# taz.de -- Mobiles Freiluftkino in Burkina Faso: Wenn das Kino ins Dorf kommt
       
       > Cinéma Numérique Ambulant organisiert Filmvorführungen im ganzen Land.
       > Für die Zusehenden sind die Filme mehr als nur Unterhaltung.
       
 (IMG) Bild: Immer mit dabei im Kino unterm Sternenhimmel sind Kinder
       
       Es ist kurz nach 18 Uhr und fast stockduster in Tanghin-Dassouri, einer
       Stadt knapp 30 Kilometer südwestlich von Burkina Fasos Hauptstadt
       Ouagadougou. Bis zum Sonnenuntergang haben auf dem staubigen Platz mitten
       im Zentrum Jungs Fußball gespielt. Da es nirgendwo Straßenlampen gibt, sind
       sie längst nach Hause gegangen.
       
       Angekommen sind dafür Agathe Ouedraogo und ihr Team vom Cinéma Numérique
       Ambulant (CNA), einer Organisation, die sich 2001 gegründet hat. Heute ist
       das „mobile digitale Kino“ in neun afrikanischen Ländern und Frankreich
       präsent. Jüngstes Mitglied ist seit 2019 die Elfenbeinküste.
       
       Hier in Tanghin-Dassouri sind die Mitarbeiter*innen damit beschäftigt,
       schwere Metallstühle in Reihen aufzustellen, eine große Leinwand und den
       Projektor aufzubauen. Aufgestellt wird auch der Generator, durch den die
       Organisation unabhängig ist. Selbst in den Dörfern und Kleinstädten in der
       Nähe der Hauptstadt gibt es keine Garantie für eine Stromversorgung. Es
       dauert keine 20 Minuten, um den Platz in ein Open-Air-Kino zu verwandeln.
       
       Heute Abend hat es drei Filme im Angebot. Nun dröhnt Musik aus den
       Lautsprechern, die ankündigt: Etwas Besonderes und Außergewöhnliches
       passiert. Nach und nach kommen vor allem Kinder, die sich auf den
       geflochtenen Matten vor dem riesigen Bildschirm hinsetzen und gebannt
       darauf starren. Es ist etwas, das die Mehrheit noch nie in ihrem Leben
       gesehen hat.
       
       ## Kino hat in Burkina Faso eine lange Tradition
       
       Agathe Ouedraogo steht an der Seite, wirft einen prüfenden Blick auf den
       Projektor sowie den Computer und schaut den ersten Besucher*innen zu.
       Seit Jahren bringt sie in Burkina Faso das Kino überall dorthin, wo es
       keins gibt. „Es macht mich glücklich zu sehen, wie sich die Menschen
       darüber freuen“, sagt sie. Da sind die ersten Kinder bereits aufgestanden
       und tanzen.
       
       Das Kino hat in Burkina Faso schließlich eine lange Tradition. Das Land, in
       dem gut 21 Millionen Menschen leben, ist Gastgeber [1][des größten
       afrikanischen Filmfestivals, dem Fespaco], und konnte anders als die
       Nachbarländer mehrere Traditionskinos erhalten. Auch die 43-Jährige ist mit
       Filmen aufgewachsen. „Zu Hause hatten wir einen Videorekorder, und meine
       Eltern haben viele Filme geschaut.“
       
       Ihren ersten mit dem Titel „Bako, das andere Ufer“, eine
       franko-senegalesische Produktion aus dem Jahr 1979, wird sie nicht
       vergessen. In Ouagadougou hat der Kinobesuch früher auch beim Dating eine
       Rolle gespielt. „Es war selbstverständlich, dass ein Junge sein Mädchen am
       Samstagnachmittag ins Kino eingeladen hat. Anschließend hat er sie zum
       Essen ausgeführt.“
       
       Auf dem Land ist das anders, auch wenn das wirtschaftliche, politische und
       kulturelle Zentrum scheinbar schnell und problemlos zu erreichen ist.
       Daniel Batima starrt deshalb gebannt auf die Leinwand. Er ist 18 Jahre alt,
       kennt das Kino aber nicht. „Ich würde mir das gerne mal in Ouagadougou
       anschauen. Aber dafür habe ich gar kein Geld.“
       
       ## Filme über nachvollziehbare Erfahrungen
       
       Zur Eintrittskarte, die umgerechnet 2,30 Euro kostet, kommen die
       Transportkosten. Für viele Menschen ist das schlicht nicht erschwinglich.
       „Es ist toll, dass das Kino hier kostenlos ist. Alle Kinder sind da. Wir
       freuen uns darüber.“ Er steht mit einer Gruppe von Freunden zusammen, die
       sich jetzt weiter hinten auf die Metallstühle setzt. Der Kinosaal unterm
       Sternenhimmel füllt sich immer mehr.
       
       Gezeigt wird heute Abend ein Animationsfilm über [2][Yacouba Sawadogo, den
       Träger des Alternativen Nobelpreises aus Burkina Faso, der im Norden Bäume
       gegen die Wüstenbildung pflanzt]. Danach folgt der Kurzfilm „Zalissa“ über
       ein Mädchen, das von seiner Mutter zur Arbeit gezwungen und dabei
       vergewaltigt wird. Hauptfilm ist „Une vie de rêve“ des burkinischen
       Filmemachers Abdoul Aziz Nikiema.
       
