# taz.de -- Nach der Karlsruher Klima-Entscheidung: Schneller, höher, weiter!
       
       > Nach dem Karlsruher Beschluss will die Union „entfesselte“ Politik, die
       > sie selbst lange blockiert hat. Die SPD legt ein neues Klimagesetz vor.
       
 (IMG) Bild: Immer noch der beste Klimaschutz im Verkehr: CO2-freies Paddeln und Nichtstun
       
       BERLIN taz | „Wir brauchen Mut zum Risiko, um neue Ideen zu generieren“
       heißt der letzte Satz im Beschluss, den der CDU-Bundesvorstand am Montag
       bei seiner Sitzung in Berlin zur Klimapolitik gefasst hat. Da geht es
       eigentlich um Förderung von Start-up-Unternehmen – aber dem kommt die Union
       im Klimaschutz ja auch ziemlich nahe.
       
       Mut zu neuen Ideen wollte jedenfalls CDU-Chef und Kanzlerkandidat Armin
       Laschet zeigen, nachdem das Verfassungsgericht am Donnerstag
       Nachbesserungen am Klimaschutzgesetz (KSG) angemahnt hatte. Da ist er nicht
       allein: auch CSU, SPD und Grüne überbieten sich jetzt in neuen Plänen zu
       mehr Klimaschutz.
       
       ## CDU-Parteiline: „Klimaschutz ist Chance!“
       
       Ab sofort wollen etwa die ChristdemokratInnen mit einem
       „Entfesselungspaket“ Dinge vorantreiben, die sie bislang selbst gefesselt
       und geknebelt haben: Klimaneutralität „deutlich vor 2050“, ein Klimaziel
       von minus 65 Prozent in 2030 und Vorgaben für 2035 und 2040, einen
       Mindestpreis um EU-Emissionshandel, einen höheren nationalen CO2-Preis, die
       Erneuerbaren „kräftig ausbauen“, etwa durch Solarenergie-Dächern auf
       Häusern und Parkplätzen.
       
       Was weiten Teilen der Union noch vor zwei Jahren als „Planwirtschaft“ im
       KSG ablehnten, kann jetzt gar nicht schnell genug gehen. Das sei auch kein
       „Schnellschuss“, wie es Friedrich Merz genannt hatte, sagte Laschet,
       „sondern ein lang durchdachtes Konzept.“
       
       Schließlich heißt die neue Pateilinie: „Klimaschutz ist auch eine Chance,
       die wollen wir ambitioniert angehen“, sagte Fraktionsvize Andreas Jung, der
       mit Laschet auftrat und für solche Konzepte in der Union schon lange – und
       bisher vergeblich – geworben hat.
       
       Jetzt soll alles ganz schnell gehen. Noch in dieser Woche will die
       SPD-Umweltministerin Svenja Schulze einen neuen Entwurf für das KSG
       präsentieren, auch ihr Parteifreund Olaf Scholz ist für Tempo. Noch in
       dieser Wahlperiode soll das neue Gesetz durchs Parlament.
       
       Die Grünen haben dazu in der Regierung konkret angeboten, das Klimaziel
       2030 auf minus 70 Prozent zu erhöhen, jährlich Wind- und
       Solarenergie-Anlagen von 15 bis 20 Gigawatt zu bauen, den CO2-Preis auf 60
       Euro zu erhöhen und Subventionen zu streichen. Und CSU-Chef Markus Söder
       will es natürlich echt bayerisch noch größer und grüner: Klimaneutralität
       in seinem Land schon bis 2040, mit mehr Geld einen schnelleren
       Kohleausstieg erkaufen, bis 2030 „65 Prozent plus x“ beim Ökostrom.
       
