# taz.de -- Das Global Village in Berlin-Neukölln: Vereint im globalen Dorf
       
       > Auf dem Areal der früheren Kindl-Brauerei entsteht das Global Village,
       > Ort für NGOs und politische Initiativen, erklärt Geschäftsführer Armin
       > Massing.
       
 (IMG) Bild: Konzentriertes Arbeiten im Global Village in Berlin-Neukölln
       
       taz: Herr Massing, wie ist das Global Village hierher gekommen? 
       
       Armin Massing: 2016 hat die Stiftung Edith Maryon mit ihrer deutschen
       Tochter Terra Libra Immobilien große Teile des früheren [1][Kindl-Areals]
       gekauft. Die Stiftung macht ungefähr das, was das Mietshäuser-Syndikat mit
       Wohnungen macht: Sie kauft Gewerbeimmobilien und entzieht sie langfristig
       der kapitalistischen Verwertung, indem sie sie gemeinnützigen
       Organisationen zur Verfügung stellt. Wir haben 2018 das Sudhaus 2 für 100
       Jahre im Erbbaurecht von der Stiftung gekauft, dazu ein altes Gebäude, das
       abgerissen werden musste. An dessen Stelle ist das neue Berlin Global
       Village entstanden.
       
       Glück gehabt, dass Sie so im teuren Hipster-Bezirk landen konnten, aber
       billig war das sicher nicht! 
       
       Nein, 5 Millionen Euro hat die Berlin Global Village GmbH der Stiftung
       bezahlt, insgesamt haben wir gut 15 Millionen investiert. Wir haben eine
       Initialförderung vom Land Berlin in Höhe von 3 Millionen Euro bekommen,
       damit konnten wir Kredite von 9 Millionen Euro aufnehmen, für Altbau und
       Neubau. Die zahlen wir jetzt mit den Mieteinnahmen von den NGOs langfristig
       ab. Dazu haben wir für die Sanierung im Altbau und die Innenausstattung
       noch 1,4 Millionen vom Land aus SIWA-Mitteln bekommen und 1,8 Millionen vom
       Bundesentwicklungsministerium, um diesen Ort als Diskursort für
       Entwicklungspolitik herzustellen. So ein Zentrum ist ja bundesweit
       interessant für entwicklungspolitische Organisationen. Wenn die Sanierung
       im Altbau fertig ist, können hier große Konferenzen und Tagungen
       stattfinden, so einen Ort gibt es bislang in Berlin gar nicht.
       
       Was bringt so ein Zentrum noch? 
       
       Es gab drei Gründe, warum wir vor zehn Jahren beim BER, dem Berliner
       Entwicklungspolitischen Ratschlag, dachten, so ein Ort wäre wichtig. Zum
       einen gibt es allein im BER über 100 entwicklungspolitische Organisationen,
       dazu sehr viele migrantisch-diasporische Organisationen in Berlin – aber
       alle waren über die ganze Stadt verteilt. Wenn wenigstens ein Teil von
       ihnen an einem Ort zusammenkommen kann, dachten wir, gibt es mehr
       Sichtbarkeit – für sie, aber auch für die ganze Szene. Die zweite Idee war,
       Synergien untereinander zu schaffen: wenn viele an einem Ort arbeiten,
       bringt das was für die inhaltliche Arbeit. Der dritte Grund war 2011 noch
       nicht ganz so brennend, aber absehbar: Die Preise für Gewerbemieten ziehen
       immer stärker an, gerade für kleine Vereine wird es zunehmend schwierig bis
       unmöglich, bezahlbare Büroräume zu finden. Bei manchen unserer Vereine
       hatten sich die Mieten verdoppelt, nachdem der Gewerbemietvertrag auslief –
       die waren heilfroh, hier unterzukommen, wir haben stabile, bezahlbare
       Mieten von 10 Euro kalt.
       
       Aber ist das Ganze nicht ein Ufo in diesem armen Rollberg-Kiez? 
       
