# taz.de -- Rechtsextremismus-Experte über AfD: „Wähler machen Radikalisierung mit“
       
       > Sachsen-Anhalts AfD habe sich professionalisiert sagt David Begrich. Die
       > neue Strategie könne die Partei noch gefährlicher machen.
       
 (IMG) Bild: AfD-Spitzenkandidat in Sachsen-Anhalt, Oliver Kirchner und AfD-Bundessprecher Tino Chrupalla
       
       taz: Herr Begrich, hat die CDU mit ihrem überraschenden Wahlsieg von 37,1
       Prozent der Stimmen [1][Sachsen-Anhalt] vor der AfD gerettet? 
       
       David Begrich: In der Öffentlichkeit ist diese Wahrnehmung entstanden,
       [2][dass Ministerpräsident Reiner Haseloff Sachsen-Anhalt vor der AfD
       retten kann.] Damit hat er viele Wählerinnen und Wählern überzeugt. Die
       entscheidende Frage ist aber, wie das Wahlergebnis der AfD zu bewerten ist.
       
       Nämlich? 
       
       Auf der einen Seite hat die Partei 50.000 Wähler verloren, auf der anderen
       Seite ist das Wählermilieu stabil – obwohl die Partei seit 2016 sehr stark
       nach rechts gerückt ist.
       
       Was bedeutet das genau? 
       
       Die Wählerschaft der AfD ist offenbar gewillt, jeden
       Radikalisierungsschritt der Partei mitzugehen. Aber ich glaube auch, dass
       da unterschiedliche Faktoren eine Rolle spielen und diese hohe Zustimmung
       kein Automatismus ist. Offenbar ist das Thema Coronakrise für die AfD nicht
       so mobilisierungsfähig wie das Thema Flüchtlinge.
       
       Welche Faktoren sind das? 
       
       Zum einen gibt es eine Zustimmungsbereitschaft zur rechtsradikalen
       Programmatik der AfD. Auf der anderen Seite aber auch eine Kontinuität der
       Wahlentscheidungen von bestimmten Wählermilieus. Die Kerngruppe der
       AfD-Wähler ist die Generation Vierzig-plus der Berufstätigen.
       
       Das ist deshalb interessant, weil wir vor über zwanzig Jahren, als diese
       Gruppe Erstwähler waren, schon einmal eine Diskussion über
       Zustimmungsbereitschaft zu rechten Parteien am Beispiel der Deutschen Volks
       Union (DVU) hatten, als diese 1998 bei der Landtagswahl 12,8 Prozent
       erlangte. Meine These ist, dass es hier so etwas wie eine generationelle
       Fortsetzung der Zustimmungsbereitschaft zur rechten Politik gibt.
       
       Auf einen generationellen Effekt hatte auch der Ost-Beauftragte der
       Bundesregierung, Marco Wanderwitz, in einem Interview angespielt: Die
       Ostdeutschen seien teilweise „diktatursozialisiert“ und „auch nach dreißig
       Jahren nicht in der Demokratie angekommen“. Nur ein geringer Teil der
       AfD-Wähler:innen sei „potenziell rückholbar“, man könne darum nur „auf die
       nächste Generation“ hoffen. 
       
       Die Aussage greift zu kurz. Er bezieht sich auf einen alten soziologischen
       Streit zwischen Zusammenhängen von DDR-Sozialisation und
       Zustimmungsbereitschaft zu rechten Parteien. Das ist nicht ganz falsch,
       aber auch nicht richtig. Sowohl die Prägung aus der DDR-Zeit als auch die
       Prägung aus der Transformationszeit der 1990er und 2010er Jahre sind
       Einflussfaktoren für Zustimmung zur autoritären Orientierung und der
       Bereitschaft, nationalistischen Einstellungsmustern zuzustimmen.
       
       Aber: Wanderwitz hat nun noch einmal differenziert und von einer Weitergabe
       von Einstellungsmustern gesprochen. Auch das ist nicht falsch, antwortet
       aber auf der Handlungsebene noch nicht.
       
       Worum müsste es denn stattdessen gehen? 
       
       Es geht es um die Frage, wie man politische Bildung in bestimmten
       Generationenkohorten in Ostdeutschland erreicht. Ein Problem ist nämlich,
       dass die Erwerbsbevölkerung, die durch Schule oder Universität nicht mehr
       zu erreichen ist, kaum Zugänge zur politischen Bildung hat.
       
