# taz.de -- Bahnfahrt in unruhigen Zeiten: Der Zug der Einzelkämpfer
       
       > Es war kein Platz im Zug. Dafür waren überall Waffen: Im Holster des
       > Polizisten, in den Gesprächen der Soldaten und auf dem Laptop des jungen
       > Mannes.
       
 (IMG) Bild: Dienstwaffe im Holster: Bei einer Patrouille im vollen Zug fühlt sich das ungut an
       
       Der Zug ist voll. Hamburg Richtung Göttingen. In den Gängen Menschen,
       Masken, Ungeduld. Vorn antwortet eine Frau darauf, ob sich jemand neben sie
       setzen könne: „Sind Sie denn geimpft?“ – „Nein.“ – „Dann möchte ich das
       nicht“, sagt die Frau fest. Ein Mann erhebt sich: „Ich bin geimpft. Wir
       können tauschen.“ Der Geimpfte setzt sich jetzt neben die Frau, die nur
       einen Geimpften neben sich haben will. Der Ungeimpfte setzt sich auf einen
       freien Platz im Viererabteil.
       
       Die Sitznachbarin neben mir schüttelt den Kopf: „Ja, genau, wir sollten die
       Ungeimpften alle wegsperren“, sagt sie ironisch. „So ein Scheiß!“ Sie
       schaut mich an, als wollte sie eine Bestätigung. Ich sage nichts. Es sind
       schon so viele Worte in der Luft. So viele Worte, so viele Menschen. Ich
       will nur noch dorthin, wo ich ankommen möchte.
       
       Neben mir über den Gang hinweg sitzt ein jüngerer Mann am Fenster. Auf den
       freien Platz neben sich hat er einen Rucksack gestellt. „Kann ich mich
       neben Sie setzen?“, fragt ihn eine Frau, die sich durch den Gang schiebt.
       Er schaut starr auf seinen Laptop. Die Frau spricht ihn noch einmal an.
       Aber er ignoriert sie, als würde es sie nicht geben. Er schweigt, ein
       machtvolles Schweigen. Die Frau geht weiter. Ich schaue den Mann an. Es
       ärgert mich, wie er da mit seinem Rucksack sitzt, um ihn herum die
       Menschen, die nach einem Platz suchen, die er ausblendet aus seiner Welt.
       
       Ein Polizist geht durch den Gang. Am Gürtel seiner Hose trägt er eine
       Pistole. Es ist merkwürdig, wie diese Waffe in dem vollen Zug zu sehen ist,
       wie er damit nur ein paar Zentimeter an den Menschen vorbeigeht. Manche
       drehen sich nach ihm um, schauen ihn stumm an. Auf einmal wirkt etwas
       näher, Vorsicht und Gefahr.
       
       ## Machtvolles Schweigen
       
       Es ist das Wochenende, nachdem [1][die Kamerafrau Halyna Hutchins auf
       einem Western-Filmset erschossen wurde]. Vor mir sitzen zwei junge
       Bundeswehrsoldaten in Uniform. Sie unterhalten sich über diesen Vorfall:
       „Das sollte eigentlich gar nicht möglich sein“, sagt der eine. Ich frage
       mich, ob sie das anders berühren muss, da sie auch Kontakt zu Schusswaffen
       haben.
       
       Der junge Mann neben mir hat jetzt auf seinem Laptop eine Seite geöffnet,
       auf der ein Gewehr zu sehen ist. Es scheint eine Verkaufsseite zu sein, er
       schaut sich das Gewehr an, scrollt hinunter. Er klickt andere Gewehre an.
       Eins nach dem anderen. Er zoomt auf einzelne Details. Er ist völlig
       versunken darin. Wollte er nicht, dass sich jemand neben ihn sitzt, weil er
       während der Bahnfahrt Gewehre recherchiert? Beim nächsten Halt fragt ihn
       wieder jemand nach dem Platz. Diese Person ist hartnäckiger, der junge Mann
       nimmt seinen Rucksack vom Sitz. Jetzt, mit dem Sitznachbarn neben sich,
       schaut er sich keine Gewehre mehr an.
       
       Plötzlich in diesem Zug, mit dem Polizisten, den Soldaten und dem Mann
       neben mir, scheinen die Waffen überall zu sein. Ich frage mich, warum sie
       so eine Faszination auslösen. Immer noch. Und ich denke, wie wichtig es
       ist, dass wir in in diesem unruhigen Zug, in diesen unruhigen Zeiten, in
       denen so viele Menschen für sich kämpfen, besonnen bleiben.
       
       1 Nov 2021
       
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 (DIR) Christa Pfafferott
       
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