# taz.de -- Kindl-Areal in Neukölln: Das Gut ist noch nicht voll
       
       > Die lichtlosen Kellergeschosse der ehemaligen Kindl-Brauerei in Neukölln
       > gammeln seit Jahren vor sich hin. Die Vollgut-Genossenschaft will das
       > ändern.
       
 (IMG) Bild: Für den düsteren Kellerkomplex der Kindl-Brauerei gab es schon viele Pläne – passiert ist bislang nichts
       
       BERLIN taz | Kein Strom, kein Wasser, kein Licht. Es braucht viel Fantasie
       in den stockfinsteren muffigen Höhlen im vierten Untergeschoss der
       ehemaligen Kindl-Brauerei im Neuköllner Rollbergviertel, um sich in den
       Räumen eine Holzwerkstatt vorzustellen. Oder eine Filmschule. Oder ein
       Kampfsportstudio. Uhcholl Simon Lee und Asli Varol vom Vorstand der
       Vollgut-Genossenschaft glauben fest daran. „Da ist dieser tote Raum und da
       ist richtig viel Potenzial“, sagt Varol.
       
       Es geht treppab und weiter treppab, durch endlose Gänge in – „Achtung, Kopf
       einziehen“ – hohe hallenartige Räume, zum Teil mit, zum Teil ohne
       Stahlträgerästhetik. Fenster gibt es nicht. Wird es auch weiterhin nicht
       überall geben, sagt die 32-jährige Architektin Varol. Das alles könnte ein
       idealer Ort für einen Club sein, für Techno oder sonstiges Gewummer. Aber
       für Veranstaltungen sind die Räume nicht zugelassen, „aus
       genehmigungsrechtlichen Gründen“.
       
       Die ab den 1870er Jahren nach und nach in die Rollberge gebauten
       Kellerlabyrinthe sind, so Varol, „die eigentliche Herausforderung des
       riesigen Kindl-Areals“. [1][Während die oberirdischen Teile des 2005
       geschlossenen Bierstandorts zwischen Neckar- und Rollbergstraße in den
       vergangenen Jahren – immobilienwirtschaftlich gesprochen – „entwickelt“
       wurden], gammeln die Eiskeller, Produktions- und Lagerhallen in den vier
       Untergeschossen weitgehend vor sich hin. Darüber befindet sich eine
       Kartbahn. Auch die soll Ende des Jahres ausziehen.
       
       Von den rund 40.000 Quadratmetern Fläche des „Vollgut“ genannten Komplexes
       wird aktuell nur ein Drittel genutzt, unter anderem vom Schwuz, einer der
       ältesten noch existierenden queeren Discos Berlins, [2][die seit 2013 einen
       Teil des lichtlosen Monsterbaus bespielt]. Die Vollgut-Genossenschaft will
       auch in die anderen Keller wieder Leben bringen – sogar recht zügig. Ende
       Juli soll ein Bauantrag eingereicht werden. Im kommenden Jahr sollen die
       Sanierungs- und Ausbauarbeiten beginnen. Die Inbetriebnahme ist für 2027
       vorgesehen.
       
       ## Last Exit Vollgut
       
       An potenziellen Nutzer:innen besteht Varol und Lee zufolge kein Mangel.
       Neben der besagten selbst organisierten Filmschule, einem Kampfsportstudio
       der Naturfreunde und der Holzwerkstatt im Kollektivbetrieb wollen drei
       queere Archive einziehen. Dazu ein Cateringservice, eine koreanische
       Markthalle, die Werkstatt einer Hilfsorganisation und eine Boulderhalle.
       Auch eine Kita ist geplant, nicht im Keller, sondern in der oberirdischen
       Kartbahn-Etage.
       
       Das Projekt ist auch und vor allem eine Reaktion auf die hohen und weiter
       steigenden Gewerbemieten. Für etliche Genossenschaftsmitglieder gilt: Last
       Exit Vollgut. Die durchschnittliche Kaltmiete soll hier dauerhaft 11,05
       Euro pro Quadratmeter betragen. Das ist deutlich unter dem, was in Berlin
       ansonsten aufgerufen wird.
       
       Gewerbemietverträge werden in der Regel zudem nur befristet abgeschlossen,
       um dann oft zu teureren Konditionen verlängert – oder ohne Begründung
       gekündigt zu werden. Auch davor ist man auf dem Vollgut-Areal geschützt.
       Die Verträge sollen mindestens 99 Jahre laufen. Ein leichter Spaziergang
       dürfte es für die Genossenschaft trotzdem nicht werden.
       
       Eines sei klar, sagt Varol: „Wir werden in den Untergeschossen keine
       Qualität erreichen, wo man superseltene Papiere lagern kann.“ Aber die
       Räume würden wieder nutzbar gemacht, es werde Toiletten geben, Belüftung,
       barrierefreie Zugänge und „einen gewissen Schallschutz“. Komplett finster
       soll es auch nicht bleiben. Geplant ist der Einbau eines Lichthofs. Die
       Genossenschaft will für die Rohbauarbeiten sorgen, den Innenausbau müssten
       die jeweiligen Mitglieder aus eigenen Mitteln stemmen, so Varol.
       
