# taz.de -- Händler gegen Lebensmittelvernichtung: Grüne Zitronen, krumme Gurken
       
       > Obst und Gemüse ohne Standardaussehen wird massenweise vernichtet. Nur
       > wenige Händler versuchen, dagegen vorzugehen.
       
 (IMG) Bild: Krumme Gurken gelangen wegen „optischer Mängel“ meist nicht in den Handel
       
       BERLIN taz | Die Kundin im Bioladen nimmt einen Blumenkohl in die Hand,
       sieht ein paar braune Stellen und legt ihn wieder zurück. Marie Pigors
       wundert dieses Verhalten nicht. „Bei Obst und Gemüse spielt das Aussehen
       meist die entscheidende Rolle, auch bei Käufern von Bioware“, sagt Pigors,
       die zur Betriebsleitung des Naturkost Kontors Bremen gehört, und fügt
       hinzu: „Wir beliefern 600 Läden mit Biolebensmitteln aus unserer Region.
       Davon kaufen nur zwei bei uns krumme Gurken ein.“
       
       Petra Dittmar ist Besitzerin von Bioeck Naturkost, ein 90 Quadratmeter
       großer Biofachladen in Offenbach. Sie bestätigt Pigors Aussagen: „Unsere
       Kunden wissen, warum Möhren krumm sind, die werden gekauft wie gerade
       Möhren. Aber nicht nur der Geschmack zählt, sondern auch das Aussehen. Die
       Kunden sind sehr anspruchsvoll.“ Anfangs hat Dittmar Rosenkohl so
       angeboten, wie er vom Großhändler kam – inzwischen putzt sie ihn, damit er
       nicht mehr schmutzig aussieht. „Seitdem wird er besser gekauft“, sagt sie.
       
       [1][15 Prozent der Speisekartoffeln] gelangen wegen optischer Mängel nicht
       in den Handel. 25 Prozent der Erdbeeren werden wegen unschöner Stellen
       vernichtet. Jeder dritte Salat wird untergepflügt, weil die Köpfe zu klein
       oder zu groß sind. Das berichten Erzeugerbetriebe in der Studie [2][Umwelt-
       und klimarelevante Qualitätsstandards im Lebensmitteleinzelhandel], die das
       Umweltbundesamt im September veröffentlicht hat.
       
       Sprich: Obst und Gemüse mit einwandfreiem Geschmack wird [3][massenhaft
       entsorgt], vor allem wegen der von den Lebensmittelketten festgelegten
       Standards. Laut Bundesernährungsministerium werden jährlich nach der Ernte
       1,4 Millionen Tonnen Lebensmittel zu Abfällen. Während der Verarbeitung
       kommen weitere 2,2 Millionen Tonnen dazu.
       
       ## „Nachfrage steigt stetig“
       
       Es gibt einzelne Händler, die dagegen angehen. Aber auch Initiativen bei
       den großen Konzernen. Aldi Süd vermarktet seit 2017 „Krumme Dinger“ zu
       einem reduzierten Preis. „Der Test ist sehr erfolgreich verlaufen“, sagt
       Aldi-Sprecherin Carolin Sunderhaus. Allerdings räumt sie ein, dass „krumme
       Möhren“ wieder aus dem Angebot genommen wurden und nur noch Äpfel mit
       Schönheitsfehlern angeboten werden.
       
       Bei Penny werden unter der Marke „Naturgut Bio-Helden“ je nach Saison bis
       zu 24 unterschiedliche Obst- und Gemüseartikel in Bioqualität geführt, für
       die der Kunde auch bei „kleinen Form- oder Schalenfehlern“ den normalen
       Preis zahlt. „Das Angebot wird von unseren Kunden gut angenommen, die
       Nachfrage steigt stetig“, sagt Rewe-Sprecherin Kristina Schütz.
       
       Kaufland verkauft lose Äpfel, Karotten und Kartoffeln mit optischen Mängeln
       als „Die etwas Anderen“ und spricht von „extrem positiver“ Resonanz. Genaue
       Absatzzahlen nennt kein Konzern. „Reichweite und Relevanz dieser Ansätze
       sind bislang noch als marginal zu bewerten“, lautet das Urteil des
       Umweltbundesamtes. Es empfiehlt dem Handel, seine Standards zu entschärfen
       – bislang schaffen es kleine Blumenkohlköpfe nicht ins Ladenregal, weil sie
       nicht nach Gewicht, sondern pro Stück verkauft werden.
       
       Pigors verkauft ihre Ware auch auf einem Wochenmarkt und erklärt dort,
       warum Zitronen oft grün aussehen oder Kohlrabis unterschiedlich groß sind.
       „Im Gespräch lassen sich Kunden überzeugen“, sagt Pigors. Das reiche jedoch
       nicht aus: „Ernährung muss in der Bildung eine größere Rolle spielen. Und
       es muss mehr dafür getan werden, dass regionale Lebensmittel nicht von
       billigerem Obst und Gemüse von weit weg verdrängt werden, deren Anbau und
       Transport die Umwelt belastet.“
       
       19 Jan 2021
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Lebensmittelvernichtung-in-Finnland/!5307305
 (DIR) [2] https://www.umweltbundesamt.de/publikationen/umwelt-klimarelevante-qualitaetsstandards-im
 (DIR) [3] /Haltbarkeit-von-Lebensmitteln/!5114892
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Joachim Göres
       
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