# taz.de -- Kunst im öffentlichen Raum: Nur scheintot
       
       > Große Oper ganz aus der Nähe betrachtet: „L’Ormindo“ von Francesco
       > Cavalli wird in auf einem Platz in Berlin inszeniert von Pascual Jordan.
       
 (IMG) Bild: Die Göttin Harmonia (Sara Gouzi) preist Venedig, die Stadt der Musik und des Theaters
       
       Es war anders gedacht. Francesco Cavalli, 1602 in der Lombardei geboren,
       schrieb ungefähr 40 Opern. Eine davon, „L’Ormindo“, [1][spielt in Fez] und
       genau dort wollte Pascual Jordan das Werk aufführen, das heute kaum noch
       jemand kennt. Arabischer Zauber zu den Klängen italienischer Musik des 17.
       Jahrhunderts, an einem warmen Sommerabend in der uralten marokkanischen
       Stadt: schöner lässt sich wohl nicht träumen mitten in den Pandemien,
       Naturkatastrophen und Kriegen des Jahres 2021.
       
       Sogar die EU und ihre Botschaft im Königreich Marokko hätten dafür bezahlt,
       aber es blieb beim Traum. Irgendeine 7-Tage-Inzidenz führte zur offiziellen
       Absage der Aufführung in Fez. Nicht ganz nachvollziehbar, innenpolitische
       und diplomatische Spannungen sind nicht auszuschließen. Pascual Jordan ist
       Kummer gewohnt. Er blieb zu Hause, an der Eisenacher Straße in Schöneberg,
       wo er eine Galerie betreibt.
       
       „Werkstattgalerie“ heißt sie, denn Jordan ist bildender Künstler. Aber
       nicht nur. Er hat Baudenkmäler restauriert und in der Lausitz mehrere Jahre
       lang einen „Opernsommer“ organisiert. Gleich um die Ecke seiner Wohnung
       liegt ein Kinderspielplatz, der weniger durch Kindergeschrei auffällt als
       durch die Dealer und Stricher, die sich dort regelmäßig treffen, und das
       nicht immer friedlich.
       
       ## Nachbarschaftsprojekt Schönheit und Gewalt
       
       Jordan kämpft seit Jahren dagegen an mit einem Programm, das er mit seinem
       2019 leider gestorbenen Freund und Partner Rudolf zur Lippe entwickelt hat.
       Es heißt „Schönheit gegen Gewalt“ und besteht darin, auf und um den
       Spielplatz herum Musik aufzuführen. Es begann mit einem bescheidenen
       „Serenadenkonzert“, letztes Jahr jedoch stand gleich „L’Incoronazione die
       Poppea“ auf dem Programm, das riesengroße Hauptwerk von Claudio Monteverdi.
       
       Nun also „Ormindo“ von Francesco Cavalli, 1644 in Venedig uraufgeführt.
       Danach sind keine weiteren Aufführungen nachweisbar bis 1967 in
       Glyndebourne. Ungekürzt dauert das Werk mit Prolog und drei Akten für 18
       Solorollen, Chor und Orchester vermutlich mehrere Stunden. Der Bariton
       Thomas de Vries, der sich Kammersänger nennen darf und von Anfang an bei
       Jordans Kiezkonzerten beteiligt war, hat daraus eine in diesem beschränkten
       Rahmen spielbare, zwei Stunden lange Fassung entwickelt.
       
       Am Dienstag gab es daher eine zweite Uraufführung des Stücks, und von den
       ersten Takten bis zum Ende ist ein absolutes Meisterwerk zu hören. Ganz
       große Oper am Anfang ihrer Gattungsgeschichte. Monteverdi hatte Cavalli
       einst als Sänger an seinen Domchor in Venedig geholt. Was der danach selber
       schrieb, geht oft weit über das Vorbild seines Lehrers hinaus. Monteverdis
       „Cantar parlando“ ist bei Cavalli dynamischer geworden und schreckt auch
       vor harten Schnitten und extremen Affekten nicht zurück, unterstützt von
       den sparsam instrumentierten Harmonien des minimal besetzten Orchesters.
       
       ## Der Giftmord
       
       Die Handlung des Librettisten Giovani Faustini, der für fast alle
       Cavalli-Opern den Text schrieb, ist eine komplizierte Liebeskomödie mit den
       üblichen Paaren hohen und niedrigen Standes und all ihren Klagen, Seufzern
       und Intrigen. Der Höhepunkt ist ein Giftmord, angeordnet vom alten Sultan
       selbst, der zu Recht an der ehelichen Treue seiner jungen Gattin zweifelt.
       Sein Militärkapitän allerdings gibt dem sündigen Paar nur ein
       Schlafmittelchen zu trinken. Im Angesicht des Herrschers wachen die
       scheintot daliegenden Leichen alsbald wieder auf und alles ist bereit für
       den großen Schlusschor.
       
       Es muss ja nicht Fez sein, auch in Berlin könnte ein Sommerabend kaum
       glücklicher zu Ende gehen. Auch das kam anders. Der Berliner Sommer fiel
       aus, Regen war angesagt. Nicht weit von Jordans Wohnung entfernt steht ein
       1905 gebautes Theater, das heute „Metropol“ heißt und schon vor Corona
       pleite war. Der Saal ist drei Stockwerke hoch, eine Bühne mit Revuetreppe
       dient als Kino für die Videoszenen zerbombter Straßen, mit denen Jordan die
       arabische Gegenwart in Erinnerung ruft.
       
       ## Mal strenggläubig, mal verführerisch
       
       Eine Reporterin und ihr Kameramann suchen vergeblich nach dem Königspalast.
       So viel Tagesaktualität darf schon sein, auf dem leeren Parkett jedoch
       beginnt der ewige Traum der Schönheit. Die Malerin Ingeborg zu
       Schleswig-Holstein hat dafür die Kostüme entworfen, weite Gewänder, mal
       strenggläubig, mal verführerisch für beide Geschlechter.
       
       Die Frauen rauchen und spielen Tennis, die Männer sind nur mit ihrer Macht
       beschäftigt. Alle zusammen aber singen sie mit großer selbstbewusster
       Kunst: Josefine Göhmann und Martin-Jan Nijhof als Königspaar, Sara Gouzi,
       Ron Silberstein, Mayan Goldenfeld, Katharina Peetz, Ralf Rachbauer als
       Prinzessinnen, Prinzen und Bedienstete. Dazu Matteo El Khodr in der
       Titelrolle und Eduardo Roches-Faundes als Page: Zwei Männer in Sopranlage,
       zart als Liebhaber der eine, komisch der andere. Ein Traum.
       
       13 Aug 2021
       
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