# taz.de -- Klimawandel und Holzfäller in Oregon: Alles ganz natürlich
       
       > Brennende Wälder? Völlig normal. Rekordhitze? Nicht menschengemacht. Zu
       > Besuch bei Holzfällern in Oregon, die vom Klimawandel nichts wissen
       > wollen.
       
 (IMG) Bild: Wettkampfsägen in Prospect. Von Klimaforschern will man hier nichts wissen
       
       PROSPECT taz | Die Nationalhymne kommt im Country-und-Western-Stil aus dem
       Lautsprecher vor der Bar, wo Elchgeweihe und Kojotenfelle hängen. Nach der
       Musik gibt ein Mann mit Bibermütze den Startschuss ab. Von beiden
       Straßenseiten erschallt Jubel. Die Menschen sitzen auf Ladeflächen von
       Trucks, von denen manche noch Werbesticker für den unterlegenen Kandidaten
       des letzten Präsidentschaftswahlkampfs haben. Um sie herum hüpfen Kinder
       über den mit Tannennadeln bedeckten Asphalt.
       
       [1][Prospect] feiert die Holzfäller, denen der Ort im Süden von Oregon
       seine Existenz verdankt. Die Wettkämpfe umfassen Sägen, Axtwerfen und
       Balancieren auf Baumstämmen, die im Wasser schwimmen. Es geht ausgelassen
       zu, so wie jedes Jahr beim Holzfäller-Karneval am dritten Samstag im
       August.
       
       Fast vergessen wird dabei, dass in diesem Jahr ein milchig weißer Nebel den
       Blick verhängt. Die umliegenden Berge sind nur in ihren Konturen erkennbar.
       Beißender Geruch kratzt in Augen, Nase und Rachen. Es brennt.
       
       ## Feuer? „Das ist nichts Besonderes“
       
       „Ach. Das ist nichts Besonderes“, wischt Tony die Waldbrände zur Seite:
       „Das passiert hier jedes Jahr.“ Der 27-Jährige ist davon überzeugt, dass
       die Brände nicht so bedrohlich würden, wenn die Forstbehörden nur den
       Anwohnern erlaubten, mehr abzuholzen. Ein leererer Waldboden, so sein
       Argument, würde die Gefahr von „Feuerleitern“, bei denen trockenes
       Unterholz die Flammen nach oben in die Bäume leitet, verringern.
       
       Der junge Mann ist ein Hüne, der sich hinter einem roten Vollbart und einer
       orange glänzenden Brille versteckt. Im Wettkampf hat er gerade seine
       Doppelaxt direkt ins Ziel geworfen. Bier sprudelt aus dem dahinter
       verborgenen Fass. Das Publikum spendet doppelten Applaus – einmal für den
       gelungen Wurf, einmal für seinen Einsatz als Marine in Afghanistan.
       
       Für Tony ist dieser Holzfäller-Karneval der erste nach vier Jahren im Irak
       und Afghanistan. Nach seinem Abschied bei den Marines arbeitet er jetzt im
       Pipelinebau. Auf dem Arm des jungen Mannes erinnert ein eintätowiertes
       Gewehr mit Stiefeln und Helm an gefallene Freunde. Jetzt muss Tony den
       Rückzug seines Landes verdauen. „Es ist irgendwie scheiße“, brummt er,
       „aber es gibt eine Zeit, alles zu beenden.“ Er spuckt mit Wucht auf den
       Waldboden.
       
       Der 40-jährige Jesse hat lange als Holzfäller gearbeitet. Er trägt seine
       selbstgemachte Axt stolz über den Festplatz. Im Alter von 12 Jahren ging es
       los, danach hat Jesse alles getan, was man in der Branche machen kann: mit
       Kettensägen gearbeitet, Bäume geschleppt, er ist von einem einstürzenden
       Baum umgehauen worden. Und bei Mittagspausen mit den Kollegen hat er Äxte
       auf Baumstämme geworfen. „Es ist ein harter Job“, sagt er, „aber es ist
       anständig bezahlt.“ Zuletzt verdiente Jesse 27 Dollar die Stunde. Kürzlich
       sattelte er auf Lkw-Fahren um.
       
