# taz.de -- Grünen-Wahlkampf nach der Flut: Immer schön vorsichtig bleiben
       
       > Wie thematisiert man die Flutkatastrophe, ohne die Opfer zu
       > instrumentalisieren? Die gebeutelten Grünen tasten sich an die richtige
       > Tonlage heran.
       
 (IMG) Bild: Vorsichtiger Wahlkampfauftakt. Plakatenthüllung in Brandenburg
       
       BERLIN taz | Oliver Krischer ist deutlich anzumerken, wie sehr ihn die
       Hochwasserkatastrophe mitgenommen hat. Als Vizevorsitzender und
       Klimaexperte der Grünen-Bundestagsfraktion predigt er seit Jahren, dass die
       Klimakrise zu Dürren, Hochwasser oder Starkregen führt. „Aber wenn Sie in
       Ihrer Heimat sehen, wie Bäche zu reißenden Flüssen werden, die Autos
       wegspülen, bekommt das Thema eine andere Dimension.“
       
       Die Katastrophe, bei der vor zwei Wochen ganze Dörfer in Fluten
       untergingen, fand vor Krischers Haustür statt. Er wuchs in der Eifel auf,
       heute lebt er im nordrhein-westfälischen Düren. In Gemünd in der Eifel sei
       der Imbiss, in dem er schon als Schüler Pommes gekauft habe, halb
       weggespült worden, erzählt er. Das Restaurant um die Ecke sei so zerstört,
       dass es wahrscheinlich abgerissen werden müsse. „Ich muss ehrlich sagen:
       Ein solches Ausmaß hätte ich nicht für möglich gehalten.“
       
       Was Krischer erzählt, beschreibt die Stimmungslage bei den Grünen ganz gut.
       Der Schock über die Hochwasserkatastrophe in Nordrhein-Westfalen und
       Rheinland-Pfalz mit über 180 Toten sitzt tief, obwohl alle wussten, dass so
       etwas jederzeit passieren kann. Und ihnen ist klar: Das Ereignis verändert
       den Wahlkampf, der für die Grünen bisher schlecht lief und sich vor allem
       um unernste Themen drehte, Baerbocks Skandälchen beim Lebenslauf etwa oder
       beim Buch.
       
       Aber wie thematisiert man, dass die Klimakrise die Wahrscheinlichkeit
       solcher Extremwetterereignisse erhöht, ohne das Leid und die Opfer zu
       instrumentalisieren? Die Grünen-Spitze vollführt gerade einen Balanceakt.
       Sie will nach wochenlangen Defensivgefechten wieder in die Offensive, aber
       gleichzeitig den Eindruck vermeiden, Kapital aus einem tödlichen
       Naturereignis schlagen zu wollen. Ihre Strategie ist bestechend einfach:
       Immer schön vorsichtig. Schritt für Schritt zu den Inhalten kommen, bloß
       nicht überziehen.
       
       ## Anfangs maximale Zurückhaltung
       
       Als vor zwei Wochen die ersten Bilder von reißenden, braunen Wassermassen
       in Innenstädten in Sozialen Netzwerken zu sehen waren, reagierten die
       Grünen maximal zurückhaltend. Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock reiste
       ins Krisengebiet, aber nicht in die zerstörten Hotspots und ohne
       Kamerabegleitung. In Gummistiefeln Präsenz zu zeigen, das sei der Job der
       AmtsinhaberInnen, so die interne Überlegung – also der von
       Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) und Vizekanzler Olaf Scholz (SPD).
       
       Baerbock lobte in ihrem ersten Statement die Rettungskräfte und forderte
       unbürokratische Hilfe für die Opfer. Aber die Klimakrise, das grüne
       Kernthema, erwähnte sie mit keinem Wort. Auch andere Grüne hielten sich
       auffällig zurück. Keine plakativen Bilder vor kaputten Häusern, kein
       Verweis auf den Klimawandel: Seltsam verhalten wirkte das, Scholz und
       Laschet stellten den offensichtlichen Zusammenhang zum Klimawandel damals
       schneller her.
       
       Die Zurückhaltung war eine bewusste und intensiv diskutierte Entscheidung
       der Grünen-Spitze. Baerbock und Habeck wollten nicht in die Falle tappen,
       wieder mal als Besserwisser da zu stehen. Diese Erfahrung machte der
       Innenpolitiker Konstantin von Notz, der für einen spitz formulierten Tweet,
       in dem er auf klimapolitische Versäumnisse der Konkurrenz hinwies, sofort
       von der Bild-Zeitung hingehängt wurde.
       
