# taz.de -- Bundeszentrale für politische Bildung: Unabhängigkeit bedroht
       
       > Auf Bitten des Bundesinnenministeriums änderte die bpb einen Teaser im
       > Linksextremismus-Dossier. Der taz liegt nun der Wortlaut dieser „Bitte“
       > vor.
       
 (IMG) Bild: Linksradikales Graffito in Berlin-Neukölln
       
       Bis vor Kurzem definierte die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb)
       Linksextremismus unter anderem mit diesem Satz: „Im Unterschied zum
       Rechtsextremismus teilen sozialistische und kommunistische Bewegungen die
       liberalen Ideen von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – interpretieren
       sie aber auf ihre Weise um.“
       
       Der Satz, Teil eines Teasers für ein Onlinedossier über Linksextremismus,
       stand schon über zehn Jahre auf der Website der bpb. Er stammt vom
       Politikwissenschaftler Hans-Gerd Jaschke, emeritierter Professor an der
       Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin. Mitte Januar hat die bpb den
       Teaser durch eine Definition der „Sicherheitsbehörden“ ersetzt.
       
       Die bpb mit Hauptsitz in Bonn wurde 1952 gegründet, um das politische
       Wissen und Mitwirken der Bürgerinnen und Bürger zu stärken und
       demokratisches Bewusstsein zu festigen. Thomas Krüger, SPD-Politiker und
       ehemaliger Bürgerrechtler der DDR, leitet die Behörde.
       
       Das Bundesinnenministerium (BMI) führt die Fachaufsicht über die bpb aus,
       das heißt, diese ist dem BMI unterstellt. Die bpb beansprucht,
       überparteilich und wissenschaftlich ausgewogen zu sein, sie beruft sich auf
       den 1976 formulierten Beutelsbacher Konsens: Niemand soll indoktriniert
       werden, Kontroversen in Politik und Wissenschaft sollen als solche
       behandelt werden, Adressaten der politischen Bildung sollen sich selbst
       eine Meinung bilden. Nun wirft die Änderung des genannten Teasers die Frage
       auf, ob die Bildungsinstitution diesen Grundsätzen gerecht wird – und wie
       unabhängig sie überhaupt arbeitet. Kai Gehring,
       Grünen-Bundestagsabgeordneter, sagt über diesen Fall, Rechte würden gezielt
       versuchen, Misstrauen gegen demokratische Institutionen und
       wissenschaftliche Erkenntnisse schüren. Stimmt das?
       
       ## Beginn eines Shitstorms
       
       10. Januar 2021, 15.26 Uhr, „Jan“, in dessen Twitter-Bio „CDU & JU“ und
       „Konservatismus“ stehen, twittert: „Kein WITZ, eher ein Skandal: Die bpb
       schreibt allen Ernstes über Linksextremismus: ‚Im Unterschied zum
       Rechtsextremismus teilen sozialistische und kommunistische Bewegungen die
       liberalen Ideen von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit.‘“ Bis dato
       gefällt das 1.709 Personen, 345 Retweets, 59 zitierte Tweets.
       
       10. Januar, 16.37 Uhr: Hubertus Knabe, umstrittener ehemaliger Direktor der
       Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, teilt den Tweet mit dem Kommentar:
       „Irre, was die @bpb_de da verbreitet. Wer nach Diktatur und Terror und 100
       Millionen Toten immer noch von der Idee der Freiheit spricht, macht sich
       mit den Verbrechern eins. Wo bleibt die Aufsicht der Geldgeber? @BMI_Bund
       @SteffenBilger @MGrosseBroemer“. 972 gefällt das, 282 Retweets, 16
       zitierte Tweets.
       
       10. Januar, 16.46 Uhr: Anna Schneider, Redakteurin im Berliner Büro der
       NZZ, twittert einen Screenshot des Teasers, markiert den Satz, den auch
       „Jan“ getwittert hat und kommentiert: „Das ist eine ernstgemeinte
       Veröffentlichung der Bundeszentrale für politische Bildung, also einer
       staatlichen (Bildungsförderungs)Institution.“ 3.057 gefällt das, 744
       Retweets, 186 zitierte Tweets.
       
       ## Die „besseren Extremisten“
       
       11. Januar: Die rechte Zeitung Junge Freiheit veröffentlicht einen Artikel:
       „Forderung nach Korrektur: Kritik an Linksextremismus-Dossier der
       Bundeszentrale für politische Bildung“.
       
       12. Januar: Das rechte Magazin Tichys Einblick veröffentlicht auch die
       Zeile: „Liberale Linksextremisten? Empörung über die Bundeszentrale für
       politische Bildung“.
       
       12. Januar, 17.44 Uhr: Nun geht die Bild damit online: „‚Verharmlosung des
       Kommunismus‘: Sind Linke die besseren Extremisten? Kritik an
       Linksextremismus-Darstellung der Bundeszentrale für politische Bildung“.
       Sie zitiert Thorsten Frei, den stellvertretenden Vorsitzenden der
       CDU/CSU-Bundestagsfraktion und Vorsitzenden des Kuratoriums der bpb: „Die
       Aussagen der Bundeszentrale für politische Bildung zum Linksextremismus
       sind sehr gefährlich und müssen dort sofort revidiert werden!“ Die Bild
       schreibt auch, das BMI habe die bpb gebeten, den Teaser zu überarbeiten.
       
