# taz.de -- Türkischer Kulturmäzen in Haft: Kesseltreiben am Bosporus
       
       > Seit mehr als drei Jahren sitzt Osman Kavala nun im Gefängnis. Jetzt will
       > der türkische Präsident auch seiner Kulturorganisation an den Kragen.
       
 (IMG) Bild: Blick in eine Ausstellung im Kunstraum Depo in Istanbul, der von Anadolu Kültür initiiert wurde
       
       „Terrorsponsor“, „türkischer Agent dieses ungarischen Juden Soros“,
       „Putschist“. Recep Tayyip Erdoğan, der regierende Autokrat am Bosporus, war
       nie um ein Schimpfwort verlegen, wenn es um Osman Kavala ging.
       
       Den Kulturmäzen aus einer vermögenden Istanbuler Fabrikantenfamilie ohne
       jeden Beweis staatsfeindlicher Umtriebe für mittlerweile gute drei Jahre
       ins Gefängnis befördert zu haben, scheint Erdoğan nicht mehr zu reichen.
       Wenn nicht alles täuscht, wollen die türkischen Behörden jetzt auch seine
       [1][Organisation Anadolu Kültür schließen].
       
       Das türkische Handelsministerium hat dieser Tage eine Klage eingereicht, in
       der die Auflösung der im Jahr 2002 von Kavala gegründeten
       Kulturorganisation gefordert wird. Der absurde Vorwurf: Anadolu Kültür sei
       ursprünglich als Handelsunternehmen registriert gewesen, mache aber keinen
       Gewinn. So sei die Organisation auf Spenden und Zuschüsse angewiesen.
       
       Den Vorwurf, hinter der Konstruktion von Kavalas Organisation steckten
       ausländische Kräfte, hatte vor einigen Tagen die regierungsnahe Zeitung
       Yeni Şafak erhoben. In dem Bericht war Kavala beschuldigt worden, den
       kommerziellen Status von Anadolu Kültür auszunutzen, um der Aufsicht der
       Generaldirektion der türkischen Stiftungen zu entgehen.
       
       ## Die Finanzberichte der letzten zehn Jahre veröffentlicht
       
       Nach Yeni Şafak nutzte Osman Kavala seine Firma, um ausländische Spenden
       „ohne Bereitstellung von Waren oder Dienstleistungen“ von Unternehmen wie
       der Open Society Foundation, einer mit dem Milliardär George Soros
       verbundenen Stiftung, in die Türkei zu leiten. Ein Vorwurf, der sich wie
       das Echo der öffentlichen Vorwürfe Erdoğans liest.
       
       Anadolu Kültür wusste von den Untersuchungen des Handelsministeriums schon
       seit dem vergangenen Sommer, erklärt Asena Günal, Stellvertreterin Kavalas
       und Leiterin des Istanbuler Ausstellungszentrums Depo, im Gespräch mit der
       taz.
       
       Die Organisation habe dem Ministerium Geschäfts- und Finanzberichte der
       letzten zehn Jahre zur Prüfung übergeben. Um der plötzlichen Medienkampagne
       die Spitze zu nehmen, habe sich die Organisation entschlossen, die Vorgänge
       selbst öffentlich zu machen.
       
       „Unser Unternehmen hat seit seiner Gründung im Jahr 2002 alle seine
       Aktivitäten legal und transparent durchgeführt“, heißt es in einer
       Erklärung vom Wochenbeginn. Die türkische Ermittlungsbehörde für
       Finanzkriminalität (Masak) habe aber kein Vergehen festgestellt.
       
       ## Fortsetzung der Rechtswidrigkeit
       
       „Unsere Anwälte sagen uns, dass dies die erste Anklage in der türkischen
       Geschichte wegen zu wenig wirtschaftlicher Aktivitäten sein dürfte“,
       ergänzt Günal sarkastisch. Kein Wunder, dass Anadolu Kültür die Klage als
       „Fortsetzung der Rechtswidrigkeit“ gegen Osman Kavala wertet, wie es in
       einer Erklärung vom Wochenbeginn heißt.
       
       Die nächste Verhandlung in der Sache steht am 15. April an. Vorsorglich hat
       Anadolu Kültür schon mal eine neue Institution unter demselben Namen
       angemeldet.
       
       Dass das Kesseltreiben abgestimmt sein könnte, demonstrierte der türkische
       Präsident am Freitag vergangener Woche. In einer Rede nahm er die
       Steilvorlage von Yeni Şafak auf. Während er Studenten attackierte, die
       gegen die Ernennung eines AKP-Loyalisten zum neuen Rektor der Istanbuler
       Boğaziçi-Universität protestierten, beschimpfte er Kavala erneut als
       „Vertreter von Soros“.
       
