# taz.de -- „Querdenker“-Proteste auf Telegram: Außer Kontrolle
       
       > In anderen Ländern nutzen demokratische Oppositionelle die App.
       > Hierzulande radikalisieren sich dort „Querdenker“. Alles über Telegram.
       
 (IMG) Bild: Demonstration am 1. Mai 2018 in St. Petersburg. Auf der Holztafel: Telegram-Gründer Pawel Durow
       
       Telegram verkauft sich gerne als die bessere und unabhängige Alternative zu
       Whatsapp. Schon länger hetzen Rechte auf dem Netzwerk. Aktuell
       radikalisieren sich hier die Proteste gegen die Coronamaßnahmen.
       Mittlerweile werden nicht nur Verschwörungstheorien verbreitet, sondern
       auch [1][Morddrohungen abgesetzt]. Die wichtigsten Fragen und die
       dazugehörigen Antworten zum Messengerdienst.
       
       ## Wie funktioniert Telegram? 
       
       Telegram ist ein Messengerdienst. Ähnlich wie Whatsapp und Signal läuft er
       über eine Smartphone-App, lässt sich aber auch über einen Computer
       benutzen. Für die Nutzung wird eine Mobilfunknummer benötigt. Dann stehen
       Nutzer:innen verschiedene Funktionen zur Verfügung: Es gibt die
       Chat-Funktion direkt mit einer Person oder innerhalb einer öffentlichen
       oder privaten, also geschlossenen Gruppe. Auch Videoanrufe und
       Sprachnachrichten sind möglich. Außerdem gibt es verschiedene Kanäle,
       innerhalb dieser nur die Kanalhersteller:innen Beiträge posten können
       – je nach Einstellung können die Beitrage aber öffentlich kommentiert
       werden.
       
       Laut dem Unternehmen knackte die App Anfang des Jahres die Marke von 500
       Millionen Nutzer:innen weltweit. Zum Vergleich: Whatsapp hat rund vier
       Mal so viele Nutzer:innen. Gegründet wurde Telegram vom Russen Pawel Durow,
       der 2006 auch die russische Facebook-Konkurrenz VKontakte aufbaute. Doch
       weil Durow sich weigerte, dem russischen Staat Zugriff auf seine
       Onlinedienste zu geben, lebt er mittlerweile in Dubai. Seitdem versteht er
       sich als unabhängig und entzieht seinen Messengerdienst aller staatlichen
       Regulierung.
       
       ## Warum ist das Netzwerk bei Rechten so beliebt? 
       
       Telegram hat sich selber den Ruf verliehen, nicht mit staatlichen Stellen
       zusammenzuarbeiten und jegliche Meinung zu akzeptieren. Durow selbst sagt:
       „Telegram gibt seinen Nutzern mehr Freiheit als jede andere App.“ Das
       bedeutet, es werden keine Inhalte gelöscht oder zensiert. Einzige Ausnahme:
       [2][Islamistische Gruppen] werden laut Angaben des Unternehmens seit ein
       paar Jahren gelöscht. In Ländern wie Iran, Belarus oder Syrien wird
       Telegram daher vor allem auch von Oppositionellen und Regimekritikern
       genutzt und gilt oftmals als unverzichtbar für sichere, anonyme
       Kommunikation.
       
       In Deutschland erleben wir momentan die Kehrseite der Medaille:
       Morddrohungen, Verschwörungstheorien, Radikalisierung, Anleitungen zum
       Waffenbau, Verkauf von Drogen und gefälschten Impfpässen. Dabei nutzen
       Rechte und Querdenker den großen Vorteil von Telegram aus: öffentliche
       Gruppen und Kanäle, die nicht kontrolliert oder moderiert werden. Diese
       sind sehr praktisch, wenn man in kurzer Zeit viele Menschen mobilisieren
       möchte, wie beispielsweise zu Demonstrationen oder Fackelaufmärschen.
       Telegram-Gruppen können bis zu 200.000 Accounts beitreten, Kanäle können
       unbegrenzt viele Abonnenten haben.
       
       Es gibt reichlich kostenlosen Speicherplatz, um Videos und Audio-Dateien zu
       teilen. Es gibt keine Klarnamenpflicht. Für Nutzer:innen ist zunächst
       nur der Spitzname der anderen sichtbar, außer die Person hat die jeweilige
       Telefonnummer gespeichert. Recherchen des Spiegel im Sommer dieses Jahres
       haben ergeben, dass bei Telegram offenbar nur rund vierzig Personen
       arbeiten. Scheinbar kümmern sich Freiwillige ehrenamtlich darum, die
       Inhalte bei Telegram zu „moderieren“. Zum Vergleich: Facebook oder Youtube
       beschäftigen dafür mehrere tausend Mitarbeiter:innen.
       
       ## Was unternimmt die Politik? 
       
       Als ein Warnen und Warten könnte man die politischen Maßnahmen der letzten
       Monate bezüglich Telegram zusammenfassen. Im April verschickte das
       Bundesamt für Justiz zwei Mahnschreiben an den Firmensitz in Dubai. Denn
       die Bonner Behörde ist davon überzeugt, dass Telegram auch dem
       Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) unterliegt. Dieses verpflichtet
       Unternehmen dazu, verbotene Inhalte innerhalb kurzer Zeit zu entfernen.
       
