# taz.de -- Kolonialverbrechen an Herero und Nama: Deutschland erkennt Völkermord an
       
       > Endlich: Nach jahrelangen Verhandlungen erkennt Deutschland den Genozid
       > an Herero und Nama an. Namibia bekommt Milliarden – und die Bitte um
       > Vergebung.
       
 (IMG) Bild: Denkmal für die Opfer des Völkermords in Windhuk
       
       BERLIN/WINDHUK dpa | Mehr als 100 Jahre nach den [1][Verbrechen der
       deutschen Kolonialmacht] im heutigen Namibia erkennt die Bundesregierung
       [2][die Gräueltaten an den Volksgruppen der Herero und Nama als Völkermord]
       an. Die Nachkommen will Deutschland in den kommenden 30 Jahren mit 1,1
       Milliarden Euro unterstützen und offiziell um Vergebung bitten. Darauf
       haben sich Regierungsdelegationen aus beiden Ländern nach fast sechs Jahren
       Verhandlungen verständigt, wie Außenminister Heiko Maas am Freitag
       bekanntgab. „Ich bin froh und dankbar, dass es gelungen ist, mit Namibia
       eine Einigung über einen gemeinsamen Umgang mit dem dunkelsten Kapitel
       unserer gemeinsamen Geschichte zu erzielen“, sagte er.
       
       ## Der erste Genozid des 20. Jahrhunderts
       
       Das Deutsche Reich war von 1884 bis 1915 Kolonialmacht im heutigen Namibia
       und schlug Aufstände brutal nieder. Während des Herero-und-Nama-Kriegs von
       1904 bis 1908 im damaligen Deutsch-Südwestafrika begingen die
       Kolonialherren einen Massenmord, der als erster Genozid des 20.
       Jahrhunderts gilt. Historikern zufolge wurden etwa 65.000 von 80.000 Herero
       und mindestens 10.000 von 20.000 Nama getötet.
       
       Bereits seit 2015 verwendet das Auswärtige Amt den Begriff des Völkermords
       in seinem allgemeinen Sprachgebrauch für den Vernichtungskrieg in Namibia.
       Jetzt werden die Gräueltaten auch ganz offiziell als Völkermord bezeichnet.
       
       Anfang des 20. Jahrhunderts, zum Zeitpunkt der Gräueltaten gegen die Herero
       und Nama, gab es diesen juristischen Begriff noch gar nicht. Erst 1948
       beschloss die UN-Generalversammlung als Konsequenz aus dem Holocaust die
       „Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes“ und machte
       Völkermord damit zum Straftatbestand. Die Konvention gilt aber nicht
       rückwirkend, deswegen ergeben sich für Deutschland aus der Anerkennung des
       Völkermords auch keine rechtlichen Konsequenzen.
       
       ## Eine Milliarde als „Geste“und kein Schlussstrich
       
       Die Bundesregierung hat vor diesem Hintergrund auch immer wieder betont,
       dass es aus ihrer Sicht keinen Rechtsanspruch auf Entschädigung gibt. Dass
       sie nun trotzdem eine Summe von 1,1 Milliarden Euro locker macht, sieht sie
       als politisch-moralische Verpflichtung. Es sei eine „Geste der Anerkennung
       des unermesslichen Leids, das den Opfern zugefügt wurde“, sagte Maas. Das
       Geld soll über einen Zeitraum von 30 Jahren vor allem in Projekte in den
       Siedlungsgebieten der Herero und Nama gesteckt werden. Dabei soll es um
       Landreform, Landwirtschaft, ländliche Infrastruktur und Wasserversorgung
       sowie Berufsbildung gehen.
       
       Das dritte Kernelement der gemeinsamen politischen Erklärung, die in den
       nächsten Wochen noch feierlich unterzeichnet werden soll, ist die Bitte um
       Vergebung. Berichten zufolge soll sie durch Bundespräsident Frank-Walter
       Steinmeier in einem feierlichen Akt im Parlament von Namibia ausgesprochen
       werden. Offiziell angekündigt wurde das vom Bundespräsidialamt aber noch
       nicht.
       
       „Unser Ziel war und ist, einen gemeinsamen Weg zu echter Versöhnung im
       Angedenken der Opfer zu finden“, sagte Maas. Er betonte aber auch, dass die
       Vereinbarung mit Namibia keinen Schlussstrich unter die Vergangenheit
       bedeute. „Die Anerkennung der Schuld und unsere Bitte um Entschuldigung ist
       aber ein wichtiger Schritt, um die Verbrechen aufzuarbeiten und gemeinsam
       die Zukunft zu gestalten“, betonte er. Ziel ist es, die Zusammenarbeit
       beider Länder nun deutlich zu intensivieren.
       
       ## Ein deutscher PR-Coup?
       
       Die Verhandlungen wurden von Beauftragten der beiden Regierungen geführt,
       die Herero und Nama waren aber eng eingebunden. Bei einigen Vertretern der
       Volksgruppen hatten erste Hinweise auf das Abkommen jedoch bereits Kritik
       ausgelöst. Es sei nichts weiter als ein PR-Coup Deutschlands und ein Akt
       des Betruges der namibischen Regierung, hatte es in einer Erklärung der
       Ovaherero Traditional Authority und Nama Traditional Leaders Association
       geheißen.
       
       Nach Angaben ihrer deutschen Vertreterin haben beide Gruppen zudem eine
       entsprechende Petition im Bundestag eingebracht. Die Ovaherero Traditional
       Authority ist nur eine von vielen Herero-Gruppen, von denen acht offiziell
       von der Regierung anerkannt und in der namibischen Verhandlungsdelegation
       vertreten sind. Auch die Nama Traditional Leaders Association ist nicht
       repräsentativ für alle Nama-Gruppen.
       
       Deutschland hatte sich ab 1884 Kolonien in Afrika, Ozeanien und Ostasien
       angeeignet. Es verfügte damit über das viertgrößte koloniale Gebiet und war
       Besatzungsmacht nicht nur in Deutsch-Südwestafrika (Namibia), sondern auch
       in Kamerun, Togo, Deutsch-Ostafrika (Tansania), im chinesischen Tsingtao
       und auf Pazifikinseln. Die gewaltvolle Herrschaft der Deutschen führte zu
       Aufständen und Kriegen. Mit der deutschen Niederlage im Ersten Weltkrieg
       wurden ihre Kolonien dann unter den Siegermächten aufgeteilt.
       
       Die jetzt abgeschlossenen Verhandlungen hingen lange Zeit an der heiklen
       Frage einer finanziellen Entschädigung für koloniale Ausbeutung und
       Unterdrückung fest. Über lange Strecken muteten sie wie ein Geschacher um
       Bedingungen und Umstände für die längst überfällige Entschuldigungsgeste
       Deutschlands an. Die Bundesregierung habe einer „bedingungslosen
       Entschuldigung“ an die namibische Regierung, ihr Volk und die betroffenen
       Gemeinden zugestimmt, wolle aber nicht den Begriff „Reparationen“ benutzen,
       hatte Namibias Präsident Hage Geingob noch im vergangenen August geklagt.
       Auch der Begriff „Heilung der Wunden“ wurde als unzureichend abgelehnt.
       
       Aus deutscher Sicht war es wichtig, jetzt noch vor der Bundestagswahl zu
       einer Einigung zu kommen. Denn auch die beiden Parlamente sollen noch
       zustimmen.
       
       28 May 2021
       
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