       Wie genau diese „Bitte“ des BMI aussieht, geht nun aus einer
       Mail-Korrespondenz hervor, die das Informationsportal „Frag den Staat“
       durch eine [1][Anfrage nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG)] erhalten
       hat und die auch der taz vorliegt.
       
       12. Januar, 15.42 Uhr: Das zuständige „Referat G II 4 Politische Bildung
       und politische Stiftungen“ kontaktiert die Bundeszentrale für politische
       Bildung erstmals in der Sache, zitiert den oben genannten Satz aus dem
       Teaser und schreibt: „Auch wenn diese Formulierung Bewertungen aus der
       Extremismusforschung wiedergibt, hat sie doch in der Öffentlichkeit zu
       zahlreichen Fehlinterpretationen und Missverständnissen geführt.“
       
       Das BMI-Referat bittet, die Einleitung zum Dossier Linksextremismus „in der
       jetzigen Form schnellstmöglich aus dem Netz zu nehmen und einen mit der
       Fachaufsicht bis 15.01.2021 abzustimmenden neuen Einleitungstext
       vorzusehen.“
       
       ## Noch immer nicht zufrieden
       
       12. Januar, 16.14 Uhr: Die bpb, vermutlich der Fachbereich „Grundsatz“, der
       für die Berichterstattung gegenüber dem BMI zuständig ist, antwortet, dass
       die bpb den Teaser „aufgrund von öffentlichen Reaktionen“ bereits geändert
       habe, „um weitere Missverständnisse zu vermeiden“. In der geänderten
       Version steht weiterhin der oben zitierte Satz, nur dass sich
       sozialistische und kommunistische Bewegungen jetzt auf die liberalen Ideen
       von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit „berufen“, statt sie zu
       „teilen“. Ergänzt wird der Satz durch ein Zitat des Soziologen und
       Politikwissenschaftlers Armin Pfahl-Traughber, ehemaliger Referatsleiter
       der Abteilung Rechtsextremismus im Bundesamt für Verfassungsschutz. Er
       stellt ideelle Gemeinsamkeiten und praktische Differenzen zwischen
       demokratischen und extremistischen Linken fest.
       
       12. Januar, 16.33 Uhr: Das BMI gibt sich damit nicht zufrieden, weil die
       neue Einleitung „weiterhin den streitgegenständlichen Satz, wenn auch in
       abgeänderter Form“ enthalte. Es bleibe „bei der Vermischung von
       kommunistischen Bewegungen mit liberalen Ideen, die als Relativierung und
       Verharmlosung von Kommunismus verstanden werden kann.“
       
       13. Januar, 8.34 Uhr: In einem weiteren Vorschlag hat die bpb den
       „streitgegenständlichen Satz“ gelöscht, der Teaser besteht nun fast
       ausschließlich aus einem Zitat von Pfahl-Traughber, wonach Linksextremismus
       eine „Sammelbezeichnung für alle politischen Auffassungen und Bestrebungen“
       sei, die im Namen einer von sozialer Gleichheit geprägten
       Gesellschaftsordnung, „die Normen und Regeln eines modernen demokratischen
       Verfassungsstaates grundsätzlich ablehnen und für nicht reformierbar
       halten“.
       
       14. Januar, 17.08 Uhr: Das BMI „bittet“ nun einen mit der „Abteilung ÖS“
       abgestimmten, ganz anderen Text als Einleitung auf die Homepage zu stellen.
       Es ist jener, der heute als Teaser über dem Dossier steht. „ÖS“ steht für
       „Öffentliche Sicherheit“, ist also jene Abteilung des BMI, die für das
       Bundeskriminalamt und das Bundesamt für Verfassungsschutz zuständig ist.
       Daraus erklärt sich die rhetorische und inhaltliche Ähnlichkeit zwischen
       [2][dem neuen Teaser] und der [3][Linksextremismus-Definiton des
       Verfassungsschutzes].
       
       18. Januar, 10.46 Uhr: Das BMI-Referat schreibt eine weitere Mail an die
       bpb und setzt eine Frist: Sie solle bis 13 Uhr den neuen Teaser online
       stellen oder sich positionieren.
       
       18. Januar, 13.00 Uhr: Pünktlich zum Fristende erklärt sich die bpb mit der
       Version des BMI einverstanden, schlägt vor, den Urheber des neuen Teasers,
       die „Sicherheitsbehörden“, zu nennen.
       