       Der Holzfäller-Karneval ist Jesses jährliche Begegnung mit Axt, Säge und
       Baumstämmen geblieben. Sein mitgereister Sohn arbeitet auf dem Bau. Seit
       diverse Regeln für das Abholzen der Wälder eingeführt worden sind, ist die
       Holzfällerei in Prospect auf dem Rückzug. Vor drei Jahrzehnten lebten dort
       noch über 1.000 Einwohner, jetzt sind es 350.
       
       ## Das Wort „Klimawandel“ benutzt man hier nicht
       
       In den letzten Jahren hat Jesse die höchsten Temperaturen seines Lebens
       erlebt, dazu eine Dürre, die den ganzen Bundesstaat und weite Teile des
       pazifischen Nordwestens erfasst. Und zunehmende Waldbrände. In Prospect ist
       die „Feuersaison“ die fünfte Jahreszeit. Alle spüren, dass sie früher im
       Sommer beginnt und länger dauert. Aber das Wort „Klimawandel“ benutzt man
       hier nicht. „Die Temperaturen gehen mal hoch und mal runter“, sagt Jesse,
       „das ist der Zyklus der Erde seit dem Beginn der Zeit.“
       
       Ein paar Kilometer nördlich von Prospect brennt der Wald an zahlreichen
       Stellen. Bei einem trockenen Gewitter am 3. August schlugen Dutzende Blitze
       in den nach wochenlanger Rekordhitze ausgetrockneten Wald ein. Mehr als 600
       Feuerwehrleute kämpfen jetzt gegen die Flammen. Sie gehören zu einer Armee
       von 20.000 Menschen, die gegenwärtig an der US-Westküste immer neue
       Großbrände bekämpfen. Es geht darum zu verhindern, dass die vielen
       einzelnen Brandherde zu einem einzigen Riesenfeuer zusammenwachsen, der zu
       einer unkontrollierbaren Katastrophe führen könnte – so wie in diesen Tagen
       im benachbarten [2][Kalifornien].
       
       Nach drei Wochen Kampf treffen in diesen Tagen Erfolgsmeldungen ein. Die
       Waldbehörde meldet: „Zu 25 Prozent eingedämmt“. Doch gleichzeitig ordnet
       der Sheriff die Evakuierungsstufe zwei an. „Seid bereit“, lautet seine
       Aufforderung an die Anwohner der Orte, die an die brennenden Wälder
       grenzen. Man möge eine „Go-Tasche“ packen, um sofort zu fliehen zu können,
       falls die Evakuierungsstufe drei ausgerufen wird. Mit Kleidung zum
       Wechseln, Taschenlampe, Wasser, Energieriegel und den wichtigsten
       Dokumenten.
       
       „Danke Feuerkämpfer“ steht auf mit Herzchen versehenen, handgemalten
       Schildern vor den Häusern längs der Landstraße 227, die sich nach Prospect
       schlängelt. Die Feuer brennen auf beiden Seiten des engen Tals. Aber von
       der Straße aus sind die Flammen nicht sichtbar. Lange, dicht gewachsene
       Waldstücke an beiden Straßenseiten wechseln sich ab mit nackten Hängen ab,
       die von den Holzfällern kahl geschlagen wurden. Nur die abgesperrten
       Seitenstraßen, die tief in den brennenden Wald hineinführen und an deren
       Eingängen Freiwillige erklären, dass eine Durchfahrt nicht möglich ist,
       zeigen, dass etwas nicht stimmt.
       
       ## Mancherorts über 49 Grad
       
       Beim Holzfäller-Karneval in Prospect nimmt niemand die Feuer wirklich
       ernst. „Ich mache mir keine Sorgen und ich lebe nicht in Angst“, sagt
       Jason. Der 40-Jährige lebt eine halbe Stunde von Prospect entfernt in Shady
       Cove. Zwischen beiden Orten liegt der Lost-Creek-See, dessen Wasserspiegel
       in diesem Sommer um Dutzende Meter abgesunken ist. Die Cascades-Berge
       hatten wie immer Schnee im letzten Winter. Aber die komplette Schmelze kam
       diesmal schon im Juni, als das Thermometer an der Westküste auf über 43
       Grad Celsius und mancherorts über 49 Grad stieg.
       
