# taz.de -- Adipositas und Corona-Impfung: Am unteren Ende der Impfliste
       
       > Hänsel im Käfig voller Lebkuchen im Impfzentrum: dicker werden, schneller
       > drankommen. Zum ersehnten Body-Mass-Index fehlen Pfündchen.
       
 (IMG) Bild: Schneller drankommen bei Impfen: Hänsel und Gretel im Impfzentrum zum Mästen
       
       „Ich bin gerade dick genug für einen Impftermin! Für alle anderen: FRESST
       UM EUER LEBEN“, kommentiert die Wiener Künstlerin Stefanie Sargnagel eine
       Liste sämtlicher Risikogruppen, die zu einem bevorzugten Impftermin
       berechtigen.
       
       Wer weiß, vielleicht ist das ja wirklich der schnellste Weg zum injizierten
       Glück. Doch was hier als selbstironischer Humor durchgeht, hinterlässt
       woanders einen üblen Beigeschmack. So sind für Nele Pollatschek in ihrem
       SZ-Artikel über das erhöhte Risiko von Männern, schwer an Corona zu
       erkranken, [1][Menschen mit Adipositas] gleichbedeutend mit solchen, die
       „zu viel fressen“.
       
       Im besten Fall unwissenschaftlich, im schlechtesten Fatshaming, erinnert
       die Denke an das überholte Bild vom Drogensüchtigen oder Säufer als etwas
       lächerliche und charakterschwache Figur, die in jedem Fall selbst schuld
       ist – finsterstes zwanzigstes Jahrhundert eben.
       
       Diese haltlosen Fresssäcke wollen jetzt also auch noch früher geimpft
       werden. Gar nicht dumm, aus der Not mal eben eine Tugend gewrungen und den
       Schulhof- und Feuilletonhatern eine dicke Nase gedreht: Wer zuletzt lebt,
       lebt am längsten. Ich sehe mich als Hänsel in einem Käfig voller Lebkuchen
       im Impfzentrum. Stopf, spachtel, schling. Einmal am Tag strecke ich der
       Impfhexe meinen Finger durch die Gitterstäbe raus, und sobald sie ihn für
       fett genug erachtet, werde ich geimpft, und das Virus muss elendiglich
       verbrennen.
       
       ## Body-Mass-Index
       
       Aber das Leben ist nun mal kein Märchen. Zwar habe ich im Verlauf der
       Lockdowns durchaus ganz gut zugelegt, doch zum ersehnten Body-Mass-Index,
       der mich auf die goldene Liste der Vorberechtigten katapultiert, fehlt
       leider noch das eine oder andere Pfündchen.
       
       Wenn ich vor dem Herbst gesundgestochen werden möchte, muss ich mehrgleisig
       fahren. Sonst wird es nämlich böse enden: Ungeimpft, von Lifestyle-Linken
       gebreadcrumbt und von Cis-Snow-Flakes geblamet, werde ich am Ende zwischen
       allen Stühlen sitzen – zu dünn, um einen Termin zu bekommen, und zu dick,
       um elegant zwischen den lauernden Viren hindurchzuschlüpfen: Dead man
       waiting.
       
       Daher wende ich mich per Mail an meine Hausarztpraxis. „Hier ist Ihr
       Patient Hänsel“, schreibe ich. „Bitte nicht böse sein: Ich will mich hier
       wirklich nicht vordrängeln, aber … kriechschleim … bei einigen Ärzten
       gängige Praxis … blabla … abends Impfdosen übrig … leierwinsel … sonst
       wegschmeißen … blabla … jederzeit kurzfristig anrufen … rhabarberhrabarber
       … ich komm dann adhoc mit meiner Gretel … blabla … auch Putin X oder
       AstraZeneca … blablabla … Win-win-Situation, danke und tschüs!“
       
       ## Impft mich!
       
       Doch natürlich will ich mich vordrängeln. Impft mich! Ich nehme alles,
       Fensterputzmittel, Kochsalzlösung, Tiroler Nussbrand, Johnson & Walker –
       scheißegal, Hauptsache Nadel, ach was, ein Nagel, ein Zahnstocher, eine
       spitze Bemerkung tun’s ebenfalls. Rette sich, wer kann, alles in die Boote,
       Alte und Vorerkrankte zuerst!
       
       Dazwischen habe ich mich geschmuggelt, verkleidet mit Fatsuit und Rollator
       – eins der beiden Features wird’s schon bringen. Schnell kommt dann auch
       die Antwort, man habe Gretel und mich auf einer Impfliste notiert. Fragt
       sich nur, wo. Im Zweifel ja ganz unten. Doch irgendwann wird mir die Zeit
       in die Karten spielen.
       
       Denn statt dicker zu werden, kann ich ja auch einfach altern. Das scheint
       mir ohnehin eher zu liegen, ich bin ein guter Alterer – ich altere seit
       jeher exzellent. Jahrzehnt für Jahrzehnt [2][rücke ich beharrlich in der
       Impfreihenfolge auf], und falls diese Pandemie nicht mehr lang genug
       dauert, befinde ich mich spätestens bei der übernächsten in der begehrten
       Poleposition.
       
       28 Apr 2021
       
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