# taz.de -- Gesundheitssenatorin über Impfpflicht: „Es geht nur mit Überzeugung“
       
       > Bremen hat die höchste Impfquote. Gesundheitssenatorin Claudia Bernhard
       > (Linke) erläutert, warum sie auf Vertrauen statt auf eine Impfpflicht
       > setzt.
       
 (IMG) Bild: Bremen hat die bundesweit höchste Impfquote – und das ganz ohne Zwang
       
       Frau Bernhard, Bremen hat bundesweit die höchste Impfquote. Fast 80 Prozent
       der Bevölkerung sind vollständig geimpft. Und das sind über 20
       Prozentpunkte mehr als beim [1][Schlusslicht Sachsen]. Was machen Sie denn
       besser als andere Bundesländer? 
       
       Claudia Bernhard: Wir haben hier in Bremen sehr früh, sehr gut aufgeklärt
       und sofort auch mehrsprachige Informationsmaterialien herausgegeben. Ein
       großes Pfund war, dass wir Gesundheitsfachkräfte in die Stadtteile
       geschickt haben, die dort Vertrauen aufgebaut haben. Bis heute sind unsere
       mobilen Impfteams in den Stadtteilen unterwegs.
       
       Von Anfang an hatten wir als Stadtstaat unser eigenes Callcenter, das sich
       gekümmert hat. Wer anrief, bekam sofort einen Termin und landete in keiner
       Warteschleife. Und so kamen eben mehrere Faktoren zusammen.
       
       Beim Callcenter haben Sie eng mit der Wirtschaft zusammengearbeitet. Das
       ist doch eher ungewöhnlich ist für eine linke Gesundheitssenatorin? 
       
       Wir haben uns relativ früh auf eine gemeinsame Mission verständigt,
       nämlich, wie kriegen wir unsere Bevölkerung am schnellsten durchgeimpft.
       Und da haben Betriebe und Unternehmen das Angebot gemacht, ein Callcenter
       samt Personal zur Verfügung zu stellen. Es gab ja viele Leute aus
       Hotellerie, Kultur- und Veranstaltungsbetrieben, die im Lockdown fast
       nichts zu tun hatten. Diese Kooperation hat sehr gut funktioniert.
       
       Ich möchte aber in dem Zusammenhang auch betonen, Impfen ist eine
       staatliche Angelegenheit, und wir haben es immer als unsere Aufgabe
       angesehen, es all jenen anzubieten, die keine große Hausarztbindung haben.
       
       Wie haben Sie es es geschafft, Vertrauen aufzubauen, gerade bei Leuten, die
       dem Staat misstrauen oder sich im Stich gelassen fühlen? 
       
       Indem wir vor Ort waren. Wir haben ja Daten erhoben, wo die Inzidenzen
       besonders hoch sind. Nämlich dort, wo die Arbeits- und Wohnverhältnisse
       prekärer sind. Und für uns war klar, hier muss man unterstützen, aufklären
       und Angebote schaffen.
       
       Wir arbeiten dazu mit den Menschen zusammen, die Kontakte in die
       Communities vor Ort haben. Wir haben das Deutsche Rote Kreuz, die
       Johanniter und den Arbeiter-Samariter-Bund eingebunden und wir haben an
       bestehende Stadtteilprogramme angedockt. Dieses Vertrauen lässt sich nicht
       in zwei, drei Tagen herstellen, das muss man langfristig aufbauen. Aber
       wenn Vertrauen da ist, werden die Angebote auch wahrgenommen.
       
       Ist dieses Konzept überhaupt auf ein Flächenland übertragbar oder geht es
       nur in einem Stadtstaat, wo jeder jeden kennt? 
       
       Natürlich haben wir hier in Bremen kürzere Wege. Aber es geht ja vor allem
       darum, sich mit den Gegebenheiten vor Ort auseinanderzusetzen und sich zu
       überlegen, wie kommt man an die Menschen ran, wie bindet man sie ein. Das
       braucht Zeit.
       
       Klar, in einem Flächenland ist die Herausforderung eine andere. Aber ich
       glaube, langfristig ist das die erfolgreichere Methode. Und die
       Corona-Problematik bleibt uns erhalten. Es wird nicht gehen, wenn man nur
       sagt, man rückt aus, schlägt irgendwo ein Impfzentrum auf und das mit
       Menschen, die vor Ort niemand kennt.
       
       Jetzt geht es darum, schnell die Impflücken zu schließen und die Menschen
       zu boostern. Wie kriegen Sie das in Bremen hin? 
       
       Das ist nicht ganz einfach zu stemmen. Aber wir eröffnen jetzt noch mal ein
       großes Impfzentrum, und ich bin optimistisch, dass wir es schaffen, einen
       großen Teil der Menschen vor Weihnachten zu boostern – wenn die
       Impfstofflieferungen ausreichen. Für die Kinder und Jugendlichen bauen wir
       ein eigenes Impfzentrum mit Kinder- und Jugendärzten auf. Wir merken aber
       auch, dass die Erstimpfungen unter Erwachsenen wieder zunehmen. Die haben
       sich verdoppelt und verdreifacht.
       