       Was bräuchte es, um diese Personen besser zu erreichen? 
       
       Das ist schwer zu beantworten. Man kann es mal umdrehen: Es gibt ja
       durchaus auch Erfolge. Wenn die AfD 50.000 Wähler verliert, ist das auch
       ein positives Zeichen. Es müsste aber zunächst erst mal eine Debatte
       darüber entstehen, aus welchem Grund es in Sachsen-Anhalt und anderen
       ostdeutschen Bundesländern in der Bevölkerung die weit verbreitete
       Wahrnehmung gibt, dass Partizipation an politischen Prozessen entweder
       nicht möglich ist oder nichts bringt.
       
       Die Bevölkerung fühlt sich also von der Politik abgehängt – das bestätigen
       auch Meinungsumfragen in Sachsen-Anhalt. Fehlende Teilhabe scheint ein
       großes Problem zu sein. Warum ist das vor allem in ostdeutschen
       Bundesländern so? 
       
       Weil die Frage der Identifikationsbereitschaft mit der Demokratie immer
       auch an eine Selbstwirksamkeitserfahrung gebunden ist, die über das Wählen
       hinausgeht. Die Leute haben ein unglaublich pragmatisches Verhältnis zu
       Parteien und zur Wahl. Sie wählen, anders als in Westdeutschland, nicht aus
       Traditionsgründen. Zugleich gibt es hohe Erwartungen an das ganz konkrete
       Handeln von Parteien und Regierung.
       
       Welche Erwartungen? 
       
       Zum Beispiel die ganz pragmatische Frage: Kann eine Regierungspartei dafür
       sorgen, dass die Apotheke, der Dorfsupermarkt oder der Briefkasten in dem
       Ort, in dem ich wohne, erhalten bleiben? Wenn diese Dinge verschwinden,
       dann wird dafür auch die jeweilige Regierungspartei verantwortlich gemacht,
       auch wenn sie gar keinen direkten Einfluss darauf hat.
       
       Wird die CDU als Regierungspartei künftig darauf reagieren können? 
       
       Die Frage ist noch nicht zu beantworten, weil man noch nicht weiß, welche
       Koalition es geben wird. Aber die Folgen der Coronakrise werden die
       Handlungsspielräume verengen.
       
       Was machen CDU und AfD anders als Linke, SPD und Grüne, deren
       Zustimmungswerte sehr gering sind? Warum können sie die Wähler:innen
       nicht abholen? 
       
       Die Zustimmung für die CDU wird von einer Stabilitätserzählung getragen,
       die gerade in Ostdeutschland großes Gewicht hat. Die AfD profitiert von der
       politisch-rhetorischen Eskalation des Gegenteils. SPD, Linke und Grüne
       haben jeweils spezifische Probleme in der strategischen Ansprache und
       Mobilisierung ihrer Zielgruppen.
       
       Was ist in der kommenden Legislatur von der AfD zu erwarten? 
       
       Die Partei hat einen Professionalisierungsprozess durchlaufen. Ich glaube,
       dass sie daran anknüpfen wird und es in Zukunft nicht mehr nur noch zu
       Provokation und Radau kommt. Man wird sich darauf einstellen müssen, dass
       mehr auf der inhaltlichen Ebene passieren wird.
       
       Ist es das, was Sie meinen, wenn Sie von einem „Kulturkampf von rechts“
       sprechen? 
       
       Ja. Meine Befürchtung ist, dass die AfD sich strategisch mehr darauf
       konzentrieren wird, sich mit Leuten auseinanderzusetzen, die sie zuvor als
       Gegner markiert haben. Durch Anfragen im Parlament kann sie so
       unterschiedliche Träger diskreditieren.
       
       Das hat sie vorher auch schon getan und damit Menschen unter
       „Linksextremismus“-Verdacht gestellt oder ihnen vorgeworfen, Steuermittel
       zu verschwenden. Das kann von Jugendkulturarbeit über Soziokulturarbeit,
       Fraueninformationszentren oder Migrantenvereine alle gleichermaßen treffen.
       Alle, die politisch nicht mit der AfD auf einer Linie sind. Und: Man muss
       aufpassen, dass der Gewöhnungseffekt im Parlament gegenüber der AfD nicht
       dazu führt, dass die Politik der AfD normalisiert wird.
       
       16 Jun 2021
       
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