       Bisher umfasst das Gesetz keine Messengerdienste, allerdings sah die
       Behörde bei Telegram schon Ende 2020 eine Ausnahme: Telegram diene eben
       nicht nur dem Austausch zwischen einzelnen Personen, sondern biete
       Mediendienstleistungen an. Auf der Innenministerkonferenz Anfang Dezember
       in Stuttgart verabschiedeten die Innenminister von Bund und Ländern auch
       eine Erklärung, in der es heißt, dass das NetzDG dringend ergänzt werden
       muss, um auch „Messengerdienste wie etwa Telegram“ zu erfassen.
       
       Im April setzte das Bundesamt für Justiz eine zweiwöchige Frist für eine
       Rückmeldung, drohte zudem mit einem Bußgeld von bis zu 55 Millionen Euro.
       Bis heute kam von Telegram keine Antwort. Daraufhin versuchte das Bundesamt
       den Weg über die Behörden in Dubai zu gehen. In einem Schreiben werden die
       Vereinigten Arabischen Emirate um Rechtshilfe geben: „Nach internationalen
       Grundsätzen der Höflichkeit und Gegenseitigkeit“, heißt es darin.
       
       Die neue [3][Innenministerin Nancy Faeser gibt der Behörde recht und sieht
       Telegram] in der Pflicht, Inhalte zu löschen und dem Bundeskriminalamt zu
       melden. Wie Faeser Telegram dazu bringen will, mit dem deutschen Staat
       zusammenzuarbeiten, bleibt allerdings offen. Niedersachsens Innenminister
       Boris Pistorius wiederum hat konkrete Forderungen: Er möchte, dass Google
       und Apple Telegram aus ihren App-Stores werfen: „Was in den
       Telegram-Gruppen und Kanälen passiert, widerspricht in jeder Hinsicht den
       Compliance-Regeln von Apple und Google, die diese App in ihren Stores
       anbieten“, sagte der SPD Politiker.
       
       Mit dieser Anmerkung hat er tatsächlich recht. Dieser Schritt würde
       allerdings nur dafür sorgen, dass neue Nutzer:innen die App nicht mehr
       auf ihrem Smartphone installieren können. Wenn die App bereits installiert
       ist, kann sie allerdings problemlos weiter genutzt werden. Erst bei
       erforderlichen Updates könnte es schwierig werden.
       
       ## Noch mehr Probleme 
       
       Aber Telegram duldet nicht nur Hass und Hetze, auch in Sachen Datenschutz
       nimmt es das Netzwerk nicht so genau. Der Messengerdienst bietet
       beispielsweise eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung nicht als Grundeinstellung
       an. Diese muss für jeden einzelnen Kontakt aktiviert werden. Das
       unverschlüsselte Chatten nennt Telegram „cloud chat“. Was nett klingt,
       bedeutet, dass private Gespräche auf den Telegram-Severn abgespeichert
       werden.
       
       Auch verzichtet Telegramm nicht komplett darauf, Metadaten zu sammeln. Laut
       ihren Datenschutzbestimmungen wird die IP-Adresse erfasst, wodurch
       Nutzer:innen geortet werden können. Konkret heißt das in der App: „Wir
       erfassen deine IP-Adresse, welches Gerät du nutzt etc.“ Was genau hinter
       „etc.“ steckt, erklärt Telegram nicht.
       
       Außerdem ist der Servercode nicht öffentlich zugänglich, wodurch
       Nutzer:innen nicht wissen können, was genau auf den Servern des Dienstes
       passiert und wozu ihre Daten verwendet werden.
       
       ## Und was passiert jetzt? 
       
       Es bleibt abzuwarten, was nächstes Jahr mit und um Telegram passieren wird.
       Klar ist: Die Politik hat das Unternehmen [4][berechtigterweise in den
       Fokus genommen]. Leider viel zu spät, denn das Problem existiert nicht erst
       seit gestern. Der Vorwurf an die ehemalige Bundesregierung, nicht nur zu
       wenig, sondern auch viel zu spät gehandelt zu haben, ist gerechtfertigt.
       Denn dass Gewaltfantasien nicht ausschließlich im virtuellen Raum
       stattfinden, sondern ihren Weg in die Realität finden, hat uns die
       Vergangenheit gezeigt.
       
       Daher ist es nicht verkehrt, über ein Telegram-Verbot zu diskutieren, das
       beschlossen werden kann, wenn nichts anderes mehr hilft. Schließlich
       verweigert Telegram weiterhin jegliche Zusammenarbeit mit den Behörden. Das
       Netzwerk weigert sich, relevante Inhalte zu löschen oder zu melden, und
       verstößt so gegen deutsches Recht.
       
       Für alle Nutzer:innen, die sich nun fragen, wie sie mit der Debatte umgehen
       sollen, sei gesagt: Natürlich muss man sich jetzt nicht sofort von Telegram
       abmelden. Aber auch jenseits der aktuellen Probleme gibt es weitaus
       empfehlenswertere Messengerdienste wie Signal, die nicht nur der deutschen
       Regierung, sondern auch Nutzer:innen gegenüber auskunftsfreudiger sind
       als Telegram.
       
       17 Dec 2021
       
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       ## AUTOREN
       
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