# taz.de -- Polen und die EU: Vor dem Showdown?
       
       > Polens Verfassungsgericht entscheidet, dass nationales Recht Vorrang vor
       > europäischem hat. Das löst eine schwere Krise in den Beziehungen zu
       > Brüssel aus.
       
 (IMG) Bild: Demonstration vor dem Gebäude des Verfassungsgerichts
       
       BRÜSSEL taz | [1][Das Urteil des polnischen Verfassungsgerichts zum
       EU-Recht] hat eine schwere Krise ausgelöst. EU-Kommissionspräsidentin
       Ursula von der Leyen erklärte, dass sie „mit allen Mitteln“ gegen die
       Entscheidung aus Warschau vorgehen werde. Das EU-Recht habe Vorrang vor
       nationalem Recht, sagte sie – die Richter am polnischen Verfassungsgericht
       hatten am Donnerstag das Gegenteil festgestellt.
       
       „Der EU-Vertrag ist im polnischen Rechtssystem der Verfassung
       untergeordnet, (…) und wie jeder Teil des polnischen Rechtssystems muss er
       der Verfassung entsprechen“, begründete [2][das polnische Gericht seine
       brisante Entscheidung]. Demgegenüber betonte von der Leyen, dass das
       EU-Recht auch höher stehe als nationale Verfassungsbestimmungen.
       
       Damit haben beide Seiten Maximalpositionen bezogen, die nicht miteinander
       vereinbar sind. Die polnischen Richter haben sich praktisch vom EU-Recht
       losgesagt, weshalb schon von einem „juristischen Polexit“, also einem
       EU-Austritt Polens, die Rede ist. Die EU-Kommission wiederum stellt sich
       über die polnische Verfassung – und rüttelt damit an der Souveränität des
       Landes.
       
       Rückendeckung bekam von der Leyen aus Deutschland und Luxemburg. Die
       Bundesregierung unterstütze die EU-Kommission bei dem Versuch, „dem
       europäischen Recht überall in der EU Geltung zu verschaffen“, sagte
       Bundesaußenminister Heiko Maas. Regierungssprecher Steffen Seibert betonte,
       die Brüsseler Behörde habe „volles Vertrauen“ der Bundesregierung.
       
       ## Mittel unklar
       
       Luxemburgs Außenminister Asselborn bezeichnete das Urteil als
       besorgniserregend. „Der Vorrang des europäischen Rechts ist wesentlich für
       die Integration Europas und das Zusammenleben in Europa. Wenn dieses
       Prinzip gebrochen wird, wird das Europa, wie wir es kennen und wie es mit
       den Römischen Verträgen aufgebaut wurde, aufhören zu existieren“, warnte
       Asselborn.
       
       Unklar ist, wie es nun weitergeht. Die EU-Kommission will das Urteil
       zunächst prüfen, bevor sie über die nächsten Schritte entscheidet. Von der
       Leyens Sprecher wollte jedoch nicht verraten, welche Mittel der Behörde zur
       Verfügung stehen – und wann sie tätig werden will. Das Europaparlament
       fordert seit Wochen ein härteres Vorgehen gegen Polen, bisher erfolglos.
       
       Als wahrscheinlichste Antwort gilt ein Vertragsverletzungsverfahren, wie es
       Brüssel auch schon gegen Berlin eingeleitet hat. Auch bei diesem Verfahren,
       das noch anhängig ist, geht es um den Vorrang des EU-Rechts. Das
       Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hatte Vorbehalte geäußert, war jedoch
       nicht so weit gegangen wie die polnischen Richter.
       
       Ein solches Verfahren kann sich jedoch über Monate hinziehen, ein Erfolg
       ist nicht sicher. Aus dem EU-Parlament kommt deshalb die Forderung, den
       Druck auf Warschau zu erhöhen, indem EU-Zahlungen ausgesetzt werden.
       Katarina Barley (SPD), Vizepräsidentin des Europaparlaments, und
       Grünenpolitiker Sergey Lagodinsky, Vize im Rechtsausschuss, wollen die
       Hilfen aus dem Corona-Aufbaufonds einfrieren.
       
       ## Beiträge zurückhalten
       
       „Es gibt jetzt keine anderen wirksamen Mittel mehr als den Geldentzug“, so
       Lagodinsky. Allerdings hat Brüssel noch gar nicht mit der Auszahlung des
       polnischen Anteils begonnen. Ursprünglich sollte das erste Geld im November
       fließen. Wenn die EU-Kommission die Zahlungen weiter hinauszögert, könnte
       Polen sich wehren – und im Extremfall sogar seine EU-Beiträge zurückhalten.
       
       Die juristische Krise könnte so in eine Finanzkrise umschlagen – in
       Warschau und in Brüssel. Politisch geht schon jetzt fast nichts mehr
       zwischen beiden Hauptstädten. Beim nächsten EU-Gipfel am 21. und 22.
       Oktober droht ein Showdown.
       
       8 Oct 2021
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Eric Bonse
       
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