       In Anwendung von Sippenhaft schoss sich Erdoğan auch auf Ayşe Buğra ein.
       Osman Kavalas Frau ist Wirtschaftsprofessorin am Atatürk-Institut für
       Moderne Türkische Geschichte an der Boğaziçi-Uni. Sein Angriff: „Die Frau
       des Vertreters von Soros ist auch unter den Provokateuren da“, trug ihm
       einen Shitstorm in den sozialen Medien ein.
       
       ## Wegen Verschwörung zum Sturz der Regierung verurteilt
       
       Im Februar vergangenen Jahres wurde der heute 63 Jahre alte Osman Kavala
       von einem Istanbuler Gericht wegen Verschwörung zum Sturz der Regierung
       während der Proteste im Gezipark im Jahr 2013 freigesprochen, aber sofort
       wegen Spionage erneut festgenommen.
       
       Anfang dieses Monats lehnte ein türkisches Gericht Kavalas Antrag auf
       Freilassung ab und kombinierte die beiden Fälle gegen ihn, nachdem ein
       Berufungsgericht das Gezipark-Urteil aufgehoben hatte.
       
       In einer Erklärung vergangene Woche forderte das US-Außenministerium die
       Türkei auf, Kavala freizulassen, und wiederholte dabei eine Entscheidung
       des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte aus dem Jahr 2019.
       
       Kavalas diverse Initiativen zur Unterstützung kultureller
       Gedächtnisprojekte für Kurden, Armenier, Jesiden und andere Randgruppen in
       der Türkei haben Anadolu Kültür lange Zeit zu einem Ziel staatlicher
       Angriffe gemacht.
       
       ## Kavala fördert Kulturbeziehungen zu Armenien
       
       Im Jahr 2002 gründete Anadolu Kültür außerdem ein Kunstzentrum in der
       überwiegend [2][kurdischen Stadt Diyarbakır.] Darüber hinaus setzte sich
       Kavala für die Förderung der kulturellen Beziehungen zu Armenien ein und
       stellte sich gegen die Weigerung der türkischen Regierung, den Völkermord
       an den Armeniern 1915 zuzugeben.
       
       Nun auch Kavalas Organisation zu schließen, ließe sich auch als Zeichen
       dafür werten, dass der durch die Pandemie und die Wirtschaftskrise unter
       Druck geratene Autokrat an einem Paradefall demonstriert, wie er die
       gesamte kritische Zivilgesellschaft massiv einschüchtern will.
       
       22 Feb 2021
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Verschaerfte-Repressionen-in-der-Tuerkei/!5736142
 (DIR) [2] /KuenstlerInnen-in-Diyarbakr/!5600743
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ingo Arend
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Kunst Türkei
 (DIR) Opposition in der Türkei
 (DIR) Osman Kavala
 (DIR) Türkei
 (DIR) Türkei
 (DIR) Moderne Kunst
 (DIR) Archäologie
 (DIR) Türkei
 (DIR) Türkei
 (DIR) Recep Tayyip Erdogan
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Streitfall Osman Kavala in der Türkei: Ankara droht Rauswurf aus Europarat
       
       Straßburg hat die Freilassung von Osman Kavala angeordnet. Doch die Türkei
       ignoriert das Urteil – das könnte bald gewichtige Folgen haben.
       
 (DIR) Neuverhandlung in der Türkei: Gezi-Prozess, der zweite
       
       In Istanbul geht der umstrittene Gezi-Prozess in eine neue Runde. Auch der
       Kulturmäzen Osman Kavala steht wieder vor Gericht.
       
 (DIR) Künstlerin über Istanbul-Konvention: „Der Machismo war schon immer da“
       
       Die türkische Künstlerin Hale Tenger spricht über den Austritt der Türkei
       aus der Istanbul-Konvention und die Freiheit der Kunst am Bosporus.
       
 (DIR) Familien in der Jungsteinzeit: Das Rätsel von Çatalhöyük
       
       In dem anatolischen Dorf prägten vor 8.000 Jahren nicht die
       verwandtschaftlichen Beziehungen den Alltag. Gab es dort eine egalitäre
       Gemeinschaft?
       
 (DIR) Spannungen zwischen USA und Türkei: Erdoğan sucht die Konfrontation
       
       Nach der Tötung von Türken im Irak wirft Ankara den USA Terrorunterstützung
       vor. Derweil nehmen die Behörden hunderte angebliche PKK-Anhänger fest.
       
 (DIR) Türkische Menschenrechtlerin verurteilt: Sechs Jahre Haft für Eren Keskin
       
       Der Vorwurf: Mitgliedschaft in einer Terrorgruppe. Neben der bekannten
       Menschenrechtlerin sind in der Türkei drei weitere Personen verurteilt
       worden.
       
 (DIR) Türkei und die EU: Erdoğan auf Schmusekurs
       
       Am Montag reist Außenminister Maas nach Ankara. Nach dem Tiefpunkt der
       Beziehungen zwischen EU und Türkei stehen die Zeichen auf Annäherung.