# taz.de -- Krise in Nigeria: Zwei rätselhafte Todesfälle
       
       > Erst wird Boko Harams Chef Shekau getötet, dann stirbt Armeechef Attahiru
       > bei einem Flugzeugabsturz. Die Stimmung ist zunehmend angespannt.
       
 (IMG) Bild: Staatsbegräbnis für Armeechef Attahiru und weitere Offiziere in Nigerias Hauptstadt Abuja, Samstag
       
       COTONOU taz | Er sei tief betrübt über den Flugzeugabsturz, der Nigerias
       Armeechef Generalleutnant Ibrahim Attahiru und weitere Offiziere das Leben
       gekostet hat; alle seien Helden, die den ultimativen Preis bezahlt haben.
       So hat Nigerias Präsident Muhammadu Buhari auf den Absturz eines
       Militärflugzeugs am vergangenen Freitag reagiert. Die Maschine war aufgrund
       von schlechtem Wetter beim Anflug auf den Flughafen von Kaduna abgestürzt,
       heißt es offiziell.
       
       Seitdem ist Attahirus Tod [1][das beherrschende Thema] in Nigeria. Der
       54-Jährige stand erst seit Januar an der Armeespitze, nachdem Buhari diese
       komplett ausgetauscht hatte. Die Streitkräfte hatten durch die sich
       verschlechterte Sicherheitslage im Land noch mehr als gewöhnlich in der
       Kritik gestanden. Trotz posthumer Lobeshymnen auf Attahiru hat sich diese
       aber seitdem nicht verbessert, im Gegenteil: Entführungen, Überfälle, auch
       Angriffe auf Polizeistationen haben weiter zugenommen.
       
       Am Montag [2][demonstrierten Jugendliche nahe Abuja] erneut gegen die
       Unsicherheit und äußerten ihren Protest, indem sie eine Polizeiwache
       anzündeten.
       
       Verschärft hatten sich zuletzt sogar die Putschgerüchte. Auch die sind in
       dem Land mit den etwa 220 Millionen Einwohner*innen regelmäßig zu
       hören. Buhari, der selbst Silvester 1983 erstmals durch einen Coup an die
       Macht gekommen war und seit 2015 als gewählter Präsident regiert, stand
       noch nie so unter Druck wie jetzt.
       
       Die Armee betonte jedoch, sie habe keine Intention, die Macht zu
       übernehmen. Demokratie sei die Regierungsform der Stunde und nicht
       Militärherrschaft.
       
       Entbrannt ist nun eine [3][Diskussion um Attahirus Nachfolge]. Als ein Name
       wird Danjuma Ali-Keffi gehandelt, der aktuell in Kaduna stationiert ist.
       Gegen ihn, so analysiert eine nigerianische Nachrichtenagentur, spreche
       aber, dass es mehr als 30 ranghöhere Offiziere gibt als ihn.
       
       ## Der Süden will wieder nach oben
       
       Letztendlich ist es eine politische Entscheidung. Buhari, der aus Katsina
       stammt, wird seit Jahren vorgeworfen, Spitzenposten in dem Vielvölkerstaat
       mit Personen aus dem Norden zu besetzen, die zudem – so seine
       Kritiker*innen – Haussa oder, wie er selbst, Fulani seien. Nach zwei
       Armeechefs aus dem Norden nacheinander werden nun der Süden wie der
       Südosten Ansprüche erheben. Die zunehmende Gewalt dort, für die der Staat
       separatistische Bewegung wie IPOB – Indigene Menschen von Biafra –
       verantwortlich macht, rückt in der Diskussion oft in den Hintergrund.
       
       Im Fokus steht der Norden. Vergangene Woche hieß es, dass der Anführer der
       2002 gegründeten islamistischen Terrormiliz Boko Haram, Abubakar Shekau, an
       einer schweren Verletzung gestorben sei. Die Armee kündigte eine
       Untersuchung an, da sich in der Vergangenheit Shekaus mutmaßlicher Tod
       mehrfach nicht bewahrheitet hat. Dass dieser diesmal tatsächlich ums Leben
       gekommen ist, davon geht allerdings unter anderem die Nachrichtenplattform
       [4][HumAngle] des Journalisten Ahmed Salkida aus, der in der Region gut
       vernetzt ist.
       
       Allerdings ist Shekaus Tod kein Erfolg der Streitkräfte. Vielmehr ist der
       rivalisierenden Bewegung [5][„Islamischer Staat in der Provinz Westafrika“
       (ISWAP)] offenbar ein folgenschwerer Angriff auf Boko Haram gelungen. ISWAP
       soll unter seinem Anführer Abu Musab al-Barnawi Shekaus Versteck im
       Sambisa-Wald im Bundesstaat Borno angegriffen haben.
       
       ## Zunehmende Stärke des IS
       
       Bis 2016 gehörte ISWAP noch Boko Haram an, trennte sich dann aber. Schon
       damals kam es zu schweren Kämpfen. Beobachter*innen hofften, dass sich
       die Milizen nun gegenseitig niedermetzeln und immer weiter schwächen.
       Eindeutiger Sieger ist nach aktuellen Informationen allerdings ISWAP. Die
       Bewegung operiert anders als Boko Haram, heißt es: Sie greift weniger
       Zivilist*innen, sondern verstärkt Polizei und Armee an und errichtet in
       Gegenden am Tschadsee, in denen nirgendwo mehr Sicherheitskräfte
       stationiert sind, eigene Strukturen. Unter anderem erhebt sie Zölle und
       kontrolliert Märkte.
       
       Damit bindet sie die Bevölkerung an sich. Und der Armee zeigt sie, dass ihr
       etwas gelingt, das diese nicht geschafft hat: bis zum Versteck Shekaus
       vordringen und diesen außer Gefecht setzen. Für Nigerias nächsten Armeechef
       wird die Messlatte des Erfolges damit noch höher.
       
       24 May 2021
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.vanguardngr.com/2021/05/insurgency-attahiru-wouldve-made-nigeria-proud-buratai/
 (DIR) [2] http://saharareporters.com/2021/05/24/breaking-tension-residents-block-kaduna-abuja-highway-protest-incessant-kidnapping
 (DIR) [3] https://www.premiumtimesng.com/news/headlines/463369-analysis-with-attahirus-death-who-becomes-next-chief-of-army-staff.html
 (DIR) [4] https://humangle.ng/boko-haram-strongman-shekau-dead-as-iswap-fighters-capture-sambisa-forest/
 (DIR) [5] https://www.crisisgroup.org/africa/west-africa/nigeria/273-facing-challenge-islamic-state-west-africa-province
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Katrin Gänsler
       
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