       Das wollen wir gerade nicht sein, das ist uns sehr wichtig – und darum
       machen wir auch Angebote für den Kiez. Gerade hat im Erdgeschoss des
       Neubaus zum Beispiel eine Sommerschule stattgefunden für Kinder und
       Jugendliche aus der Nachbarschaft. Dann wird es ab Herbst eine Ludothek
       geben mit Spielsachen aus aller Welt. Der Eingang liegt direkt gegenüber
       vom Rewe, so dass es jeder gut sehen kann. Da muss man nicht akademisch
       gebildet sein, perfekt Deutsch sprechen oder Geld haben: Die Leute können
       einfach hinkommen mit ihren Kindern, sich Spielsachen anschauen,
       ausprobieren, ausleihen.
       
       Wir betreten den Gebäudekomplex durch den neuen Haupteingang, eine Art
       Verbindungskasten zwischen Altbau und Neubau. Noch geht es von hier nur in
       den Neubau, der Durchbruch zum Altbau kommt erst im nächsten Sommer, wenn
       die Sanierung fertig werden soll. Auf dem Klingelschild ist aber schon die
       ganze Vielfalt der 45 Bewohner*innen beider Häuser ablesbar: genannt
       seien hier beispielhaft der Afrika-Rat Berlin Brandenburg, die
       Arbeitsgemeinschaft der Eine-Welt-Landesnetzwerke, buntkicktgut, DaMigra,
       der Ernährungsrat Berlin, das Forum Fairer Handel, das Gesundheitskollektiv
       Berlin, moveGlobal, der MigrantinnenVerein Berlin. 
       
       Was passiert im Erdgeschoss? 
       
       Beide Erdgeschosse – in Alt- und Neubau – sind für die öffentliche Nutzung
       da. Im Altbau entsteht ein Begegnungscafé als offener Treffpunkt, ein
       Veranstaltungssaal und der sogenannte Weltraum, ein Lernraum für
       Schulklassen für Bildungsangebote zu globalen Fragen. Außerdem bekommt dort
       das Haus der Kulturen Lateinamerikas einen Workshop-Raum, die machen
       politische Veranstaltungen, aber auch Salsa-Tanzkurse und Konzerte. Im
       Neubau gibt es Veranstaltungsräume für Seminare, Ausstellungen, Workshops,
       die Gruppen stunden- und tagesweise mieten können, und eben die Ludothek.
       In den oberen Etagen sind die Büros der Vereine und Gruppen. Insgesamt
       haben wir 1.000 Quadratmeter öffentliche Flächen in den Erdgeschossen und
       4.000 Quadratmeter Büroflächen.
       
       Wenn man sich das Klingelschild anguckt, ist das eine ziemlich bunte
       Mischung aus entwicklungspolitischen und migrantischen Gruppen. Passt das
       gut zusammen? 
       
       Das ist wirklich eine Besonderheit des Berlin Global Village. Es gibt rund
       15 sogenannte Eine-Welt-Häuser in anderen Städten in Deutschland, und in
       den meisten dominieren die entwicklungspolitischen Gruppen. Was wir von
       Beginn an konzeptionell mitgedacht haben, ist die Idee, beide Szenen –
       entwicklungspolitische und migrantisch-diasporische – miteinander zu
       verbinden. Wer heute in dem Feld Entwicklungspolitik arbeitet, was ja schon
       vom Begriff her schwierig ist, muss den Aspekt von Dekolonialität immer
       mitdenken. Und es gibt gerade in Berlin sehr viele migrantische und
       diasporische Organisationen, die zu den Themen arbeiten. Aber lange waren
       das sehr parallele, um nicht zu sagen getrennte Szenen.
       
       Nachfrage: Was ist das Problem an Entwicklungspolitik, worin liegt der
       Gegensatz zur migrantisch-diasporischen Perspektive? 
       
       Der Begriff Entwicklungspolitik beinhaltet ursprünglich, dass sich die eine
       Seite, der globale Süden, entwickeln muss, die andere Seite, der globale
       Norden, aber schon als entwickelt gilt. Da steckt natürlich ganz viel
       koloniale Kontinuität drin. Es blendet die Verantwortung des Nordens für
       globale Ungerechtigkeiten aus. Für die migrantisch-diasporischen Vereine
       sind solche postkolonialen Ansätze meist zentral, diese Kritik kommt aber
       auch von vielen entwicklungspolitischen Vereinen.
       
       Wie schafft man da eine Verbindung? 
       
