# taz.de -- Wählergemeinschaften in Niedersachsen: Die Erben der Volksparteien
       
       > Vor den anstehenden Kommunalwahlen wächst die Zahl unabhängiger
       > Wählergemeinschaften, zum Teil liegen sie bei 50 Prozent. Was machen sie
       > anders?
       
 (IMG) Bild: Wollen nicht verknöchert wirken: unabhängige Wählergemeinschaften wie Kalli-Eco
       
       HAMBURG taz | Wenn man derzeit in Niedersachsen unterwegs ist, springen
       einen überall Wahlplakate an. Denn dort wählen die Bürger:innen vor der
       Bundestagswahl [1][bei den Kommunalwahlen am kommenden Sonntag] auch noch
       Kreistage oder Stadt- und Gemeinderäte.
       
       Auffällig dabei: Nicht nur Parteien werben für ihre Kandidat:innen, sondern
       auch [2][unabhängige Wählergemeinschaften, sogenannte UWGs]. Zum Beispiel
       im Ortsteil Sammatz der Gemeinde Neu Darchau im Landkreis
       Lüchow-Dannenberg. Dort stößt man auf Plakate von „KalliEco“. Ihr Anliegen
       ist es, die Schönheit der Natur mehr in den Fokus der Debatte um
       Nachhaltigkeit und Umweltschutz zu rücken. Deshalb treten sie erstmals als
       UWG zu den Kommunalwahlen an.
       
       „Wählergemeinschaften sind eine Spezialität des Kommunalwahlrechts, die es
       nicht nur in Niedersachsen gibt“, sagt der Politikwissenschaftler Markus
       Tepe. Er ist Professor für das politische System Deutschlands an der
       Universität in Oldenburg und forscht mit seinem Team unter anderem zu den
       Kommunalwahlen in Niedersachsen. UWGs seien von politischen Parteien
       abzugrenzen, weil sie nicht auf Landes- und Bundesebene antreten. Die
       Grundidee der Wählergemeinschaften ist, ein niedrigschwelliges Angebot zu
       machen und sich mit Fokus auf lokale Themen politisch zu beteiligen.
       
       In Niedersachsen entsteht der Eindruck, dass Wählergemeinschaften immer
       präsenter werden. Stimmt das? Eine erste Auskunft geben Daten von der
       Landeswahlleitung: Lag die Zahl der Bewerber:innen zur Kommunalwahl
       2016 bei knapp 13.000, hat sie sich zur anstehenden Wahl auf knapp 15.000
       erhöht – ein Plus von fast 16 Prozent. Die Zahl der Bewerbungen aus
       Parteien stieg hingegen nur um knappe 4 Prozent.
       
       ## Durchschnittlicher Stimmenanteil von 12 Prozent
       
       Eine Tendenz, die auch Markus Tepe bestätigt: „Insgesamt beobachten wir ein
       kontinuierliches Wachstum von UWGs, sowohl beim Antreten als auch bei den
       die Stimmanteilen.“ Demnach trat 2016 in knapp 80 Prozent der Kommunen
       mindestens eine Wählergemeinschaft an. Ein Phänomen, das in der Fläche zu
       beobachten sei, ohne Cluster oder Ballungsgebiete, unabhängig von Stadt
       oder Land. Im Durchschnitt erreichten die UWGs dabei einen Stimmanteil von
       rund 12 Prozent: „Natürlich sehen wir auch manche Kommunen, in denen
       Wählergemeinschaften nur als Randphänomen oder gar nicht auftreten. In
       anderen liegen sie dann bei über 50 Prozent.“
       
       Für den Erfolg der Wählergemeinschaften gibt es dem Politikwissenschaftler
       zufolge im Wesentlichen zwei Gründe: „Zum einen beobachten wir schon
       längere Zeit, dass die vermeintlich etablierten Parteien, [3][die
       Volksparteien, an Boden verlieren] und die Parteienbindung nachlässt.“ Das
       Phänomen einer stabilen Stammwählerschaft nehme ab, wodurch gleichzeitig
       Raum für neue politische Akteure entstehe. In diesen Raum drängten die
       UWGs.
       
       Zum anderen böten sie eine andere Form der Beteiligung an: „In vielen
       Fällen treten UWGs als eine Art Gegenentwurf zu den Parteien an. Dabei
       spielen sie mit einem Image, das die Parteien als verknöchert und die
       Wählergemeinschaften als neu und agiler darstellt. Sie wollen eine
       lokal-fokussierte Form der politischen Beteiligung anbieten, jenseits von
       Parteigezänk und ideologischen Großfragen.“
       
       ## Vielfältige Motive
       
       Die Motive, eine Wählergemeinschaft zu gründen, seien vielfältig. „Eine
       Reihe der UWGs entsteht aus Bürgerinitiativen zu einem lokalen Anliegen,
       sei es der Bau eines Radwegs oder das Verhindern einer Windenergie-Anlage“,
       erklärt Tepe. „Es kann aber auch sein, dass sich eine Ratsfraktion
       zerstritten hat und die UWG sich aus den Abtrünnigen bildet.“
       
       Einiges von dem, was Markus Tepe erzählt, findet man auch wieder, wenn man
       mit Johann-Michael Ginther von Kalli-Eco spricht: Die Wählergemeinschaften
       entstand aus einer lokalen Community, die sich auch als politische Bewegung
       sieht. Einige aus der Community wollten sowieso kandidieren, doch bei den
       etablierten Parteien hätte das inhaltlich nicht gepasst. Bei den Grünen
       etwa widersprächen lokale Themen manchmal der Grundlinie der Partei, sagt
       Ginther. Deshalb haben er und seine Mitstreiter:innen die eigene
       Wählergemeinschaft gegründet. Genau so präsentieren sich die unabhängigen
       Wählergemeinschaften: weniger Parteipolitik, stattdessen Handeln vor Ort.
       
       11 Sep 2021
       
       ## LINKS
       
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