       Es sei völlig richtig gewesen, dass sich Baerbock und Habeck nicht vor
       laufenden Kameras auf die Deiche gestellt hätten, um zu verkünden, was die
       Ursache der Katastrophe und deren Lösung sei, sagt Krischer. „Das verbietet
       sich aus Respekt vor den Menschen einfach.“ Nothilfe habe erstmal im
       Vordergrund gestanden. „In der dramatischen Notsituation braucht es keine
       schlaumeierischen Politiker*innen.“
       
       ## „Es kommt auf den Tonfall an“
       
       Was er nicht dazu sagt, ist, dass selbstverständlich auch demonstrative
       Zurückhaltung eine Art von Inszenierung ist. Die Grünen wollen zu dem Image
       zurück, das sie in der Opposition unter Habeck und Baerbock erfolgreich
       machte: Sie präsentieren sich als ernsthaft nachdenkende, seriös agierende
       und staatstragende Alternative.
       
       Schritt für Schritt tasten sie sich seither voran. Das Vorhaben, Ideen
       gegen Extremwetterereignisse im Wahlkampf zu thematisieren, wird als
       durchaus heikel eingeschätzt. „Es kommt auf den Tonfall an“, heißt es
       intern. „Wir dürfen auf keinen Fall den Eindruck vermitteln, wir hätten es
       schon immer gewusst.“
       
       Dazu gehört auch die Vermeidung von Schadenfreude. Als das Video von Armin
       Laschet für Aufregung sorgte, in dem er hinter Bundespräsident Frank-Walter
       Steinmeier im Flutgebiet unpassend feixte, hielten sich die Grünen mit
       hämischen Kommentaren zurück. Die Szene erkläre sich von selbst, heißt es.
       Spitzen gegen den CDUler seien überflüssig gewesen. Aber dass Schwarz-Grün
       eine wahrscheinliche Koalitionsvariante ist, spielt natürlich auch eine
       Rolle.
       
       Diese Woche nun startete die nächste Phase der Grünen-Strategie. Der
       Zurückhaltung der ersten Tage folgen Vorstöße, die auf die Vermeidung von
       Flutkatastrophen und eine bessere Klimavorsorge zielen. Den Anfang machten
       am Montag Baerbock und die Innenpolitikerin Irene Mihalic. Sie stellten in
       der Berliner Bundespressekonferenz Ideen für einen zentralisierten
       Katastrophenschutz vor. Jener, betonten sie, könne Informationen bündeln.
       
       ## Aufschlag von Habeck, Hofreiter und Krischer
       
       Am Donnerstag folgte ein Aufschlag von Co-Spitzenkandidat Robert Habeck,
       Fraktionschef Anton Hofreiter und Klimaschutzexperte Oliver Krischer. In
       einem achtseitigen Impulspapier fordern sie eine vorausschauende Politik.
       „Vorsorge muss zum Leitprinzip einer neuen Politik werden.“
       
       Sie listen mehrere konkrete Vorschläge auf. Ein vom Bund aufgelegter
       Klimavorsorge-Fonds von 25 Milliarden Euro solle Kommunen bei der Anpassung
       an den Klimawandel unterstützen – und etwa die Umwandlung in
       „Schwammstädte“ – also Städte, die durch geschickte Planung viel Wasser
       aufnehmen können – oder den Umbau der Kanalisation unterstützen.
       
       Für Hausbesitzer solle es künftig Steueranreize oder Fördermittel geben,
       wenn sie ihre Gebäude gegen Starkregen oder Hochwasser wappnen. Eine
       Elementarschäden-Versicherung „sollte Standard werden“, findet die
       Grünen-Spitze. Außerdem müsse es ein Klimaschäden-Kataster geben, das
       regionale Folgen erfasst. Die Grünen-Spitze schlägt außerdem vor, neue
       Standorte in den Hochwasserschutz einzubeziehen. „Besser eine Kiesgrube
       oder ein Braunkohletagebau laufen kontrolliert voll, als dass Siedlungen
       überflutet werden.“
       
       Auch der dritte Akt der „Inhalte nach vorn“-Offensive ist bereits geplant.
       In der kommenden Woche werden Baerbock und Habeck ein
       Klimaschutz-Sofortprogramm vorstellen, das im Falle einer
       Regierungsbeteiligung schnell umgesetzt werden soll. Das vorsichtige
       Vorgehen, das in der Basis nicht nur für Freude sorgte, könnte erfolgreich
       sein. In einer aktuellen Umfragen klettern die Grünen wieder über die
       20-Prozent-Marke, während die Union leicht verliert.
       
       Und auch die grüne Kommunikation wird entschiedener. Die Katastrophe sei
       „ein Fenster, durch das wir auf unsere Zukunft schauen“, schreiben Habeck,
       Hofreiter und Krischer. Nicht jede Naturkatastrophe sei eine unmittelbare
       Folge der Erderhitzung. Starkregen, heiße Sommer, Waldbrände und
       Sturmfluten habe es schon immer gegeben – „aber die Heftigkeit, Summe und
       die schnelle Abfolge der Extremwetterereignisse sind ein untrüglicher
       Indikator dafür, dass die Klimakrise da ist und Menschenleben kostet.“
       
       29 Jul 2021
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ulrich Schulte
       
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