# taz.de -- Anton Hofreiter über Klimaschutz: „Sie können Schweinebraten essen“
       
       > Nach Mallorca fliegen? Das geht, sagt Grünen-Fraktionschef Anton
       > Hofreiter. Der Gesetzgeber solle den Rahmen schaffen, sich aus
       > Lebensstilfragen aber heraushalten.
       
 (IMG) Bild: Macht die Verkehrswende schon mal vor: Anton Hofreiter
       
       taz: Herr Hofreiter, wie sind Sie heute Morgen in Ihr Abgeordnetenbüro
       gekommen? 
       
       Anton Hofreiter: Ich bin heute Morgen mit dem Fahrrad ins Büro gefahren.
       Mein Rad ist alt und etwas rappelig. Aber es ist mir seit 15 Jahren nicht
       geklaut worden, was mich sehr freut. In Berlin fahre ich fast nur Fahrrad.
       
       Haben Sie ein Auto? 
       
       Ich selbst habe kein Auto, aber wir haben einen alten Golf von meinem Vater
       geliehen. In der Coronapandemie habe ich gemerkt, dass ich ihn häufiger
       nutze.
       
       Das geht ja einigen so. Das Auto erlebte durch [1][Corona] ein Comeback,
       weil viele Menschen sich im Zug unsicher fühlten. 
       
       Es gab zwei Effekte: Wege mit dem Fahrrad haben in der Pandemie stark
       zugenommen, aber auch solche mit dem Auto.
       
       Die Grünen werden von Armin Laschet, Olaf Scholz und Saskia Esken
       kritisiert, [2][weil sie die Benzinpreise um 16 Cent erhöhen wollen]. Aber
       eigentlich haben auch CDU und SPD den höheren CO2-Preis unterschrieben.
       Sind Sie schön blöd, dass Sie die Wahrheit gesagt haben? 
       
       Nein. Politiker*innen sollten generell die Wahrheit sagen. Ohne
       Debatten kommen wir als Gesellschaft nicht weiter, dann laufen wir den
       Veränderungen immer weiter hinterher. Und die Polemik von CDU, SPD und FDP
       ist ja schon extrem heuchlerisch. Für einen höheren CO2-Preis, aber gegen
       höhere Benzinpreise sein, das geht nicht. Das eine bedingt das andere.
       Union und FDP setzen beim Klimaschutz – anders als wir – sogar nahezu
       ausschließlich auf das Preissignal. In dem von ihnen geforderten
       Emissionshandel könnten die Preise sehr schnell hochschießen, es gibt
       Studien, da kommen Aufschläge von mehr als 70 Cent pro Liter Benzin raus.
       
       Was hat Ihre Partei in der Benzinpreisdebatte falsch gemacht? 
       
       Wir müssen noch stärker rüberbringen, dass soziale Gerechtigkeit und
       Klimaschutz untrennbar verknüpft sind. Aber meine These ist: Wir brauchen
       als Gesellschaft diese Debatten. Und wir Grüne werden ihnen nicht
       ausweichen. Wie sehr die anderen bereit sind, das Niveau der Debatte nach
       unten zu ziehen, das hat mich schon überrascht.
       
       Haben Sie ernsthaft auf besonnene Diskussionen [3][im Wahlkampf] gehofft? 
       
       Etwas mehr Interesse an ihrer Glaubwürdigkeit hätte ich SPD und Union schon
       unterstellt. Ich streite mich gern darüber, wie Klimaschutz und sozialer
       Ausgleich gelingen oder wie das industrielle Fundament des Landes erhalten
       bleibt. Aber wer sich wie CDU und SPD im Mai zu deutlich mehr Klimaschutz
       verpflichtet, weil das Verfassungsgericht ein wegweisendes Urteil gefällt
       hat, der darf sich nicht im Juni in die Büsche schlagen und das Gegenteil
       erzählen.
       
       Der CO2-Preis verteuert fossilen Energieverbrauch. Unternehmen, die Heizöl
       oder Benzin verkaufen, müssen pro Tonne CO2 derzeit 25 Euro an den Staat
       zahlen. Ein Anstieg ist geplant. Sie wollen die Einnahmen wieder an die
       Bürger*innen ausschütten. Wie soll das funktionieren? 
       
       Wir schlagen ein sogenanntes Energiegeld vor. Jeder Bürger und jede
       Bürgerin – auch Kinder – bekämen pro Kopf und Jahr eine pauschale Zahlung
       aus den CO2-Preis-Einnahmen. Das Energiegeld würde Anfang des Jahres
       ausgezahlt, es wäre zum Beispiel mit der Steuer-ID verknüpft. Und es würde
       nicht verrechnet mit anderen Sozialleistungen.
       
       Hartz-IV-Empfänger*innen und Obdachlose bekämen es auch? 
       
       Ja. Das Energiegeld würde nicht mit dem Hartz-IV-Regelsatz verrechnet. Und
       auch für Obdachlose findet sich eine Lösung.
       
       Ihr Argument ist, dass ärmere Menschen vom Energiegeld profitieren, weil
       sie weniger Kohlendioxid emittieren als Wohlhabende? 
       
