# taz.de -- Populismus und Islamismus: Sagten Sie „Islam-Linke“?
       
       > Führt ein falsch verstandener Antirassismus bei populistischen Linken zur
       > Verbrüderung mit Islamisten? Es gibt deutliche Anzeichen dafür.
       
 (IMG) Bild: Sprach das Problem an, erntete einen Shitstorm: Frankreichs Bildungsministerin Frédérique Vidal
       
       Entgegen dem, was man zuletzt lesen konnte, kommt das Wort „Islam-Linke“
       (frz. islamo-gauchisme) nicht von der extremen Rechten. In Frankreich wurde
       es von Pierre-André Taguieff geprägt, einem angesehenen Gelehrten, der sich
       insbesondere mit verschwörungstheoretischen und antisemitischen Bewegungen
       befasst.
       
       In seinem Verständnis bezeichnet dieser Begriff den während der zweiten
       Intifada geschlossenen Pakt zwischen Bewegungen der extremen Linken und
       solchen islamischer Fundamentalisten, als diese gemeinsam gegen die Politik
       Israels demonstrierten und dabei auch antisemitische Ausrufe und Sprüche in
       ihren Reihen duldeten.
       
       Dieses Bündnis machte sich zumal bei der UN-Konferenz in Durban im Jahr
       2001 bemerkbar, als Aktivisten der extremen Linken und Islamisten gemeinsam
       revisionistische Flugblätter verteilten, auf denen Hitler nachgetrauert
       wurde. Das war ein Schock für andere linke Aktivisten, die gekommen waren,
       um jede Art von Rassismus anzuprangern.
       
       Denn das war das erste Mal, dass diese dubiosen Bündnisse offen in
       Erscheinung traten. In der islamischen Welt bestanden sie unter der Hand
       schon lange. Im Irak und in Ägypten kam es vor, dass progressive Bewegungen
       mit Fundamentalisten gemeinsame Sache machten, wenn es darum ging, ein
       Regime zu stürzen. [1][Auch Khomeini wäre im Iran nicht an die Macht
       gekommen] ohne die Hilfe der Intellektuellen und der radikalen Linken,
       sowohl der iranischen als auch der europäischen.
       
       ## Schockierende Bündnisse
       
       Noch schockierender ist es, festzustellen, dass es solche Bündnisse auch
       inmitten der Demokratien gibt, – und zwar gegen die Demokratie.
       
       So geschieht es, dass Bewegungen, die den Anspruch erheben, fortschrittlich
       zu sein, die Sache der Frauen oder die Redefreiheit verraten, um sich mit
       intoleranten Aktivisten zu verbünden, deren regressive Weltanschauung für
       Freiheit nichts übrig hat. Das müssen wir heute in Europa feststellen.
       Studenten der extremen Linken und militante Islamisten protestieren
       zuweilen Hand in Hand, manchmal auch gewalttäig, gegen Verfechter einer
       universalistischen, feministischen und säkularen Linken, denen sie
       Veranstaltungen an Universitäten verbieten wollen.
       
       Das passierte mir auch selbst vor einigen Jahren in Belgien. Etwa sechzig
       militante „Islam-Linke“ brachten es fertig, eine von mir einberufene
       Konferenz zu unterbrechen, und zwar eine über Rechtsextremismus und
       Rassismus…
       
       Sie warfen mir vor, dass ich als Feministin die „Burka“, die Verschleierung
       des gesamten Körpers, kritisierte. Das ist auch anderen schon passiert. In
       England wurde Maryam Namazie, eine säkulare iranische Aktivistin, von
       militanten Islamisten und Linksextremisten angegriffen. Sie warfen ihr vor,
       sie sei „islamophob“, weil sie den religiösen Fundamentalismus und das
       Regime der Mullahs kritisierte (derentwegen sie ins Exil gegangen war).
       