       ## Immobilien für gemeinwohlorientierte Zwecke
       
       Der Kellerkomplex gehört, [3][wie ein Großteil der Grundstücke auf dem
       Neuköllner Kindl-Areal], seit 2015 der Stiftung Edith Maryon mit Hauptsitz
       in Basel. Deren Stiftungsmodell basiert darauf, Immobilien der
       Marktspekulation zu entziehen, um sie langfristig für soziale, kreative
       oder ökologische Nutzungen zur Verfügung zu stellen und zu sichern.
       
       Der Boden bleibt im Eigentum der Stiftung, die Gebäude werden per
       Erbbaurecht an die Nutzer:innen „abgegeben“. Über die Einnahmen aus dem
       zu zahlenden Erbbauzins sollen wiederum andere Immobilien für
       gemeinwohlorientierte Zwecke angekauft werden. So war es vor fast zehn
       Jahren bei dem lukrativ gelegenen Brauereigelände in Neukölln. [4][So war
       es zuletzt beim queeren Hausprojekt Tuntenhaus in Prenzlauer Berg], das die
       Stiftung gekauft und vorerst vor der Verdrängung gerettet hat.
       
       Auf dem Kindl-Areal haben die Schweizer oberirdisch bereits diversen
       gemeinwohlorientierten Projekten mehrere Teilgrundstücke erbbaurechtlich
       zur Entwicklung überlassen. Nur bei den Untergeschossen ruht still die See.
       „Da haben sich schon viele Fachplaner die Zähne ausgebissen“, sagt Asli
       Varol.
       
       Tatsächlich sind die Vollgut-Genossenschaftler:innen nicht die Ersten mit
       ambitionierten Plänen für die einstigen Brauereikeller. 2021 gab es ein vom
       Bezirksamt Neukölln unterstütztes [5][Werkstattverfahren für die
       Entwicklung der Fläche oberhalb der Keller]. Der Siegerentwurf sah „einen
       Lern-, Arbeits- und Begegnungsort“ vor, wobei der Einzug einer
       Waldorfschule bereits in Sack und Tüten schien. Die Pläne verschwanden in
       der Versenkung wie alle anderen davor.
       
       ## Genossenschaft auf Geldsuche
       
       Die [6][erst im vergangenen Jahr gegründete Vollgut-Genossenschaft] will es
       engagierter anpacken. Vorstand Uhcholl Simon Lee sagt: „Scheitern ist keine
       Option. Denn wenn wir es nicht machen, werden es andere machen.“ Und das
       dann auch komplett anders, davon ist der 43-jährige Mathematiker aus
       Neukölln überzeugt. Zumal der Komplex jedes Jahr mehr verfällt und nicht
       unter Denkmalschutz steht. Renditeorientierte Investor:innen, sagt Lee,
       würden „alles oder fast alles abreißen“, einen Bürobau hinklotzen und
       versuchen, die Flächen teuer zu vermieten. Genau das gelte es zu
       verhindern.
       
       „Das klingt auch alles ganz toll“, sagt Lee zu den eigenen Plänen. „Aber am
       Ende brauchen wir Geld.“ Für die Genossenschaftler:innen geht es um
       richtig viel Geld. Für Erwerb und Sanierung des Gebäudes sind 50 Millionen
       Euro kalkuliert, 35 Millionen sollen bei Banken als „ganz normaler
       Baukredit“ aufgenommen werden, fünf weitere Millionen steuern die
       Nutzer:innen bei, indem sie 250 Euro pro Quadratmeter als
       Genossenschaftsanteil zahlen. Fehlen immer noch zehn Millionen Euro. „Die
       versuchen wir jetzt irgendwo herzuzaubern.“
       
       Absehbar ist dabei, dass die Stiftung Edith Maryon den Vollgut-Komplex
       nicht ewig halten wird, wenn er nicht auch im Sinne der Schweizer
       „entwickelt“ wird. Anders formuliert: Die Zeit drängt. Ende des Jahres soll
       das Geld zusammengekommen sein, um mit der Stiftung einen Erbbauvertrag
       abschließen zu können. Auf öffentliche Fördergelder „können und wollen wir
       nicht setzen“, sagt Lee. Die angespannte Berliner Haushaltslage lässt
       grüßen.
       
       Die Genossenschaft sucht stattdessen gemeinwohlorientierte
       Investor:innen: Stiftungen oder wohlhabende Menschenfreund:innen,
       denen ein guter Zweck wichtiger ist als ein guter Zinssatz. Lee sagt,
       natürlich werde die Kapitalsuche schwierig. Deshalb sei man auch für Klein-
       und Kleinstbeträge offen. „Das kann auch der Nachbar sein, der sagt: Das
       finde ich toll, hier habt ihr 50 Euro.“
       
       16 Jun 2024
       
       ## LINKS
       
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 (DIR) [5] https://www.kms-sonne.de/kindl-konglomerat
 (DIR) [6] https://www.vollgut.berlin/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Rainer Rutz
       
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