# taz.de -- Referendum gegen Gemeinderätin: Mutige Japanerin abgestraft
       
       > Auf fragwürdige Weise hat ein Bürgermeister einen ganzen Ort gegen eine
       > Frau mobilisiert. Sie hatte ihn der Vergewaltigung bezichtigt.
       
 (IMG) Bild: Das japanische Dorf Kusatsu – eigentlich bekannt für seine heißen Quellen
       
       TOKIO taz | Das Dorf Kusatsu in den Bergen drei Autostunden nordöstlich von
       Tokio ist eigentlich für seine Quellen mit heilendem Heißwasser aus dem
       vulkanischen Untergrund bekannt. Doch am Sonntag wurde es zum Schauplatz
       für eine Demonstration der Männermacht in Japans Politik.
       
       Bei einem Referendum stimmten mehr als 90 Prozent der Bürger*innen von
       Kusatsu für den Ausschluss von Shoko Arai aus dem Gemeinderat, der einzigen
       Frau unter den zwölf Abgeordneten.
       
       Als sie die Sitzung des Rates am Tag danach von der Besuchergalerie aus
       verfolgte, protestierten draußen einige Frauen mit Plakaten wie „Schäm
       dich, Bürgermeister!“ und „Bitte keine zweite Vergewaltigung!“.
       
       Was war geschehen? Im letzten Herbst hatte die 51-jährige Arai in einem
       Buch Bürgermeister Nobutada Kuroiwa vorgeworfen, sie 2015 in seinem Büro
       vergewaltigt zu haben. Möglicherweise war sie nicht sein einziges Opfer.
       
       ## Auf Vergewaltigungsvorwurf folgte Hexenjagd
       
       Doch der 73-Jährige reagierte mit einer regelrechten Hexenjagd. Zuerst
       sorgte er dafür, dass seine Anklägerin im Dezember 2019 aus dem Gemeinderat
       entfernt wurde.
       
       Zwar hob der Gouverneur der Präfektur Gunma auf Antrag von Arai den
       Ausschluss später wieder auf. Aber es folgte eine Zermürbungskampagne: Sie
       musste sich immer wieder rechtfertigen, es gab kritische Flugblätter, man
       kürzte ihr Gehalt als Abgeordnete.
       
       Im Oktober initiierte der Bürgermeister dann ein Volksbegehren, um Arai aus
       dem Rat zu werfen. Dafür setzte er die ganze Macht seines Amtes ein: Der
       Ort wurde mit Plakaten gegen sie gepflastert, in Rundschreiben wurde jeder
       Haushalt aufgefordert, gegen Arai zu stimmen. Denn sie habe dem Image des
       Ortes geschadet und vergraule viele Touristen, von denen der Ort leben.
       
       Die Ironie an der Geschichte: In Japan dient ein Referendum eigentlich
       dazu, dass Bürger sich gegen die Obrigkeit wehren können, jetzt war es eher
       umgekehrt.
       
       ## Als Nestbeschmutzerin abgestempelt
       
       Gegen die Angriffe lancierte die tapfere Arai eine Internet-Petition, die
       inzwischen über 14.000 Japaner*innen unterzeichnet haben. „Die Leute in
       Kusatsu stehen unter Druck von Hoteliers und anderen lokalen Arbeitgebern,
       gegen mich zu stimmen“, beschwerte sie sich.
       
       Doch es half nichts, obwohl die Meinungen durchaus geteilt waren. „Sie ist
       für ein öffentliches Amt nicht geeignet“, sagte ein 58-Jähriger der Zeitung
       Asahi. Eine über 50-Jährige sagte: „Das Ganze riecht doch nach Diktatur.“
       
       Ausländische Beobachter*innen sind [1][nicht überrascht]: In Japans Politik
       sind Männer fast unter sich. Keine zehn Prozent der Parlamentsabgeordneten
       sind weiblich. Damit ist Japan auf der Rangliste der Interparlamentarischen
       Union auf Rang 166 von 194 Nationen.
       
       Die konservative Regierung von Yoshihide Suga will jetzt per Gesetz eine
       Frauenquote von 35 Prozent für lokale, regionale und nationale Parlamente
       vorschreiben – aber nur bei den Kandidat*innen, nicht den Abgeordneten
       selbst.
       
       8 Dec 2020
       
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