       Parallel zur politischen Debatte laufen derzeit im Bundesumweltministerium
       unter Hochdruck die Vorbereitungen für ein nachgebessertes
       Klimaschutzgesetz. „In der zweiten Wochenhälfte“ sei mit einem Entwurf zu
       rechnen, hieß es. Darin wird wohl ein neues Klimaziel von etwa minus 65
       Prozent bis 2030 stehen und zumindest ein Zwischenziel für 2040.
       
       Als sicher gilt auch, dass der bisher schon beschlossene „Reduktionspfad
       steiler wird“ – dass also die im Gesetz vorgeschriebenen Reduzierungen von
       Treibhausgasen bis 2030 für jedes einzelne Jahr und einzelne Sektoren wie
       Bauen, Energie, Verkehr, Landwirtschaft oder Industrie noch verschärft
       werden. Erst vorigen Monat hatte der neue Expertenrat für Klimafragen die
       Bilanz von 2020 begutachtet – wegen der Corona-Rezession hatten alle
       Sektoren außer den Gebäuden ihre Ziele eingehalten.
       
       ## Agora: Höhere Ziele, mehr Kontrolle, finanzielle Strafen
       
       Man habe „das Wochenende durchgearbeitet“, hieß es aus dem Ministerium. Und
       auch die Verbände und Thinktanks verbreiten ihre Ideen, wie der Karlsruher
       Klima-Knaller möglichst effektiv umgesetzt werden soll. Die
       „Agora-Energiewende“ hatte bereits letzte Woche einen Vorschlag gemacht,
       die für 2050 geplante Klimaneutralität in Deutschland auf 2045 vorzuziehen,
       auch um darauf zu reagieren, dass das EU-Klimagesetz verschärft wurde.
       
       Nun legte sie nach: Mit sechs Eckpunkten für eine KSG-Reform solle der
       Zustand beendet werden, dass die „Klimapolitik in Deutschland weder
       kompatibel mit dem Grundgesetz noch mit europäischen Green Deal“ ist, sagte
       Agora-Chef Patrick Graichen.
       
       Die Agora schlägt ebenfalls vor, das deutsche Klimaziel für 2030 von minus
       55 auf minus 65 Prozent zu erhöhen. Anders als die CDU hat sie aber auch
       konkrete Zwischenschritte: 2035 bei minus 77 und 2040 bei minus 90 Prozent
       zu sein. Jedes Jahr müssten demnach etwa 30 Millionen Tonnen Treibhausgase
       eingespart werden, um der „temporalen Freiheitssicherung“ der zukünftigen
       Generation aus dem Urteil zu entsprechen.
       
       Auch nach 2030 sollten die „Sektorziele“ für die einzelnen Bereiche
       fortgeschrieben werden – und mit einer deutlichen finanziellen Drohung
       gekoppelt werden: Sobald ein Jahresziel verfolgt werde, müsse der deutsche
       CO2-Preis um 15 Euro die Tonne steigen oder das Parlament entsprechende
       Maßnahmen für mehr Klimaschutz beschließen.
       
       Der Expertenrat der Regierung, bislang nur ein Beratungsgremium, das Zahlen
       prüft, soll nach diesen Vorstellungen gestärkt werden und eigene Vorschläge
       machen. Schließlich solle die Regierung mit einem „Schattenpreis“ von 195
       Euro pro Tonne CO2 rechnen, wenn es etwa um Wirtschaftlichkeit von
       Gebäudesanierungen oder neue Straßenprojekte geht.
       
       „Das Klimaschutzgesetz spart allerdings keine Tonne CO2“, sagte Graichen.
       Es brauche daher dringend ein „Sofortprogramm Klimaschutz“ für mehr
       Erneuerbare, CO2-arme Heizungen und Mobilität, eine klimaverträgliche
       Landwirtschaft, mehr grünen Wasserstoff und einen höheren CO2-Preis.
       „Politik ist Handeln, nicht Ankündigen“, meinte Graichen mit Blick nach
       Bayern.
       
       3 May 2021
       
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 (DIR) Bernhard Pötter
       
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