# taz.de -- Neuverhandlung in der Türkei: Gezi-Prozess, der zweite
       
       > In Istanbul geht der umstrittene Gezi-Prozess in eine neue Runde. Auch
       > der Kulturmäzen Osman Kavala steht wieder vor Gericht.
       
 (IMG) Bild: Am Montag vor dem Gericht Istanbul: Unterstützung für die Angeklagten
       
       ISTANBUL taz | In Istanbul hat am Freitagmorgen eine neue Runde im Prozess
       gegen 16 prominente Oppositionelle begonnen. Ihnen wird vorgeworfen, die
       sogenannten Gezi-Proteste vor acht Jahren organisiert zu haben, um die
       Regierung des damaligen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdoğan zu
       stürzen.
       
       Der Prozess begann unter großer öffentlicher Anteilnahme. Hunderte
       Unterstützer drängten sich vor dem viel zu kleinen Gerichtssaal, in dem nur
       dreißig Plätze zur Verfügung standen, die wegen der Pandemievorgaben auch
       noch nur teilweise belegt werden durften. Der Richter bedauerte, keinen
       größeren Saal erhalten zu haben, und ließ die meisten Zuschauer von der
       Polizei hinausdrängen.
       
       Von den 16 Angeklagten leben mittlerweile sieben im Ausland. Die
       verbliebenen neun Angeklagten, darunter [1][der bekannte Kulturmäzen und
       Menschenrechtsaktivist Osman Kavala], waren alle in einem ersten Verfahren
       wegen mangelnder Beweise der Anklage freigesprochen worden.
       
       Osman Kavala, der bereits seit November 2017 in Untersuchungshaft sitzt,
       wurde nach einer Intervention vom jetzigen Präsidenten Erdoğan allerdings
       trotz des Freispruchs nicht aus der Haft entlassen, sondern gleich unter
       einem neuen Vorwand wieder angeklagt. Er soll nun auch in den Putschversuch
       von 2016 verwickelt gewesen sein.
       
       Auf Druck der Regierung hatte ein Berufungsgericht im Januar die
       Freisprüche allesamt aufgehoben und eine neue Verhandlung angeordnet. Dabei
       hat sich an der Beweislage, die die Staatsanwaltschaft vorträgt, nichts
       geändert.
       
       Die Prozessbeobachterin Emma Sinclair Webb, Vertreterin von Human Rights
       Watch in der Türkei, befand dann auch, bei dem ganzen Verfahren sei die
       Justiz lediglich ein Vollzugsorgan der Regierung: „Die Regierung will Rache
       für die Gezi-Proteste“, so Sinclair Webb.
       
       ## Kavala: „Ein rein politischer Prozess“
       
       [2][Im Sommer 2013 hatte von Istanbul ausgehend eine Protestwelle das ganze
       Land erfasst.] Dabei ging es vor allem um das zunehmend autokratische
       Verhalten Erdoğans und seiner Minister. Die neun anwesenden Angeklagten
       forderten in ersten Stellungnahmen unisono, dass ihre Freisprüche aus dem
       ersten Verfahren bestätigt werden.
       
       Mücela Yapici, eine Architektin, die in der Bürgerinitiative Taksim-Platz
       engagiert ist, zu dem der Gezi-Park gehört, von dem die Proteste ausgingen,
       sagte in ihrer Stellungnahme: „Ich bin bereits freigesprochen worden. Da es
       keine neuen Beweise für die Anklage gibt, kann es nur einen erneuten
       Freispruch geben“.
       
       Kavala beklagte, dass in dem neuerlichen Prozess völlig willkürlich die
       Vorwürfe wegen der Gezi-Proteste und seiner angeblichen Beteiligung an dem
       Putschversuch zusammengelegt worden seien. „Gegen mich findet seit Jahren
       ein rein politischer Prozess ohne jeden Beweis statt.“
       
       Sein Anwalt Can Atalay sagte vor dem Gerichtsgebäude gegenüber
       Journalisten, die erste Anklage gegen Kavala wegen der Gezi-Proteste sei
       von Staatsanwälten geschrieben worden, die zur Gülen-Sekte gehörten,
       dieselbe Sekte, die dann später für den Putschversuch verantwortlich
       gemacht wurde. Kavala soll also sowohl mit wie gegen die Gülen-Sekte
       gearbeitet haben. Dies, so Atalay, sei völlig absurd.
       
       21 May 2021
       
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