# taz.de -- Miniserie „The Undoing“: Wenn die Idylle zersplittert
       
       > Die Miniserie „The Undoing“ mit Nicole Kidman und Hugh Grant kombiniert
       > Krimikonvention mit einer Satire auf die New Yorker Oberschicht.
       
 (IMG) Bild: Ist Psychotherapeutin Grace Fraser (Nicole Kidman) privat wirklich so blind?
       
       Kaum eine andere Schauspielerin verkörpert die schmallippig-grazile
       US-Upperclass-Lady besser als die Australierin [1][Nicole Kidman], die es
       seit den Neunzigern mit Filmen wie „Eyes Wide Shut“ in Hollywood zu einer
       steilen Karriere gebracht hat und seit geraumer Zeit auch im Goldenen
       Serienzeitalter der Kabelsender und Streamingdienste zu den großen Playern
       gehört.
       
       Eine Variation dessen spielt sie nun im Mehrteiler „The Undoing“ als
       erfolgreiche Psychotherapeutin Grace Fraser, die mit ihrem Ehemann Jonathan
       ([2][Hugh Grant]), einem beliebten Kinderonkologen, und dem begeistert
       Violine spielenden Sohn Henry (Noah Lupe) eine so derart märchenhaft
       perfekte Traumfamilie der New Yorker Oberschicht abgibt, dass man nur auf
       das titelgebende Verhängnis wartet.
       
       So ernst sich „The Undoing“ dann im Laufe dieser sechs Stunden als
       hakenschlagender Thriller nimmt, so süffisant ist der satirische Unterton,
       mit dem diese Welt der Ostküstenelite porträtiert wird, in der die oberen 1
       Prozent hin und wieder mit Wohltätigkeitsgesten ihr latent schlechtes
       Gewissen beruhigen, um umso hemmungsloser die eigenen Privilegien
       auszukosten.
       
       Gleich in der ersten Folge, die seit Montag auf Sky Atlantic läuft,
       veranstaltet die private Eliteschule, die stolze 50.000 Dollar pro Jahr und
       Kind kostet, im Luxusloft eine Spendenauktion zugunsten der Diversität an
       der Schule, bei der die nahezu exklusiv weiße Elternschaft wie zu einer
       Gala aufgebretzelt erscheint und ohne mit der Wimper zu zucken ein schnödes
       Glas Wasser für 1.000 Dollar ersteigert wird.
       
       Das Event vorbereitet hat ein Komitee steinreicher Mütter, die ihre
       Charity-Aktivitäten vor allem als Gossip-Umschlagplatz und zum Netzwerken
       nutzen. Als dort Elena Alvarez (Matilda De Angelis) mithelfen will, eine
       junge Latina aus Harlem, deren Sohn selbst dank eines Stipendiums
       aufgenommen wurde, wird sie mit ihrer unbeholfenen Art konsterniert wie ein
       Alien beäugt, vor allem als sie am Tisch beginnt, ihr Baby zu stillen. Man
       hilft ja gerne, bleibt dabei aber lieber unter sich.
       
       Am Tag nach der Auktion ist die Frau tot, brutal in ihrem Künstleratelier
       ermordet. Und just Jonathan Fraser gerät unter Verdacht, nachdem er am
       selben Tag verschwunden ist und seine Affäre mit Elena auffliegt. Der
       schelmische Charmeur entpuppt sich als Soziopath mit Doppelleben, aber
       ist er wirklich zu einem Mord fähig? Wie zerrütten solche Anschuldigungen
       eine Familie, so wohlhabend sie auch sein mag? Und ist Grace, die ihre
       Menschenkenntnis erfolgreich zum Beruf gemacht hat, privat wirklich so
       blind? Oder weiß sie mehr? Im Notfall jedenfalls bleibt sie die Tochter
       eines Milliardärs (Donald Sutherland), der im Palast über den Dächern
       Manhattans geschickt und nicht immer legal Einfluss geltend macht, wenn es
       um die Reputation der Familie geht.
       
       „The Undoing“ ist das Projekt des [3][Seriengurus David E. Kelley], der in
       den Neunziger- und Nullerjahren mit „Alley McBeal“, „Boston Legal“ und
       „The Practice“ für die Fernsehsender Hits in Reihe lieferte und dem vor
       drei Jahren mit der hochkarätig besetzten [4][HBO-Miniserie „Big Little
       Lies“] ein spektakuläres Comeback gelang. Dessen Erfolgskonzept aus
       opulent inszeniertem Kriminaldrama mit dysfunktionalen Familien und
       komplexen Frauenfiguren in schicken Apartments versucht er nun zu
       wiederholen, Hauptdarstellerin Nicole Kidman inklusive.
       
       Neben dem Budget der Serie, das es leicht mit dem Hollywood-Arthousekino
       früherer Jahre aufnehmen kann, ist „The Undoing“ auch ein in dieser
       Konzentration überdeutlicher Ausdruck für die seit Jahren andauernde
       Talentflucht vom Kino zu den Bezahlsendern und Streamingdiensten.
       Hochkarätig ist hier nicht nur die Darstellerriege, inszeniert hat die
       sechs Folgen die dänische Regisseurin Susanne Bier (unter anderem
       Europäischer Filmpreis für „In einer besseren Welt“), für die Kamera ist
       Oscarpreisträger Anthony Dod Mantle („Slumdog Millionär“) verantwortlich.
       
       Die Perspektive verharrt bisweilen lange auf den Augen der Protagonisten,
       doch was sie sehen, ist selten klar, weder ihnen noch dem Publikum. Die
       Bilder gleiten immer wieder in die Unschärfe ab, Wirklichkeit und
       Einbildung verschwimmen. Die Wahrheit, was immer das ist, vermag kaum
       jemand zu erkennen oder auszuhalten.
       
       Das ist, wie der ausgestellte Reichtum und Kunstwille der Oberschicht,
       nicht sonderlich subtil, doch Kelley und Bier verknüpfen unterhaltsam und
       spannend genug eine nach vielen Seiten offene Krimihandlung mit
       unterkühltem Familienmelodram und edel ausgestatteter Satire auf die
       Klassengesellschaft und ihren verlogenen Privilegieneiertanz. Es ist
       freilich hübsch anzusehen, wie diese großbürgerliche Idylle langsam
       zersplittert, so angestrengt dabei auch versucht wird, die Fassade zu
       wahren, was in Zeiten von 24-Stunden-Nachrichten, sozialen Medien und einer
       divers zusammengesetzten Öffentlichkeit, die eine bevorzugte Behandlung von
       Privilegierten nicht einfach so hinnimmt, alles andere als leicht ist.
       
       Der letztlich klassische Whodunit basiert auf der Kunst des Cliffhangers
       und arbeitet auch bei der Ausstrahlung konsequent mit Verknappung. Gezeigt
       wird die Miniserie in wöchentlichen Happen, eine Taktik, die angesichts der
       Bingekultur der Streamingdienste einen gewissen Oldschool-Touch hat, für
       die auf Spannung und Rätselraten aufgebaute Dramaturgie aber durchaus
       sinnvoll ist.
       
       Nur den Blick auf Twitter und in einschlägige Serienforen sollte man sich
       die nächsten Wochen verkneifen. In dem produzierenden US-Sender HBO lief
       die finale Folge bereits vergangenen Sonntag und die Auflösung wird nun
       online heiß debattiert.
       
       2 Dec 2020
       
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