# taz.de -- Anfänge der Restitutionsdebatte: Der Rückgabe-Pionier
       
       > Herbert Ganslmayr, Direktor des Bremer Überseemuseums, wollte schon vor
       > 50 Jahren Raubkunst zurückgeben. Dafür wurde er von Kollegen angefeindet.
       
 (IMG) Bild: Reliefplatten aus dem heutigen Nigeria im Linden-Museum in Stuttgart
       
       Jemand, der sich früh für die Rückgabe von in der Kolonialzeit entwendeten
       Kunstwerke eingesetzt hat, ist der ehemalige Direktor des Bremer
       Überseemuseums Herbert Ganslmayr. Ganslmayr trat 1975 sein Amt an, und
       bereits ein Jahr später, 1976, forderte er auf einer Tagung der
       internationalen Museumsvereinigung, gestohlene Kulturgüter und Kunstwerke
       in ihre Herkunftsländer zurückzugeben, aus denen sie zuvor geraubt worden
       waren.
       
       Er war der erste deutsche Museumsdirektor, der diese Position offen
       vertrat; mit seinen Kollegen hatte er sich zuvor nicht abgesprochen.
       
       „Oftmals sind die Kulturgüter, die zu den ehemaligen Kolonien gehörten,
       illegal ins Ausland gebracht worden. Nicht nur das Gesetz zwingt uns zur
       Restitution, sondern wir haben auch die moralische Verpflichtung dazu“,
       hatte Ganslmayr 1976 bei der Tagung gesagt. Und damit eine weltweite
       Debatte angestoßen: Der Bremer Museumsdirektor war gleichzeitig
       Vorsitzender des Internationalen Komitees für Völkerkundemuseen (ICME),
       seine Stimme wurde darum auch im Ausland gehört.
       
       Als ersten Schritt soll er eine „holzgeschnitzte Benin-Maske“ aus dem
       Überseemuseum zur Rückgabe vorgeschlagen haben. Sie gehörte zu den 1897 aus
       der Hauptstadt des Königreichs Benin geraubten Kunstwerken, die heute meist
       unter dem Begriff Benin-Bronzen zusammengefasst werden und jetzt auch im
       neu errichteten Berliner Stadtschloss gezeigt werden sollen. Dieses
       Vorhaben hat nun erneut eine Rückgabedebatte ausgelöst.
       
       Mit seinen Forderungen sei Ganslmayr zum „Dorn im Fleisch der anderen
       Museumsdirektoren“ geworden, sagt sein Freund, der Radio-Bremen-Journalist
       Klaus Jürgen Schmidt, der in den 80er Jahren mit Ganslmayr ein
       interkulturelles Radioprogramm realisiert hat. Andere Museumsdirektoren
       sahen durch mögliche Rückgaben ihre Sammlungen und damit die Existenz ihrer
       Museen bedroht.
       
       Die Ablehnung von Ganslmayrs Positionen ging sogar in persönliche
       Anfeindungen über: In einem Briefwechsel zwischen Andreas Lommel, dem
       Leiter des Museums für Völkerkunde in München, und Friedrich Kußmaul, dem
       Direktor des Stuttgarter Linden-Museums, wird Ganslmayr kurz nach seiner
       Äußerung auf der internationalen Museumstagung als „Brechmittel“
       bezeichnet.
       
       Trotz aller Widerstände hörte er aber nicht auf, sich für einen
       Nord-Süd-Dialog und die Rückgabe von Kunst- und Kulturwerken an ehemalige
       Kolonien einzusetzen. Das Bremer Überseemuseum, dessen Direktor er bis 1990
       war, macht er so zu einem deutschlandweiten Vorreiter. Vor seiner Direktion
       war das Museum ein Kolonialmuseum gewesen. Ganslmayr änderte dies, indem er
       dort kritische und politische Ausstellungen realisierte: etwa zu den
       ökologischen Folgen von Kriegen am Beispiel des Vietnamkriegs oder zur
       „Alltagskultur“ und dem kulturellen Erbe der Kurd*innen. Letztere war die
       erste große Kurdenausstellung weltweit.
       
       Schmidt sagt, dass Ganslmayr mit seiner Haltung so gar nicht in die von
       Kaufleuten geprägte Bremer Stadtgesellschaft gepasst habe. In ihren Augen
       habe er mit seinem Vorschlag zur Rückgabe der Benin-Maske das Überseemuseum
       als Denkmal zerstört. In Bremen habe an bestimmten Traditionen nicht
       gerüttelt werden sollen, so Schmidt, und Ganslmayr habe das zu spüren
       bekommen: Ihm sei vorgeworfen worden, bei der Finanzierung von
       Ausstellungen gepfuscht und in die eigene Tasche gewirtschaftet zu haben.
       Ganslmayr widersprach dem, wurde im Bremer Kulturbetrieb jedoch zu einer
       Persona non grata.
       
       Herbert Ganslmayr starb 1991 auf einem Kongress in Athen, bei dem es wieder
       um die Rückführung von kolonialen Kunstschätzen ging. In Bremen wurde davon
       wenig Notiz genommen. Sein Freund Schmidt ist überzeugt, dass Ganslmayr an
       Herzschmerz starb: Er sei von der Hasswelle gegen ihn und seine Arbeit
       zutiefst mitgenommen gewesen.
       
       Wiebke Ahrndt, die heutige Leiterin des Überseemuseums, sieht ihre Arbeit
       auch in der Tradition Ganslmayrs. Dieser habe bereits in den 1970er Jahren
       wichtige Impulse in der postkolonialen Debatte gesetzt.
       
       Ahrndt, die mit dem Deutschen Museumsbund einen Leitfaden zum Umgang mit
       Sammlungen aus kolonialen Kontexten veröffentlicht hat, betont, dass das
       Übersee-Museum bereit sei, Benin-Bronzen zurückzugeben. Sie würde sich
       jedoch wünschen, in den Ausstellungen weiterhin Benin-Objekte zeigen zu
       können, um auch zukünftig die Geschichte des Königreichs Benin und die
       europäische Kolonialherrschaft zu behandeln.
       
       23 May 2021
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Emmy Thume
       
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