der CDU zeigt ihn mit Kramp-Karrenbauer, die damals noch
       Generalsekretärin war. „Wir haben unsere Expertise angeboten, wir haben
       aber auch gesagt, dass wir damit Probleme haben“, sagt Fürst.
       
       „Die jüdischen Soldaten, die wir kennen, brauchen keine Rabbiner. Die
       wollen bessere Ausrüstung, gute Arbeitsbedingungen. So wie alle anderen
       auch.“ Fürst erzählt, wie er schon in den neunziger Jahren mit der
       Bundeswehr verhandelt habe, dass jüdische Soldaten auf Wunsch in der Nähe
       einer Gemeinde stationiert werden könnten, um Zugang zu Gottesdiensten und
       zu koscherem Essen zu bekommen. „Sollte man sich nicht zunächst einmal
       bemühen, Juden für die Bundeswehr zu gewinnen und dann zu fragen, ob ein
       Bedarf besteht?“ Auf Fürsts Bedenken wurde nicht gehört.
       
       ## Pädagogen statt Rabbiner
       
       Wenn es der Bundeswehr nicht um die Interessen jüdischer Soldaten geht,
       worum dann? Laut dem Zentralrat sollen die Militärrabbiner neben ihrer
       Arbeit als Seelsorger im Werteunterricht die nichtjüdischen Soldaten
       unterrichten und damit antisemitischen Stereotypen entgegenwirken.
       
       Das hat die Bundeswehr dringend nötig. Immer wieder decken journalistische
       Recherche antisemitische Vorfälle in der Bundeswehr auf, von Hitlergrüßen
       über rechtsextreme Chats oder gesammelten NS-Devotionalien. Im August
       [4][berichtete der Spiegel], der Militärische Abschirmdienst prüfe derzeit
       638 rechtsextreme Verdachtsfälle.
       
       Aber sind Rabbiner das richtige Gegenmittel? Oder wäscht sich die
       Bundeswehr mit den Militärrabbinern rein, statt Antisemitismus und
       Rechtsextremismus wirksam zu bekämpfen? „Dafür hätte man auch Pädagogen
       einstellen können“, sagt Michael Fürst vom Bund jüdischer Soldaten.
       
       Hört man sich in jüdischen Gemeinden um, sehen viele das Abkommen mit der
       Bundeswehr skeptisch. Aber warum macht der Zentralrat dabei mit?
       
       In Deutschland entscheiden die jüdischen Gemeinden in den verschiedenen
       Städten autonom über ihre Rabbiner. Mit den Militärrabbinern bekommt der
       Zentralrat das erste Mal die Möglichkeit, selbst über die Auswahl von
       Rabbinern zu bestimmen.
       
       ## Überangebot an Rabbinern
       
       Hinzu kommt, dass in Deutschland zu viele Rabbiner für zu wenig
       Synagogenbesucher ausgebildet werden. Zehn Rabbinerstellen als Beamte bei
       der Bundeswehr wären also für die beiden Ausbildungsstätten für Rabbiner in
       Deutschland attraktive Aussichten für ihre Absolventen. Dazu passt, dass
       sich Walter Homolka, selbst Reservist und Leiter des liberalen
       Rabbinerseminars in Potsdam, stark für die Militärrabbiner eingesetzt hat.
       
       Bei der Unterzeichnung des Staatsvertrags bezeichnete Josef Schuster vom
       Zentralrat ihn als [5][„Spiritus Rector“ des Programms.] Homolka ist
       Konvertit, auch seine Schule in Potsdam wird von vielen Konvertiten
       besucht, die es in jüdischen Gemeinden oft schwerer haben, eine Stelle als
       Rabbiner zu bekommen. In Zukunft können sie nichtjüdischen Soldaten mit
       Antisemitismusproblem das Judentum näherbringen. [6][Homolka sagt über die
       Militärrabbiner] „Es tilgt meines Erachtens das Unrecht, das Juden in
       deutschen Armeen früher erfahren mussten.“
       
       Es ist nicht das erste Mal, dass die Bundeswehr Antisemitismus in den
       eigenen Reihen mit ungewöhnlichen Methoden bekämpft. Schon in den 1950er
       Jahren, bevor es überhaupt offizielle Beziehungen zwischen Israel und der
       Bundesrepublik gab, rüstete die Bundeswehr ihre Soldaten mit der
       israelischen Maschinenpistole Uzi aus. Als es in Israel gegen die
       Zusammenarbeit mit den Deutschen Proteste gab, versicherte der Journalist
       und Adenauer-Berater Rolf Vogel dem stellvertretenden Verteidigungsminister
       Shimon Peres: „Die Uzi in den Händen eines deutschen Soldaten ist besser
       als jede Broschüre gegen Antisemitismus.“
       
       Gut 60 Jahre später treten bald Militärrabbiner den Dienst in der
       Bundeswehr an. Muslimische Soldaten bleiben dagegen vorerst ohne
       Seelsorger. Es sind etwa 3.000. Schätzungsweise.
       
       24 Oct 2020
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Militaerrabbiner-fuer-die-Bundeswehr/!5689165
 (DIR) [2] https://www.juedische-allgemeine.de/religion/vertrag-fuer-militaerrabbiner-wird-unterzeichnet/
 (DIR) [3] http://www.zmsbw.de/
 (DIR) [4] https://www.spiegel.de/politik/deutschland/bundeswehr-mad-bearbeitet-mehr-verdachtsfaelle-wegen-rechtsextremismus-a-007c0e3d-794f-4831-85bb-699ce2d53237
 (DIR) [5] https://www.juedische-allgemeine.de/politik/ein-historischer-tag/
 (DIR) [6] https://www.bundeswehr.de/bw-de/organisation/streitkraeftebasis/aktuelles/mich-als-typen-hat-s-gebraucht--864470
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Kersten Augustin
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