# taz.de -- Aktion #allesdichtmachen: Unklares Motiv
       
       > Was bringt die Aktion außer Spaltung? Das scheinen die Beteiligten bei
       > teilweise berechtigter Kritik an der Coronapolitik selbst nicht zu
       > wissen.
       
 (IMG) Bild: Mosaik der Aktion #allesdichtmachen
       
       Ob es ein bisschen um Zerstörung geht? Um „I bring you fire / I’ll take you
       to burn“, um Zündeln, um „Hurra Hurra, die Schule brennt“ – und damit um
       die Idee, aus Chaos könne etwas Besseres erwachsen?
       
       Vielleicht verspüren einige, vielleicht sogar die etwaigen [1][Initiatoren
       des #allesdichtmachen], zu denen sich bislang offiziell niemand erklärte
       (man sei einfach eine Gruppe, heißt es aus den Reihen derer, die zu ihren
       Videos stehen) tatsächlich Lust am Spalten der Gesellschaft. Denn das tut
       die Aktion: Durch die Aufmerksamkeit, die sie qua Bekanntheit ihrer
       Mitglieder und deren professionelle Performancekraft erreicht, zwingt sie
       die Öffentlichkeit dazu, sich zu stellen. Sogar das Kollegium, jene
       Tausende, die nicht mitgemacht haben – weil sie entweder nicht gefragt
       wurden oder ablehnten – sind mitgemeint. Schließlich begrüßt sich die
       Branche überall gerade mit: „Und wie findest du das?“
       
       Nun ist „Haltung“ wichtig und richtig. Doch wozu stellt man sich:
       Kritisiert man, wie wahrscheinlich viele der 53 annahmen, tatsächlich „nur“
       die Regierung und deren als unangemessenen empfundenen Maßnahmen? Gibt man
       tatsächlich denen (Künstler:innen, Kritiker:innen) eine Stimme, die zu
       wenig zu hören sind? Oder klagt man, wenn man – entgegen der Erfahrung mit
       deutlicher Kritik in sämtlichen Medien – die Unabhängigkeit der Presse
       anzweifelt, und wenn man sich über Sicherheitsverhalten lustig macht, indem
       man es satirisch überhöht, auch die Gesellschaft an? Eine Gesellschaft, die
       anscheinend nicht mal merkt, dass und wie sie von „denen da oben“ verarscht
       wird?
       
       Über die Gründe, mit #allesdichtmachen die momentane Situation in einer
       durch Ironie derartig verschleierten Art zu kritisieren, kann man nur
       spekulieren – bestimmt sind es neben dem überall gleich empfundenen Unmut
       über verwirrende Regelungen auch kollektiv nachvollziehbare Ängste: Was ist
       mit meinem Job? Wird mein Kind irre? Werden wir uns nach der Krise noch in
       die Augen schauen?
       
       ## Kein reinigendes Feuer
       
       Woher allerdings die Überzeugung auch anderer Empörer:innen stammt,
       genau zu wissen, welche Ansprüche man in dieser weltweit einmaligen
       Situation zu stellen hat, ist und bleibt rätselhaft: Hat da jemand
       Pandemie-, Impfungs- und Verhaltenserfahrungen, die wir anderen nicht
       haben? In einigen Fällen haben die Beteiligten also bestimmt nicht genug
       nachgedacht, haben sich eventuell ohne Konsultation (eine Schauspielagentur
       scheint sich distanziert zu haben) in etwas „hineinreden“ lassen – so
       klingen zumindest ihre nun nachdenklicheren Statements.
       
       Viele der Social-Media-Reaktionen zur „Coronaleugnung“ (davon ist in keinem
       der Beiträge die Rede), die Verortung in einem rechten Umfeld und auch eine
       verantwortungslose und katastrophale Aufforderung eines WDR-Rundfunkrats zu
       einem Berufsverbot für Jan-Josef Liefers bestätigen zudem in der Aktion
       inkriminierte Vermutungen über den nicht ausreichenden Diskussionsraum.
       Denn Diskurse müssen leidenschaftlich und sachlich geführt werden, und bei
       einem komplexen Thema wie Coronapolitik gilt nicht mehr das
       Tocotronic-Statement. Hier muss leider pure Vernunft siegen.
       
       Das reinigende Feuer ist also Quatsch: Nein, ein Shitstorm bedeutet nicht,
       dass man etwas richtig gemacht, oder „den Finger auf die Wunde“ gelegt hat.
       Er bedeutet auch nicht, dass man notwendigerweise etwas falsch gemacht hat.
       Er ist schlichtweg ein Zeichen dafür, dass eine Diskussion sich vom
       Faktengrund weg in Richtung Verletzung, persönliche Angriffe bewegt. Dass
       sie ungerecht wird – für sämtliche Beteiligten. Schade, dass die Energie
       nicht in etwas weniger Destruktives geflossen ist. Zum Beispiel in die gute
       alte konstruktive Kritik.
       
       Man sollte dennoch die Signale lesen, wenn sie auch (noch) subtil sind:
       Meret Becker, die sich als eine der ersten kritisch mit ihrer Teilnahme
       auseinandergesetzt hat, ist am Sonntag als Schauspiel-Vorstand der
       Deutschen Filmakademie bestätigt worden – ein Anhaltspunkt, dass die
       Kolleg:innen [2][den „change of heart“] annehmen, ihre Gründe für beides
       – Teilnahme und Rückzug – akzeptieren können. Liefers wird seinen Job beim
       Tatort nicht verlieren. Und weiterhin werden hoffentlich gemeinsam Filme
       produziert werden. Übrigens mit umfassenden Hygienemaßnahmen, die der Grund
       dafür sind, dass alle noch leben.
       
       26 Apr 2021
       
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