       Worauf führen Sie das zurück? 
       
       Es spielt mit Sicherheit eine Rolle, dass jetzt die 3G-Regelung am
       Arbeitsplatz gilt. Und in vielen Bereichen des öffentlichen Lebens haben
       nur Geimpfte und Genesene Zutritt, das ist also mit massiven
       Einschränkungen für Ungeimpfte verbunden.
       
       Aktuell wird [2][über eine Impfpflicht diskutiert], die Arbeitgeber sind
       offen dafür, auch in Ihrer eigenen Partei der Linken gibt es jetzt Stimmen,
       die dafür sind, unter anderem die Parteivorsitzende. Sie selbst halten aber
       wenig von so einem Instrument. Warum? 
       
       Zum einen, weil uns eine Impfpflicht in der aktuellen Situation nicht
       voranbringt. Selbst wenn wir morgen eine Impfpflicht verabschieden, würde
       sie übermorgen noch nicht wirken. Zum anderen, weil ich nicht glaube, dass
       wir über eine Impfpflicht tatsächlich die Impfquote erhöhen. Unsere
       Erfahrung hier in Bremen ist eine andere. Ich glaube, es wird nur mit
       Überzeugung gehen. Das mag anstrengender und aufwändiger sein, aber es ist
       nachhaltiger.
       
       Aber selbst in Bremen sind zehn Prozent der Erwachsenen hartnäckige
       Impfverweigerer. Die zu überzeugen ist schwierig, geht das nicht nur über
       eine allgemeine Impfpflicht? 
       
       Eine allgemeine Impfpflicht würde aber bedeuten, dass auch Kinder und
       Jugendliche geimpft werden müssen.
       
       Man kann sie doch davon ausnehmen. 
       
       Eine Impfpflicht nur für Erwachsene? Dann kommen wir doch sowieso nicht
       deutlich über 80% hinaus und das haben wir in Bremen schon. Im Unterschied
       zu Masern müssen die Menschen auch ständig nachgeimpft werden, weil der
       Impfschutz abnimmt. Und dann ist da noch die Frage der Sanktionen: Wie will
       man Menschen sanktionieren, die sich nicht impfen lassen wollen?
       
       Mit Bußgeldern zum Beispiel. Das schlägt Ihre Bundesvorsitzende vor. 
       
       Und wenn man nicht zahlen kann, was dann? Außerdem weiß ich nicht, ob die
       Krankenhäuser und Pflegeheime begeistert wären, wenn sich dann das
       ungeimpfte Pflegepersonal zurückzieht.
       
       Auf der anderen Seite wäre die Lage auf den Intensivstationen nicht so
       dramatisch, wenn sich mehr Menschen hätten impfen lassen. Dort liegen
       mehrheitlich Ungeimpfte. 
       
       Man hätte das an anderen Stellen energischer verfolgen müssen. Das ist doch
       ein Wahnsinn. Erst kam zu wenig Impfstoff. Dann wurden die Impfzentren
       geschlossen. Dann die kostenlosen Tests abgeschafft. Die Ausstattung mit
       Pflegepersonal in den Krankenhäusern ist miserabel. Bevor man mit der
       Impfpflicht kommt, sollte man diese Missstände angehen. Für mich ist die
       Impfpflicht eine Symboldebatte, weil die Hütte brennt. Die brennt aber auch
       an anderen Stellen. Eine schwierige Debatte.
       
       Auch in Ihrer eigenen Partei. 
       
       Oh ja. In unserem Landesverband ist das total umstritten.
       
       Sollte sich die Linke geschlossen für oder gegen eine Impfpflicht
       positionieren? 
       
       Das verlangt man doch an anderen Punkten auch nicht, ob das jetzt das
       bedingungslose Grundeinkommen ist oder Auslandseinsätze. Da gibt es
       ebenfalls Auseinandersetzungen, was gut und richtig ist. Ich finde es
       merkwürdig, zu verlangen, eine Partei müsse da immer super geschlossen
       auftreten.
       
       Ein Skeptikerin des Impfens ist Sahra Wagenknecht. Stört es Sie eigentlich,
       dass sie mit ihrer Impfskepsis viel prominenter ist, als Sie als
       Gesundheitssenatorin, die alles dafür tut, damit möglichst viele Leute
       geimpft werden? 
       
       Die öffentliche Debatte ist doch wirklich nicht alles. Mir geht es nicht um
       Prominenz, sondern darum, eine ordentliche Arbeit zu machen und die
       Impfquote zu erhöhen.
       
       Auch in Bremen beträgt die Inzidenz trotz hoher Impfquote fast 200, bei
       Kindern und Jugendlichen ist sie mehr als doppelt so hoch. Sollten die
       Länder wieder in der Lage sein, Betriebe und Schulen zu schließen und
       Ausgangssperren zu verhängen? 
       
       Man kann das nicht ausschließen und ich würde auch nichts ausschließen. Ich
       gehe jetzt aber erst mal davon aus, dass die 3G- und 2G-Maßnahmen
       hoffentlich einen Effekt haben.
       
       30 Nov 2021
       
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