       ## Mit Islamisten gegen Charlie
       
       In Frankreich protestierten Vertreter studentischer Gewerkschaften und
       Islamisten gegen die (posthume) Lesung eines Textes von Charb, dem von
       Islamisten bei dem Anschlag vom 7. Januar 2015 ermordeten Chefredakteur von
       Charlie Hebdo. Dieser Text richtete sich gegen genau jene Verwirrung, die
       das Wort „Islamophobie“ stiftet, so es dazu benutzt wird, Säkulare zu
       Rassisten zu stempeln.
       
       Nun ist dieses Wort jedoch in eben dieser problematischen, die Freiheit
       bedrohenden Verwendung das Thema von gegenwärtig 120 Dissertationen an
       französischen Universitäten. Professoren und Forscher benutzen ihre
       Stellung, um diese Verwirrung zu fördern, so es etwa um die Frage der
       Dekolonisierung geht.
       
       Das Problem besteht nicht darin, dass sie diese Weltanschauung in die
       Universität hineintragen, sondern dass sie in den Sozialwissenschaften
       inzwischen eine so überwältigende Mehrheit bilden. Und, dass sie jeden
       anderen Zugang zu diesen Themen, der ihnen widerspricht oder auch nur
       stärker differenziert, unmöglich machen. Ein solches Sektierertum [2][passt
       zu einer Generation, die dazu neigt, sich von allem beleidigt] zu fühlen.
       
       Das geht mittlerweile so weit, dass der Streit um Ideen mit einem
       Zusammenstoß von Identitäten, [3][das Recht auf Gotteslästerung mit
       Rassismus] und beinahe jede Abweichung oder Schattierung mit einer
       „Mikroverletzung“ verwechselt wird. Was die Lehre und selbst jedes Gespräch
       an einer Universität immer heikler machen.
       
       ## Die Hetzkampgane gegen Paty
       
       Während die Aufstachelung zum Hass im Internet kaum jemals so enthemmt war
       wie heute, wird es immer schwieriger, schöpferisch tätig zu sein oder zu
       debattieren, ohne zur Ordnung gerufen, bedroht, beschimpft oder
       „annulliert“ zu werden. Wenn es denn nicht noch darüber hinausgeht. In
       Frankreich wurde Samuel Paty, der seine Schüler die Redefreiheit und das
       Recht auf Gotteslästerung zu lehren versuchte, von einem Dschihadisten
       enthauptet, infolge einer von Islamisten und „Islam-Linken“ geführten
       Hetzkampagne, in der man ihn der „Islamophobie“ bezichtigte.
       
       Danach trauten sich viele Lehrer, über die Schwierigkeiten zu sprechen,
       denen sie begegnen, sobald sie bestimmte Themen anschneiden.
       
       Daher die Besorgnis der Ministerin für Hochschulbildung Frédérique Vidal.
       Ihre Ungeschicklichkeit bestand darin, dass sie eine „Untersuchung“ zum
       Thema „Islam-Linke“ forderte, womit sie den Eindruck erweckte, die
       akademische Freiheit in Frage stellen zu wollen. Sie hätte besser nur einen
       Bericht bestellt oder eine große Diskussion über Pluralität und akademische
       Freiheit angeregt. Denn darum geht es im Grunde.
       
       Das Wort „Islam-Linke“ gibt die komplizierten Mechanismen kaum wieder, die
       am Werk sind, wo identitäre Vorstellungen gelehrt werden sollen, sei es in
       der Frage der Dekolonisierung oder selbst der der Geschlechter.
       
       Bisweilen verunglimpft die extreme Rechte alle, die ihren Vernebelungen
       widerstehen, als „Islam-Linke“. Doch das bedeutet nicht, dass es eine
       Islam-Linke nicht gäbe. Die ist leider eine ideologische und politische
       Realität.
       
       Das beste Mittel, die Vereinfachungen der extremen Rechten zu bekämpfen,
       ist nicht, sie zu leugnen, sondern im Gegenteil eine hellsichtige Linke zu
       verteidigen, die die Dinge genau benennt, den Verrat fortschrittlicher
       Ideen denunziert und einen anderen Weg einschlägt: einen egalitären und
       säkularen.
       
       Aus dem Französischen übersetzt von Christoph Hesse.
       
       15 Mar 2021
       
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