# taz.de -- Eskalation der Corona-Debatte: Wütend in die Sterne gucken
       
       > Obwohl auch auf dem Land Unmut gegen Coronaregeln laut wird, verbleibt
       > der offene Wahnsinn doch drüben in der Stadt – erstaunlicherweise.
       
 (IMG) Bild: Mit diesem Abzeichen geben sich Arschlöcher auf den ersten Blick zu erkennen
       
       Nun haben es die grässlichen Stern-Aufkleber also doch hier raus geschafft:
       gelb und gespenstisch, mit der Aufschrift „ungeimpft“ in Fraktur. Und
       obwohl sie von ersten Sichtungen im Internet ein paar Monate gebraucht
       haben, über die Laternenpfähle der Großstadt bis [1][aufs Dorf] – sie
       kommen doch bemerkenswert pünktlich zur jüngsten Eskalationsstufe des
       Corona-Irrsinns.
       
       Aber kurz nochmal zurück in die Stadt – nach Bremen – wo die Sticker vor
       Monaten schon klebten und wo vergangene Woche ein querdenkender Ringelpiez
       anstand. Die Stimmung war gut, bei uns auf der gegenüberliegenden
       Straßenseite zumindest, wo sich die [2][üblichverdächtigen
       Antifa-Schnuckis] getroffen hatten, um wüst die Leute zu beleidigen.
       „Scheißt ihnen in die Klangschalen“, hatte einer auf sein Schild
       geschrieben, der es inzwischen auch überregional zu Ruhm und Likes im
       Internet gebracht hat.
       
       Irgendwie tat das gut, weil ich den launigen Ton der Auseinandersetzung
       vergessen hatte und zuletzt auch müde war – gerade von der linken
       Bullshit-Jonglage mit den Kategorien. Masken tragen, impfen, sich
       zusammenreißen: alles wichtige Sachen, die aber nun wirklich keiner
       Theorie- und Szenefolklore benötigen. Es nervt, den Autoritarismus im
       Infektionsschutz eben nicht nur auszuhalten, sondern ihn zur schwülstigen
       Solidaritätsgeste umzumuddeln.
       
       Keinen Deut besser ist freilich die selbsternannte Mitte, die vom zu großen
       Zweitwagen über Qualfleisch und Vielfliegerei seit jeher bei jedem Mist
       dabei ist. Und eben dieses geistlose Mittapern plötzlich als Sternstunde
       der Aufklärung zu inszenieren versteht.
       
       Je weiter jedenfalls die Stimmung in Internet und Metropole hochkocht,
       desto offensichtlicher scheint mir, dass die Welt auf dem Dorf anders
       tickt. Vielleicht weil man hier zum Mitlaufen gar keine Ausrede braucht und
       selbst für die konformistische Revolte noch zu konformistisch ist. Statt
       mit Vorträgen über Viren und/oder den autoritären Charakter ins Handgemenge
       zu ziehen, sorgt man sich hier eher harmlos-monologisch um die Krise der
       anderen.
       
       ## Spaltung ist der Anfang von allem
       
       Tatsächlich wird zwischen Sportverein, Schule und Kaufmannsladen sehr viel
       gesprochen (und noch mehr „gewhatsappt“) über die „Spaltung der
       Gesellschaft“ – als hätten sich plötzlich alle am Mängelexemplar der selben
       Soziologieeinführung überfressen. Das wäre ja auch gar nicht mal so falsch,
       wenn sie denn die althergebrachten Spaltkeile von race, class, gender und
       so weiter meinten. Und eben nicht das austauschbare Meinen und Finden zur
       Seuchenlage. Das so irritierende wie beruhigende Ergebnis meiner
       oberflächlichen Recherche: Hier sind zwar fast alle gegen den Impfzwang,
       aber doch ganz alle geimpft.
       
       Dabei hätte man hier, anders als in der Stadt, sogar eine Art Anlass, auf
       die Barrikaden zu gehen. Trotz eklatanten Mangels an Testkapazitäten in
       Niedersachsen nämlich [3][„2G-Plus“] zu verordnen, steht schon recht weit
       oben auf der Liste der beknackteren Maßnahmen – und darf als Meilenstein
       der Umwandlung des „Lockdowns für Ungeimpfte“ in einen „Lockdown für
       ausgerechnet und ausschließlich jene, die sich überhaupt noch an irgendwas
       halten“ gelten.
       
       Doch auch wenn es so klingt: Ich will mich nicht raushalten aus der
       Debatte. Und wenn zum Eintritt offenbar beide Seiten einen Nazivergleich
       vorlegen müssen, dann bringe ich eben einen mit: Faschistisch sind nicht
       Impfpass, Maske oder geschlossener Saunaklub – sondern der
       sozialdarwinistische Traum von der „natürlichen“ Durchseuchung, davon, dass
       nur alles wieder gut wird, wenn erst verreckt ist, wer nicht taugt für die
       schöne neue Welt.
       
       Das wäre eine ganz einfache und knusprig konkrete Inhaltsbestimmung, für
       die es weder die traurigen Statistiken über den Impfskeptizismus unter den
       Wähler:innen dieser oder jener Schweinepartei, noch intensivere
       Gesinnungs- oder Kontaktschuldermittlungen bräuchte.
       
       22 Dec 2021
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Kolumne-Speckguertelpunks/!t5807036
 (DIR) [2] http://basisgruppe-antifa.org
 (DIR) [3] https://www.niedersachsen.de/download/175336
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jan-Paul Koopmann
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Verschwörungsmythen und Corona
 (DIR) Demonstration
 (DIR) Antifaschismus
 (DIR) Bremen
 (DIR) Kolumne Speckgürtelpunks
 (DIR) Schwerpunkt Stadtland
 (DIR) Migration
 (DIR) Telegram
 (DIR) SPD Niedersachsen
 (DIR) Schwerpunkt Coronavirus
 (DIR) Verschwörungsmythen und Corona
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Lernen vom Hamburger „kohero“-Magazin: Über Sprachbarrieren hinweg
       
       Im Hamburger „kohero“-Magazin erzählen Menschen mit Fluchterfahrung aus
       ihrem Alltag. Ein gelungenes Projekt, das als Vorbild dienen kann.
       
 (DIR) „Querdenker“-Proteste auf Telegram: Außer Kontrolle
       
       In anderen Ländern nutzen demokratische Oppositionelle die App. Hierzulande
       radikalisieren sich dort „Querdenker“. Alles über Telegram.
       
 (DIR) Warnung vor der fünften Welle: Lauterbach impft selbst
       
       In Niedersachsen wurde die 2G-Regelung für Weihnachtsshopper kassiert.
       Lauterbach fährt zu den Parteikollegen nach Hannover – und warnt.
       
 (DIR) Analyse der Coronaproteste: Virus gegen Geschichtsbewusstsein
       
       Die Pandemie verwirrt den Sinn für Geschichte. Das zumindest lassen die
       Coronaproteste vermuten. Sie zeigen auch schräge Allianzen.
       
 (DIR) Auf Coronakontrolle in Sachsen: Erbarmen im Edeka
       
       In Sachsen werden die Querdenker immer aggressiver. Was macht das mit
       denen, die Coronaregeln kontrollieren? Unterwegs mit einem Team in Pirna.