# taz.de -- DW enteignen sammelt für Volksbegehren: Halbzeit, und keine Pause
       
       > Deutsche Wohnen & Co. enteignen liegt zur Halbzeit auf dem Weg zum
       > Volksbegehren über dem Soll. Eindrücke von der Sammelaktion in
       > Schöneberg.
       
 (IMG) Bild: Deutsche Wohnen & Co. enteignen bei der Übergabe der Unterschriften aus der ersten Sammlungsphase
       
       BERLIN taz | Zahlreiche Menschen strömen, vorschriftsgemäß vermummt mit
       FFP2-Maske, zum Eingang des Schöneberger Crellemarkts an der
       Mansteinstraße, um ihren Wocheneinkauf zu erledigen. Es ist eine große
       Menschenmenge, wie sie seit Pandemiebeginn selten vorkommt. Etwas vor dem
       Einlass, der durch Mitarbeiter des Ordnungsamts kontrolliert wird, steht
       Norbert Boehnke, ein schlanker Mann mit einer lila-gelben Weste über der
       Jacke. Vorbei eilenden Menschen streckt er Klemmbrett samt
       Unterschriftenliste entgegen und ruft: „Für billigen Wohnraum – auf Dauer!“
       
       Der 68-jährige Boehnke ist Teil des Kiezteams, das am vergangenen Samstag
       vor dem Crellemarkt Unterschriften für das Volksbegehren Deutsche Wohnen &
       Co. enteignen gesammelt hat. Die Initiative hat es sich zum Ziel gemacht,
       Berliner Immobilienkonzerne mit mehr als 3.000 Wohnungen zu
       vergesellschaften. Damit es zu einem Volksentscheid kommen kann, müssen bis
       Ende Juni rund sieben Prozent der Berliner Wahlberechtigten, sprich 175.000
       Menschen, unterschreiben. [1][Sammelstart war Anfang März.]
       
       Aufgrund der Pandemie teilen sich die Freiwilligen für ihre Sammelaktionen
       in der ganzen Stadt in kleine Kiezteams auf. Vor den zwei Eingängen des
       Crellemarkts stehen an diesem Samstag acht Sammler*innen. Nachdem die
       Kiezteams bisher vornehmlich innerstädtisch unterwegs waren, sammeln sie
       seit vergangener Woche verstärkt in den Außenbezirken.
       
       Das Kiezteam an der Mansteinstraße – freilich eher noch zentrale Lage – hat
       keinen festen Stand angemeldet, sondern einfach die eigenen Fahrräder vor
       einem Berg aus leeren Obstkartons aufgestellt.
       
       ## Obst für kleines Geld
       
       An einem Fahrrad hängt ein türkisches Plakat, an einem anderen dasselbe,
       bloß auf Deutsch: „Für eine Stadt mit bezahlbaren Mieten für alle.“ Auf dem
       Wochenmarkt verkaufen überwiegend türkische Händler*innen Obst- und
       Gemüse für kleines Geld.
       
       Als Feri Rohani vorbeiläuft, wirft sie einen kurzen Blick auf das türkische
       Plakat, dann bittet sie um einen deutschen Flyer. Die 71-Jährige überlegt
       nicht lange, nimmt den Kugelschreiber und beginnt, die Liste Spalte für
       Spalte auszufüllen: Familienname, Vorname, Geburtsdatum, Anschrift und als
       letztes noch die Unterschrift.
       
       Die Location ist gut gewählt, schließlich sind [2][die Wochenmärkte] eine
       der wenigen Orte, die während der Pandemie noch geöffnet sind. Stand
       Montagmorgen hat das Volksbegehren nun 130.000 Unterschriften eingereicht.
       Pünktlich zur Halbzeit der Sammelphase – zwei Monate verbleiben noch –
       liegt DW enteignen damit über dem Soll. Das gilt selbst dann, wenn man die
       hohe Zahl ungültiger Unterschriften betrachtet. Knapp 51.000 wurden bislang
       durch den Wahlleiter überprüft, 24,8 Prozent zählen nicht, mehrheitlich
       weil die Unterzeichnenden keine deutsche Staatsbürgerschaft haben.
       
       „Wir lassen alle unterschreiben, die in Berlin wohnen, aber nicht wählen
       dürfen. Wer Miete zahlt, soll mitentscheiden können“, sagt auch Regine
       Wosnitza, die am Samstag auf dem Crellemarkt für das Volksbegehren sammelt.
       Als wahlberechtigt gelten alle Berliner*innen mit deutschem Pass, die
       mindestens drei Monate in Berlin gemeldet sind und mindestens 18 Jahre alt
       sind.
       
       Vor Boehnke bleibt derweil ein Vater mit seiner Tochter an der Hand stehen.
       Der Mann spricht nur schlecht Deutsch, deshalb übersetzt seine Tochter für
       ihn, was Boehnke erklärt. Ob sie verstanden hat, worum es geht? „Ja, die
       Mieten sind zu teuer“, sagt das Mädchen, der Tonfall bestimmt. Ihr Vater
       unterschreibt und bemüht sich um die Leserlichkeit, denn eigentlich
       schreibt er Farsi, also Persisch, von rechts nach links. Die
       Sprachbarrieren seien schwierig, so Boehnke. Aber selbst wenn die
       Unterschrift am Ende ungültig sein sollte, sei sie wichtig und
       „solidarisch“, auch wenn diejenigen keine Berliner Bürger*innen vor dem
       Gesetz seien.
       
       ## „Da unterschreib ich halt“
       
       Eine Frau mit Kopftuch nähert sich den plakatierten Fahrrädern. Sie bekommt
       einen türkischen Flyer in die Hand gedrückt, schaut ihn kurz an und
       unterschreibt. Warum? Die Mieten seien teuer, sagt sie in gebrochenem
       Deutsch – deshalb hat sie unterschrieben. Lange Aufklärungsgespräche
       seitens der Initiative finden kaum statt: Die Forderung nach bezahlbarem
       Wohnraum ist für die Menschen am Crellemarkt Argument genug. „Für gute
       Sachen unterschreib ich halt“, sagt ein 46-jähriger Unterzeichner. Das ist
       der Tenor.
       
       Dabei fällt immer wieder ein Begriff: Mietendeckel. Seit das
       [3][Bundesverfassungsgericht die Absenkung und Deckelung der Berliner
       Mieten] Mitte April für verfassungswidrig erklärt hatte, sei auch der
       Zulauf zur Kampagne gewachsen, sagt Wosnitza. Und das zeigen auch die
       Zahlen, zum Beispiel auch auf dem Crellemarkt am Samstag: In rund zwei
       Stunden haben sich dort 120 Menschen qua Unterschrift für die Kampagne
       stark gemacht. Andernorts, etwa vor dem Lidl in Mariendorf in der
       Großbeerenstraße, lief es allerdings am Samstag auch durchaus schleppender.
       In gleicher Zeit unterschrieben hier nur knapp über 50 Menschen.
       
       Rohani ist fertig mit ihrem Einkauf und verlässt den Markt mit zwei roten
       Plastiktüten, gefüllt mit Gemüse. Die Rentnerin steuert wieder auf die
       Kiezgruppe zu und bittet um einige Unterschriftenlisten zum Mitnehmen,
       „damit ihre Tochter und ihr Schwiegersohn auch unterschreiben können“. Sie
       selbst habe eine bezahlbare Miete, kenne aber Leute, die durch den
       gekippten Mietendeckel nun wieder mehr zahlen müssen. Der für nichtig
       erklärte Mietendeckel hilft der Kampagne – auch das wird am Wochenende
       immer deutlicher.
       
       26 Apr 2021
       
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