       In Oregon mit seinen milden Sommern ist dergleichen bisher nie zuvor
       vorgekommen. In normalen Jahren schmilzt der letzte Schnee erst im
       Hochsommer und sorgt auch im August noch für genügend kaltes Wasser in den
       Bächen und Flüssen der Region.
       
       Jason ist Geschäftsmann mit zwei Standbeinen: einem Malerbetrieb, der in
       den Zeiten der Pandemie gut gelaufen ist, und einem Unternehmen für
       Abenteuertourismus mit Wildwasserkanus und Jetskis, das leidet, seit der
       Tourismus abgestürzt ist. Verantwortlich dafür sind nicht nur die Meldungen
       von der Feuerfront, sondern auch die vielen Infektionen mit Corona.
       
       Im letzten September, als Jason sein Café in Shady Cove eröffnet hatte,
       flogen Flugzeuge tief über sein Haus. Sie transportierten Löschmittel in
       die brennenden Hügel dahinter. Ganz [3][Shady Cove] wurde evakuiert. Die
       verkohlten Baumreste auf den Hängen am Ortsende zeugen davon, wie nah das
       Feuer damals herangekommen ist.
       
       ## Überlastete Feuerwehr
       
       „Waldbrandgefahr – extrem“ warnen Schilder längs der Landstraßen. Aber
       Jason denkt nicht groß darüber nach. „Wir haben exzellente Feuerkämpfer“,
       sagt er, „den Rest erledigt Mutter Natur.“ An den Wänden seines Cafés
       hängen Durchhalteparolen, die sich an die abwesenden Touristen richten:
       „Was uns nicht umbringt, macht uns stärker.“ Darüber, dass der seit Monaten
       über dem Wald hängende Rauch der Atmung seiner vier Kinder schaden könnte,
       denkt Jason nicht nach.
       
       Die Feuerwehr in Prospect muss mit demselben Budget wirtschaften, das sie
       schon am Ende des letzten Jahrhunderts verwaltet hat. Alle zwölf
       Feuerwehrmänner und -frauen am Ort sind Freiwillige, die ihr Geld mit
       anderen Jobs verdienen. Im Verhältnis zur Größe des Einsatzgebietes nehmen
       sich die vier kleinen und mittleren Feuerwehrautos winzig aus. „Unsere
       Ausrüstung ist veraltet“, sagt Feuerwehrchef Mike Traut. Beim
       Holzfäller-Karneval verkaufen er und andere Freiwillige T-Shirts, um Geld
       zu sammeln.
       
       Traut ist einer der wenigen auf dem Festplatz, der eine Atemmaske dabei.
       Sie hängt vor seinem Hals. Fast alle Teilnehmer ignorieren die
       Ansteckungsgefahr durch Corona. Kaum jemand lässt sich impfen. Viele, die
       Zweifel an der Realität des Klimawandels haben, sind auch in Sachen
       Pandemie skeptisch. Sie misstrauen dem demokratischen Präsidenten in
       Washington.
       
       Am wenigsten aber trauen sie den „liberalen Umweltschützern“ in Portland,
       Ashland und den anderen Städten in Oregon. Sie machen sie dafür
       verantwortlich, dass ihre Kampagnen zum Schutz der Fleckeneule und gegen
       das Abholzen von jahrhundertealten Bäumen das Terrain für die Waldbrände
       bereitet habe.
       
       „Ich lebe so gesund, wie ich kann“, erklärt die 62-jährige Linda. Sie
       entscheidet jeden Morgen neu, ob sie ihre Fenster öffnet: „Wenn ich den
       Berg auf der anderen Seite des Tals sehe, mache ich auf.“, Eine „Go-Tasche“
       für den Notfall hat sie nicht. Und sie ist entschlossen, sich nicht impfen
       zu lassen: „Wenn der Herr entscheidet, mich ein wenig früher zu sich zu
       holen, ist das auch okay.“
       
       25 Aug 2021
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://www.southernoregon.com/profiles/prospect/index.html
 (DIR) [2] /Neue-Hitzewellen-in-Suedeuropa-und-USA/!5792172
 (DIR) [3] https://kobi5.com/news/city-of-shady-cove-under-level-3-go-now-evacuation-orders-136352/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Dorothea Hahn
       
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