       Damit, sagt Agathe Ouedraogo, können Filme über Lebenssituationen gezeigt
       werden, die die Zuschauer*innen aus eigener Erfahrung kennen. „Wir
       können unsere afrikanischen Künstler*innen unterstützen und zeigen: Auch
       hier in Burkina Faso werden Filme produziert.“
       
       Zwar hat Netflix zunehmend Filme afrikanischer Regisseur*innen im
       Angebot und mit Nollywood ist die weltweit zweitgrößte Filmindustrie in
       Westafrika. Den internationalen Markt dominieren aber weiterhin
       Produktionen aus den USA und Europa.
       
       ## Mithilfe der Leinwand über Tabus sprechen
       
       Eine Herausforderung bleibt die Sprache. Im Land werden rund 70
       verschiedene gesprochen. Hauptverkehrssprache ist Moré, offizielle Sprache
       Französisch. Doch die spricht längst nicht jede*r. Auch Untertitel helfen
       nicht: Mehr als 60 Prozent der über 15-Jährigen sind Analphabet*innen.
       Bevor der erste Film beginnt, erklärt Agathe Ouedraogo deshalb kurz auf
       Moré, worum es sich bei dem Animationsfilm handelt.
       
       Ohnehin wird rund um die Vorstellungen viel erklärt, besprochen und
       diskutiert. Das sei ein weiteres Anliegen des Cinéma Numérique Ambulant,
       sagt in Ouagadougou Wend-Lassida Ouedraogo, Präsident der Organisation.
       Debatten zum Inhalt der Filme gehören dazu. „Wir wählen Themen aus, die die
       Menschen ansprechen und mit denen sie täglich konfrontiert werden.
       Beschneidung ist ein solches.“ Mithilfe der Leinwand sei es möglich, über
       Tabus zu sprechen.
       
       Das ist auch in Zeiten – etwa während des Herrschaft von Expräsident Blaise
       Compaoré –, in denen es um die Meinungsfreiheit schlecht bestellt war,
       wichtig gewesen. Ein weiterer Pluspunkt ist für Ouedraogo: „Das Kino bringt
       alle Bevölkerungsschichten zusammen.“ Menschen, die sonst keinen Kontakt
       miteinander haben, sitzen zufällig nebeneinander und schauen den gleichen
       Film an.
       
       Eins schränkt die Organisation aber weitaus mehr als die Coronapandemie
       ein: die zahlreichen Angriffe durch Terrorgruppen und Banditen im Land.
       [3][Erst Mitte November starben in der Provinz Soum im Norden 32 Menschen],
       28 von ihnen Soldat*innen. Mehr als 1,4 Millionen Menschen sind vor der
       Gewalt auf der Flucht.
       
       ## Gefahren durch Terror und Banditen
       
       „In der Region Sahel können wir überhaupt keine Aufführungen mehr
       organisieren, obwohl wir dort früher mehr als 100 Veranstaltungen jährlich
       hatten“, so Ouedraogo. In Gegenden, in die sie noch fahren kann, hat die
       Organisation ihr Programm umgestellt. Aufführungen finden tagsüber in
       abgedunkelten Klassenräumen statt. Alle Zuschauer*innen werden
       kontrolliert. Um Debatten zu organisieren, arbeitet CNA auch mit lokalen
       Radiosendern zusammen.
       
       Doch auch in Ouadougou wird nach Einschätzung von Wend-Lassida Ouedraogo
       häufig eins vergessen: Die Lebenswirklichkeiten der rund 2,5 Millionen
       Einwohner*innen sind extrem unterschiedlich. Für viele ist das Kino nur
       theoretisch erreichbar.
       
       „Einmal haben wir in einem Viertel unser Open-Air-Kino aufgebaut, als eine
       Frau das sah. Sie hat ihr Fahrrad geschoben, blieb stehen und sagte: „Das
       ist aber ein großer Fernseher.“ Sie kannte nur das Fernsehen, aber nicht
       das Kino.“ Doch genau das kann auch Ablenkung vom häufig beschwerlichen
       Alltag schaffen.
       
       Das Internet und Streamingdienste ersetzen das bisher nicht. Selbst in der
       Hauptstadt ist die Verbindung häufig so schlecht, dass Filme ständig
       ruckeln und abbrechen. Vor allem ist es teuer. Je nach Angebot kostet ein
       Gigabit zwischen 2,40 und 5,50 Euro, unerschwinglich für die meisten.
       Offenes WLAN gibt es fast nirgendwo.
       
       Das kostenfreie Angebot, so ist Wend-Lassida Ouedraogo sicher, kann deshalb
       auch den Traditionskinos in der Hauptstadt helfen. Wer einmal Geschmack
       gefunden hat, wird sich wieder einen Film anschauen wollen, ist er sicher.
       „Wir können nur das lieben lernen, was wir auch kennen.“ Einem ist die
       Begeisterung jedenfalls anzumerken: Daniel Batima in Tanghin-Dassouri. Nach
       den ersten beiden Vorführungen freut er sich auf den Hauptfilm. „Es wäre
       toll, so etwas auch mal in Ouagadougou zu sehen“, sagt er.
       
       30 Nov 2021
       
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