       Ärmere Menschen würden sogar erheblich profitieren. Studien belegen ganz
       eindeutig, dass Menschen mit hohem Einkommen im Schnitt einen deutlich
       größeren CO2-Fußabdruck haben als Niedrigverdiener*innen. Sie fahren
       größere Autos, wohnen in größeren Wohnungen und fliegen mehr. Die
       sogenannten Wirtschaftsweisen haben noch einmal betont, dass in Deutschland
       Haushalte der oberen 10 Prozent der Einkommen dreimal so viel CO2 ausstoßen
       wie die unteren 10 Prozent.
       
       Es gäbe aber Verlierer, oder? Die vierköpfige Mittelschichtsfamilie, die
       ohne Auto in der wärmegedämmten Eigentumswohnung in Köln lebt, profitiert.
       Aber der allein wohnende Wachmann aus Sachsen, der mit seinem alten Diesel
       zur Arbeit pendelt, wird benachteiligt. 
       
       Es gibt Fälle wie den Wachmann, deshalb schlagen wir ja Lösungen vor. Wir
       wollen zusätzlich einen Klimagerechtigkeitsfonds aufsetzen, der auch
       Geringverdiener*innen den Umstieg auf klimaneutrale Alternativen
       ermöglichen soll. Der Wachmann bekäme einen höheren Zuschuss von 9.000 Euro
       für den Kauf eines Null-Emissions-Autos und für den Rest des Kaufpreises
       einen zinslosen Kredit. Das gilt dann auch für Gebrauchtwagen. Auch für
       sein Haus bekäme er einen Zuschuss von 12.000 Euro für Wärmedämmung oder
       eine Wärmepumpe, wieder plus zinslosem Kredit.
       
       Die Kosten werden immens sein. Woher soll das Geld kommen? 
       
       Wir kalkulieren mit einer Milliarde Euro pro Jahr für den Fonds. Hierfür
       und für die weitaus größeren Investitionen plädieren wir dafür, die
       Schuldenbremse zu reformieren. Der Staat soll Kredite aufnehmen dürfen, um
       damit zusätzliche Investitionen in Infrastruktur, Digitalisierung und
       Klimaschutz zu finanzieren.
       
       Ist die Wahrheit nicht: Man bekommt nie alle Ungerechtigkeiten
       ausbalanciert? 
       
       Klar, Klimaschutz wird uns fordern, aber er sollte niemanden überfordern.
       Entscheidend ist zudem ein gut austarierter Mix an Maßnahmen: Neben
       Preispolitik brauchen wir eine ökologische Ordnungspolitik, die einen neuen
       Rahmen setzt. Aus unserer Sicht sollte die Autoproduktion so umgestellt
       werden, dass ab 2030 nur noch emissionsfreie Autos neu zugelassen werden.
       Zentral wird auch der Ausbau klimaschonender Alternativen sein, etwa der
       Bahn oder des öffentlichen Nahverkehrs.
       
       [4][Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch] sagt, steigende Energiepreise
       seien „Gift für das gesellschaftliche Klima“. Wohlhabende könnten weiter
       volltanken, Arme nicht. Da hat er recht, oder? 
       
       Nein, das ist eine klassische Verkürzung der anderen Seite. CDU und FDP
       wollen alles über den Preis regeln, die Linke sagt, ökologischere Preise
       seien automatisch ein Problem. Beides ist falsch.
       
       Verbote sind fair, weil sie alle gleich treffen. 
       
       Wir haben bei der Bekämpfung der Klimakrise extremen Zeitdruck. Die
       wesentlichen Veränderungen müssen in den nächsten zehn Jahren angeschoben
       werden. Deshalb brauchen wir beides, Preis- und Ordnungspolitik.
       
       Wie ehrlich ist Ihre Partei? Sie betonen stets, dass Sie den politischen
       Rahmen, aber nicht den individuellen Lebensstil ändern wollen. Aber beides
       hängt zusammen, oder? 
       
       Ihre persönliche Lebensführung geht mich nichts an. Sie können von mir aus
       einen Schweinebraten essen und danach nach Mallorca fliegen, so oft Sie
       wollen. Meine Aufgabe als Politiker ist es, an den Strukturen etwas zu
       ändern. Dass es eine artgerechte Tierhaltung gibt. Oder dass das Flugzeug
       zukünftig mit synthetischen Kraftstoffen CO2-frei fliegt. Der Gesetzgeber
       sollte den Rahmen setzen, sich aber aus Lebensstilfragen heraushalten.
       
       Müssten Sie den Deutschen nicht sagen: Liebe Leute, um das 1,5-Grad-Ziel zu
       schaffen, müssen wir weniger Auto fahren, weniger fliegen, weniger Fleisch
       essen? 
       
       Nein, wie soll das gehen? Sollen Leute ein Kontingent kriegen, wie viel sie
       Auto fahren dürfen? Soll es Bezugsscheine für Fleisch geben? Das ist
       absurd. Wir sind in einer freien Gesellschaft, da gibt es zum Glück keine
       solchen Instrumente.
       