       Zum einen kommen die Gruppen hier schon räumlich zusammen, das werde ich
       gleich noch zeigen. Dann sorgen wir als Verein Berlin Global Village, der
       das Haus betreibt, für Vernetzung – innerhalb unserer
       Mitgliedsorganisationen und nach außen. Zum Beispiel hatten wir den
       Migrationsbeirat des Bezirks Neukölln zu Gast, in dem sind ja auch
       migrantische Vereine vertreten. Daraus sind schöne Verbindungen entstanden:
       Unser Mitgliedsverein moveGLOBAL, das ist ein Verband von
       migrantisch-diasporischen Organisationen in der Eine-Welt-Arbeit, hat
       dadurch jetzt zum Beispiel mehrere Kooperationen auf Bezirksebene.
       
       Massing führt durch neue, leere Räume im Erdgeschoss des Neubaus und bleibt
       in der Küche stehen. 
       
       Es war uns wichtig, dass Vereine bei uns für kleines Geld Veranstaltungen
       machen können und es eine Community-Küche gibt zum Selberkochen – damit man
       nicht auf teure Caterer angewiesen ist. Wir haben auch zahlreiche Workshops
       gemacht mit unseren Mitgliedern, um herauszufinden, was gebraucht wird. Zum
       Beispiel haben viele gesagt, ein großer quadratischer Raum wäre wichtig.
       
       Wofür? 
       
       Weil viele Gruppen auch mal einen Stuhlkreis machen wollen, da stößt man
       bei anderen Veranstaltungsräumen oft an Grenzen. Auch die Toilettenfrage
       haben wir diskutiert.
       
       Und? 
       
       Im öffentlichen Teil im Erdgeschoss haben wir Männlein und Weiblein, oben
       in den Büros All-Gender.
       
       Was war den Vereinen noch wichtig? 
       
       Ganz wichtig waren die Begegnungsflächen. Denn bloß weil man an einem Ort
       arbeitet, kommt man noch lange nicht zusammen. Darum gibt es Teeküchen in
       jeder Etage, eine „Lounge“ zum gemeinsamen Mittagessen, die Dachterrasse,
       einen Raum der Stille – kurz: viele Möglichkeiten, sich zu begegnen.
       
       Gibt es ein Beispiel für neue Verbindungen, die entstanden sind? 
       
       Seit März noch kein konkretes Beispiel, aber ich bekomme mit, dass
       entwicklungspolitische Organisationen auf migrantische zugehen und sagen:
       Wir wollen in diesem oder jenem Bereich etwas machen, was denkt ihr
       darüber? Da passiert was, aber noch ist alles sehr gedämpft durch Corona.
       Dennoch sehe ich Leute auf der Dachterrasse sitzen, die vorher nichts
       miteinander zu tun hatten.
       
       Wir fahren per Aufzug in den dritten Stock. Massing führt durch den Flur in
       einen sehr großen und lichtdurchfluteten Raum: ein Open-Space-Büro, in dem
       acht Organisationen sitzen. Die Fotografin freut sich, endlich einmal sieht
       man Menschen bei der Arbeit – viele sind wegen Corona noch im Homeoffice.
       Eine Mitarbeiterin von Watch Indonesia ist bereit, sich fotografieren zu
       lassen. Dann geht es in den vierten Stock auf die Dachterrasse mit einer
       fantastischen Aussicht. 
       
       Gibt es manchmal Konflikte zwischen den entwicklungspolitischen und den
       migrationspolitischen Gruppen? 
       
       So starr ist die Grenze ja nicht mehr. Beim BER etwa gibt es inzwischen
       sehr viel antirassistische Arbeit. Er hat auch das Bündnis Dekolonize
       Berlin mitgegründet, bei den Protesten gegen das Humboldt Forum mitgemacht.
       Ein Teil der entwicklungspolitischen Szene sieht den dekolonialen Blick als
       Bestandteil seiner Arbeit an.
       
       Aber nur ein Teil. 
       
       Ja, aber hier sind natürlich eher die Gruppen eingezogen, die Interesse an
       einer solchen Zusammenarbeit haben. Trotzdem könnte es natürlich zu
       Konflikten kommen. Aber die sehen wir dann als Teil unserer Arbeit, darum
       geht es ja, damit konstruktiv umzugehen und Lern- und
       Verständigungsprozesse in Gang zu setzen.
       
       17 Aug 2021
       
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