# taz.de -- Urteil des Europäischen Gerichts: Westsahara-Abkommen sind nichtig
       
       > Das Gericht verteidigt das Recht der sahrauischen Bevölkerung auf
       > Selbstbestimmung. Rechtskräftig ist das Urteil aber noch nicht.
       
 (IMG) Bild: Ruinen eines durch Bomben zerstörten Hauses in der umkämpften Region Westsahara im November 2016
       
       FREIBURG taz | Die EU kann mit Marokko keine Abkommen schließen, die die
       von Marokko annektierte Westsahara betreffen. Solche Abkommen brauchen
       vielmehr die Zustimmung der sahrauischen Bevölkerung. Das Europäische
       Gericht (EuG) in Luxemburg hat deshalb zwei entsprechende Verträge für
       nichtig erklärt.
       
       Die Westsahara ist eine wüstengeprägte Region südlich von Marokko, in der
       nur rund 600.000 Menschen leben. Bis in die 1970er Jahre war sie eine
       spanische Kolonie. Anschließend annektierte das Königreich Marokko weite
       Teile der Region. Nur im Landesinnern beherrscht die Organisation der
       Sahrauis – die Polisario-Front – zwei größere Territorien. [1][Rund 165.000
       Sahrauis leben in Flüchtlingslagern in Algerien]. Ein UN-Friedensplan von
       1991 sieht ein Referendum über die Unabhängigkeit der Westsahara vor.
       Marokko und [2][die Polisario] können sich jedoch nicht darüber einigen,
       wer dabei stimmberechtigt sein soll. Inzwischen hat Marokko in den
       annektierten Gebieten Hunderttausende Marokkaner angesiedelt. Seit Ende
       2020 wird wieder militärisch gekämpft.
       
       Die Frage, ob Marokko völkerrechtliche Verträge schließen kann, die auch in
       der besetzten Westsahara gelten, hat schon mehrfach den Europäischen
       Gerichtshof (EuGH) beschäftigt. 2016 entschied der EuGH, dass ein zwischen
       der EU und Marokko geschlossenes Handelsabkommen wegen des
       völkerrechtlichen Selbstbestimmungsrechts der Völker nicht in der
       Westsahara gilt. 2018 urteilte der EuGH entsprechend für das
       Fischereiabkommen der EU mit Marokko. Es gelte nicht für die Gewässer vor
       der Westsahara.
       
       Daraufhin hat die EU 2019 zwei Abkommen mit Marokko geschlossen, die
       versuchten, diese Lücke zu schließen. Produkte aus der Westsahara sollten
       in das Handelsabkommen einbezogen werden und die Fischgründe vor der
       Westsahara in das Fischereiabkommen. Damit erkenne die EU aber keineswegs
       die Annektion der Westsahara durch Marokko an, heißt es in den Verträgen.
       Die Abkommen seien vielmehr für die Bevölkerung der Westsahara von großem
       Nutzen.
       
       Die Polisario klagte sofort gegen die Zustimmung der EU zu beiden Abkommen.
       Diese verstoße nicht nur gegen Völkerrecht, sondern auch gegen die
       EuGH-Urteile von 2016 und 2018. Das erstinstanzliche EU-Gericht entschied
       zunächst, dass die Klagen der Polisario zulässig waren (was der
       EU-Ministerrat bestritten hatte). Die Polisario sei die international
       anerkannte Vertretung des Volkes der Westsahara und könne vor Gericht
       dessen Recht auf Selbstbestimmung vertreten.
       
       Auch sei die Klage der Polisario in der Sache berechtigt, so das
       Europäische Gericht. Verträge, die das Gebiet der Westsahara betreffen,
       benötigen auch die Zustimmung der dortigen Bevölkerung, die hier aber
       fehlte. Bloße „Konsultationen“ genügten nicht.
       
       Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig; der EU-Ministerrat kann binnen
       zwei Monaten noch Berufung zum Europäischen Gerichtshof (EuGH) einlegen. Es
       ist aber nicht damit zu rechnen, dass der EuGH im Ergebnis anders
       entscheiden wird. Bisher hat das Gericht die Rechte der Sahrauis
       verteidigt. Allerdings bleiben die für nichtig erklärten Abkommen zunächst
       in Kraft, bis entweder das EuG-Urteil rechtskräftig wurde oder bis der EuGH
       entschieden hat.
       
       Die Interessen in der EU sind nicht einheitlich. Während Frankreich eher
       die Seite Marokkos unterstützt, drängt Deutschland auf eine
       völkerrechtskonforme Behandlung der Westsahara. Das diplomatische
       Verhältnis zwischen Deutschland und Marokko ist dementsprechend angespannt.
       (Az.: T-279/19 u. a.)
       
       29 Sep 2021
       
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 (DIR) Christian Rath
       
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