       Es geht doch erst mal nur um die Beschreibung der Wirklichkeit. Die
       ökologische Wende wird ohne weniger Fleischkonsum, ohne weniger Autofahren
       und Fliegen nicht gelingen. 
       
       Die Deutschen essen bereits weniger Fleisch. Da habe ich ein ganzes Buch
       drüber geschrieben.
       
       Wie groß ist die Abhängigkeit Deutschlands vom Auto? 
       
       Vor Corona wurden drei Viertel der Personenkilometer in Deutschland mit dem
       Auto zurückgelegt – und nur 10 Prozent mit der Bahn. Selbst wenn Sie das
       Passagiervolumen der Züge verdoppeln, bleibt das Auto der wichtigste
       Verkehrsträger. Die Abhängigkeit ist groß, da darf man sich keine
       Illusionen machen. Elektromobilität ist deshalb entscheidend für die
       Klimawende.
       
       Warum gibt es keine autofreie Stadt in Deutschland, auch keine grün
       regierte? 
       
       Die Bundesgesetzgebung, an die sich Kommunen halten müssen, ist unglaublich
       verkrustet. Die Straßenverkehrsordnung und das Straßenverkehrsgesetz wurden
       für das leichte Fließen des Autoverkehrs geschrieben. In Berlin hat ein
       Gericht in einem ersten Schritt Pop-up-Radwege untersagt. Weil laut
       Straßenverkehrsrecht muss eine Strecke erst richtig gefährlich sein, bis
       ein Pop-up-Radweg gebaut werden kann.
       
       Es fehlt also ein bundesgesetzlicher Rahmen, der ökologische Reformen
       antreibt? 
       
       Exakt. Der Bund macht es den Kommunen über verschiedenste Gesetze sehr
       schwer. Für Kommunen ist es etwa sehr schwierig und langwierig, Tempo 30
       neu auszuweisen. Eine Straßenbahn zu bauen, ist ein unglaublich
       bürokratischer Akt. Fährt sie auf der Straße, gelten andere Bestimmungen
       und Zuschüsse, als wenn sie im Gleisbett fährt und so weiter. Das
       Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz ist echt oft ein Problem.
       
       Der Verkehrssektor ist der Bereich, in dem es bisher kaum gelungen ist, die
       CO2-Emissionen zu senken. Was muss hier jetzt am dringendsten passieren? 
       
       Eine echte [5][Verkehrswende] beruht auf zwei Säulen. Erstens einer
       Antriebswende, die Benzin und Diesel durch Elektromobilität ersetzt. Bei
       schweren LKW kommt vielleicht Wasserstoff ins Spiel. Bei
       Interkontinentalflügen sehe ich derzeit keine andere Technik als
       synthetische Kraftstoffe. Die werden in absehbarer Zeit aber knapp sein,
       weil die Herstellung unglaublich energieaufwändig ist. Aber im Flugbereich
       ist das machbar, weil der nur einen geringen Anteil am gesamten Verbrauch
       ausmacht.
       
       Was wäre die zweite Säule? 
       
       Das ist die Mobilitätswende. Der Ausbau der Bahn und des Öffentlichen
       Nahverkehrs, dazu kommt die Förderung des Radverkehrs. Fast das gesamte
       Bahnnetz ist im Besitz des Bundes. Alte Strecken müssen ertüchtigt, ganz
       neue gebaut werden. Das bedeutet: Schnellere Planungsabläufe sind nötig,
       mehr Personal in Genehmigungsbehörden, die Entschlackung von Bürokratie,
       hohe Investitionen über viele Jahre hinweg.
       
       Ist es für Sie eine harte Bedingung für eine Regierungsbeteiligung, dass
       das 1,5-Grad-Ziel von Paris eingehalten werden muss? 
       
       Das Abkommen von Paris ist eine völkerrechtliche Verpflichtung. Eine
       Regierung mit uns Grünen wird Deutschland auf jeden Fall auf den
       1,5-Grad-Pfad bringen.
       
       Wollen Sie Minister werden? 
       
       Wir wollen gestalten, alle Grünen miteinander. Denn es kommt auf die
       nächsten Jahre wirklich entscheidend an. Jetzt machen wir aber erst mal
       Wahlkampf, dann kommt die Wahl, dann die Verhandlungen. Wenn das alles
       klappt, werden wir das beste Team aufstellen, um die Herausforderungen
       anzugehen.
       
       Müssen die Grünen in einer Regierung das Verkehrsministerium beanspruchen? 
       
       Na, für die „Heute-Show“ wäre es weniger lustig, wenn es keinen Andreas
       Scheuer mehr gibt. Aber das wichtigste Infrastrukturministerium sollte ja
       nicht Satiresendungen unterhalten. Die CSU hat zwölf Jahre lang das
       Ministerium geführt, und das hat dem Land nicht gut getan. Wir brauchen
       dringend eine neue Verkehrspolitik.
       
       Also ja. 
       
       Noch mal, wir brauchen eine neue Verkehrspolitik.
       
       10 Jun 2021
       
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