       ## Größere Deutungsmacht
       
       18. Januar, 16.08 Uhr: Das BMI stimmt dem zu und ergänzt noch folgende
       Frage für den Fragenkatalog am Ende des Teasers: „Ist damit der
       Begriffskern der Kategorie ‚Linksextremismus‘ ausreichend beschrieben?“
       
       Auf Anfrage der taz begründet das BMI die Änderung damit, dass „ein Teil
       des Textes in der Öffentlichkeit aktuell zu Fehlinterpretationen und
       Missverständnissen geführt“ habe. Die „Abteilung ÖS“ habe beim neuen Teaser
       mitgewirkt, weil sie für den „Phänomenbereich Linksextremismus“ zuständig
       sei, auch das Bundesamt für Verfassungsschutz sei eingebunden gewesen. Auf
       die Frage, ob das Bundesamt für Verfassungsschutz im Bereich der
       politischen Bildung eine größere Deutungsmacht habe als renommierte
       Wissenschaftler, antwortet das Ministerium mit Nein. Und auf die Frage, ob
       der Innenminister oder zuständige Staatssekretär persönlich in die
       Entscheidung eingebunden gewesen ist, heißt es: „Die Hausleitung war in
       diesen Vorgang nicht eingebunden.“
       
       Fest steht, dass weder der wissenschaftliche Beirat noch das Kuratorium
       einbezogen worden sind. Das bestätigt die bpb auf Anfrage der taz. Das BMI
       geht auf eine diesbezügliche Nachfrage nicht näher ein. Der
       wissenschaftliche Beirat besteht aus zwölf Wissenschaftler:innen und
       soll die Arbeit der bpb unterstützen. Im Kuratorium sitzen 22
       Bundestagsabgeordnete, die unter anderem die politische Ausgewogenheit
       kontrollieren. Grünen-Abgeordneter Gehring, der im Kuratorium sitzt, hat
       mit seiner Fraktion eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung gestellt, um
       mehr über die Hintergründe zu erfahren. Er sagt der taz: „Das BMI ist hier
       eingeknickt vor einer orchestrierten Empörungsaktion von Personen aus dem
       konservativen bis neurechten Spektrum – mit Junger Freiheit, Bild und NZZ
       als Medienpartner.“
       
       ## Debatte über Unabhängigkeit
       
       Aber ist es überhaupt zeitgemäß, dass das BMI einen solchen Einfluss auf
       die wichtigste Institution der politischen Bildung in Deutschland hat?
       
       Die Fachaufsicht des BMI solle die Arbeit der bpb „beaufsichtigen und
       konstruktiv-kritisch begleiten, aber nicht übergriffig agieren oder gar
       gängeln“, sagt Gehring. Er fügt hinzu: „Ich kann nur davor warnen, die bpb
       am Gängelband führen zu wollen, weil sonst eine Debatte über eine
       unabhängigere Organisationsform notwendig wird.“
       
       Eine Debatte über die Unabhängigkeit der bpb scheint nach der Teaser-Affäre
       aber schon im Gange zu sein.
       
       2 Mar 2021
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://fragdenstaat.de/anfrage/schriftverkehr-zu-linksextremismus-dossier/
 (DIR) [2] https://www.bpb.de/politik/extremismus/linksextremismus/
 (DIR) [3] https://www.verfassungsschutz.de/de/arbeitsfelder/af-linksextremismus/was-ist-linksextremismus
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Volkan Ağar
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Bundeszentrale für politische Bildung
 (DIR) Linksextremismus
 (DIR) Rechtsextremismus
 (DIR) Schwerpunkt Polizeigewalt und Rassismus
 (DIR) Bundeszentrale für politische Bildung
 (DIR) Kolumne Postprolet
 (DIR) Linksextremismus
 (DIR) Schwerpunkt AfD in Berlin
 (DIR) Bundeszentrale für politische Bildung
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Bundeszentrale für politische Bildung: Erneut eingegriffen
       
       Wieder hat das Innenministerium in der Bundeszentrale für politische
       Bildung interveniert. Diesmal bei einem Buch, das Probleme der Polizei
       thematisiert.
       
 (DIR) Bundeszentrale für politische Bildung: Seehofers Haus diktierte Definition
       
       Die „Bild“ und ein CDU-Politiker machen Druck. Dann greift das
       Innenministerium in den Linksextremismus-Teaser der bpb ein. Das zeigen nun
       interne Mails.
       
 (DIR) Leben und Sterben mit Corona: Das Lachen meines Vaters
       
       Schon vor Corona war klar, dass arme Menschen kürzer leben als wohlhabende.
       Das hat auch damit zu tun, was man seinem Körper abverlangen muss.
       
 (DIR) Instrumentalisierung von Jugendarbeit: Auftrag zum Ausforschen
       
       Die Hamburger Sozialbehörde will von Trägern der Jugendarbeit wissen, ob
       ihre Besucher*innen (links)extremistische Tendenzen haben.
       
 (DIR) AfD Berlin und der Verfassungsschutz: Freunde mit gewissen Vorzügen
       
       Die AfD instrumentalisiert einen Geheimbericht des Verfassungsschutzes.
       Trotz rassistischer Äußerungen attestiert dieser der Partei
       Unbedenklichkeit.
       
 (DIR) bpb-Dossier „Linksextremismus“: Schluss mit dem Hufeisen
       
       Nach Druck von Rechten ändert die Bundeszentrale für politische Bildung
       eine Definition im „Dossier Linksextremismus“.