# taz.de -- François Ozons Film „Sommer 85“: Tanz auf dem Grab
       
       > François Ozons Film „Sommer 85“ mischt Jugendromanze und Thriller. Mit
       > dabei: New-Wave-Klassiker und Rod Stewarts Kuschelrockschlager.
       
 (IMG) Bild: So trug man die Haare damals: Alexis (Félix Lefebvre) und David (Benjamin Voisin) in „Sommer 85“
       
       Ach, bittersüße Jugend. Immer geht es um alles, im Seegang der großen
       Gefühle um Liebe und Tod und allem dazwischen. [1][Regisseur François Ozon
       ist ein Meister im Spiel der emotionalen Extreme], und seine sonnig-morbide
       Romanze „Sommer 85“ steht da in keinem Schatten. Mitten hinein wirft uns
       der Film ins Ferienidyll eines Badeorts an der Normandieküste Mitte der
       Achtziger mit all ihren Fönfrisuren, gebleichten Jeans und pastellfarbenen
       Polohemden.
       
       Gut enden wird sie trotzdem nicht, die junge Liebe zwischen Alex und David,
       das ist vom stürmischen Anfang an klar. Da stellt der 16-jährige Alex
       (Félix Lefebvre) als Ich-Erzähler das Objekt seines Begehrens vor, den zwei
       Jahre älteren David (Benjamin Voisin), und nennt ihn lakonisch „zukünftigen
       Leichnam“. Nun wartet Alex in Handschellen auf seine Anklage.
       
       Was dann in Rückblenden zu sehen ist, sind seine Erinnerungen an den alles
       verändernden Sommer, in dem er zum ersten Mal verliebt war, gleich nachdem
       er mit einem geborgten Segelboot gekentert war und von einem unbekannten
       Jungen heldenhaft gerettet wurde. Die beiden Jungs verbringen einige
       unbeschwerte Wochen zusammen, Alex ist über beide Ohren verknallt, muss
       aber eifersüchtig mitansehen, wie David mit Kate, einem Au-Pair-Mädchen
       aus England (Philippine Velge) flirtet. Es kommt zum Streit, der tragisch
       endet.
       
       Weil Alex über die Ereignisse und seine Emotionen lange nicht sprechen
       kann, ermutigt ihn sein Vertrauenslehrer (Melvil Poupaud), es
       aufzuschreiben, auch seine Faszination für alles Morbide. Aus Schmerz wird
       der Junge zum Schriftsteller, kreatives Schaffen als Therapie, auch das ein
       wiederkehrendes Sujet bei Ozon. Dabei spielt er in seinen Filmen liebend
       gern mit den Erwartungen seines Publikums, führt es nicht nur raffiniert an
       der Nase herum, sondern lässt es dabei genau wissen, dass er es tut, macht
       das Erzählen selbst zum Thema und erhöht durch diesen Wink den Genuss noch.
       
       ## Die Aidskrise schwingt latent mit
       
       Unerbittlich springt er zwischen dem Gestern und Heute, verbindet
       spielerisch eine flirrende Liebesgeschichte mit Thrillerelementen. Es ist
       eine Art Beichte, bei der immer ein Rest Skepsis bleibt, wie
       vertrauenswürdig der Erzähler ist und damit der ganze Film. Oder vielmehr
       ein Bildungsroman der Abweichung. Am Ende schreibt Alex in seinem Memoir:
       Es ist wichtig, seiner eigenen Geschichte zu entfliehen. Er will kein
       Produkt seiner Herkunft sein, kein Opfer der Umstände, sondern sich selbst
       (er-)finden.
       
       Ozon verfilmt damit den in den frühen Achtzigern erschienenen
       Young-Adult-Roman „Tanz auf meinem Grab“ des britischen Schriftstellers
       Aidan Chambers, den Ozon mit 17 gelesen hatte und schon damals von einer
       Adaption träumte. Nun, 35 Jahre später und auch als Filmemacher gereift,
       verlegt er die Handlung von Englands Südküste nach Frankreich. Die
       seinerzeit in den um Liebe und Tod kreisenden Roman gelesenen Chiffren der
       Aidskrise, die 1985 mit dem Tod Rock Hudsons im Bewusstsein der
       Mehrheitsgesellschaft angekommen war, buchstabiert der Film nie aus, sie
       schwingen latent aber mit.
       
       Zugleich ist Ozons 19. Regiearbeit eine Hommage an [2][Sommerfilme wie „La
       Boum“] und „Stand By Me“, die auch musikalisch stimmig untermalt ist. Neben
       dem geschmackssicheren Score von JB Dunckel (eine Hälfte des
       Electropop-Duos Air) besteht der Soundtrack aus vielsagenden
       80er-Klassikern wie Bananaramas „Cruel Summer“ und Rafs „Self Control“. Als
       bekennender New-Wave-Fan wollte Ozon außerdem den 1985 erschienenen
       The-Cure-Song „In Between Days“ so unbedingt haben, dass er kurzerhand
       Handlung (und Filmtitel) vom Sommer 84 um ein Jahr verlegte.
       
       Der eigentliche Coup ist allerdings, wie ihm am Ende mit Rod Stewarts nicht
       totzukriegendem Kuschelrockschlager „Sailing“ von 1975, der schon in den
       Achtzigern von vorgestern klang, völlig ironiefrei ein magischer Kinomoment
       gelingt.
       
       8 Jul 2021
       
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