# taz.de -- Ursprünge der Impfskepsis: Eine deutsche Besonderheit
       
       > In deutschsprachigen Ländern herrscht Misstrauen gegenüber der Impfung.
       > Das ist auf die Romantik zurückzuführen – aber auch auf Politikversagen.
       
       Ende November schrieb der Verschwörungstheoretiker und AfD-Unterstützer
       Oliver Janich, was die Notwehr angesichts der drohenden Impfpflicht seiner
       Meinung nach gebiete: „Jeder Mensch hat das Recht, einen Polizisten über
       den Haufen zu schießen, der einen zur Zwangsimpfung schleppt.“ Dazu postete
       er das Foto einer Pistole. Schließlich gehe es hier „um den größten
       Massenmord in der Geschichte der Menschheit“.
       
       Janichs Telegram-Nachrichten abonnieren 160.000 Menschen, die
       Coronaproteste haben die Followerzahlen von Hetzern wie ihm explodieren
       lassen. Trotz der teils enormen Reichweite sind Menschen wie Janich auch
       unter den „Querdenkern“ eine Minderheit. Doch der Resonanzraum für
       Impfangst, die zu befeuern sie sich zum Geschäftsmodell machen, ist groß.
       Und in deutschsprachigen Ländern ist dieser Raum größer als anderswo.
       
       Beim Impfen stehen diese Länder weit hinten. Unter den 17 westeuropäischen
       Staaten waren Deutschland, Österreich und die Schweiz am 9. Dezember bei
       den zweitgeimpften Volljährigen auf den Plätzen 13, 16 und 17. Das Virus
       breitete sich hier zuletzt aus wie in nur wenigen anderen Regionen der
       Welt.
       
       Woran liegt das? Gibt es etwas spezifisch Deutsches, das die Angst vor der
       Spritze erklärt? Als sich im November zeigte, dass die niedrige Impfrate
       mit einer besonders heftigen vierten Welle einhergeht, schrieb der
       Spiegel-Journalist Mathieu von Rohr, dies seien die „Spätfolgen der
       deutschen Romantik: Anthroposophie, Homöopathie, Impfgegnertum“. Eine
       Hochburg der Schwurbelei also, wo Spitzenforschung und Antirationalismus
       eng beieinander sind? Oder sind die Gründe banaler? Hat schlechtes
       politisches Handwerk der Impfkampagne den mageren Erfolg beschert?
       
       Mit dem Falter in Wien und der WOZ in Zürich ist die taz der Frage
       nachgegangen, ob die Impfskepsis eine Folge der deutschen Geistesgeschichte
       ist. Die Antworten von Fachleuten aus Geschichtswissenschaft, Soziologie,
       Gesundheitspsychologie und Demoskopie zeigen: Den einen Grund für
       Impfskepsis gibt es nicht – ebenso wenig, wie es eine homogene Gruppe von
       Skeptikern gibt. Nicht alle Anthroposophen sind gegen die Impfung, nicht
       alle Impfgegner sind Esoteriker oder Rechtsextreme – auch wenn diese
       Gruppen die Proteste maßgeblich organisieren. Und: Neben
       historisch-kulturellen Faktoren sind auch ganz handfeste Gründe für die
       Impfmisere verantwortlich.
       
       Der Journalist Andreas Speit, der auch für die taz schreibt, hat jüngst das
       Buch [1][„Verqueres Denken – Gefährliche Weltbilder in alternativen
       Milieus“] herausgebracht. Es trifft einen Nerv: „Ich halte gerade ungefähr
       einen Vortrag pro Tag.“ Speit pflichtet von Rohrs These bei. Es gebe im
       deutschsprachigen Raum eine „klare geistesgeschichtliche Linie zwischen der
       Romantik und der Impfskepsis heute“, sagt er. In der romantischen Literatur
       sei „das Natürliche unglaublich verklärt und verabsolutiert“ worden. Bei
       Schiller etwa heißt es: „Selig muß ich ihn preisen, der in der Stille der
       ländlichen Flur, fern von des Lebens verworrenen Kreisen, kindlich liegt an
       der Brust der Natur.“ Der Dichter Novalis schrieb: „Der Poet versteht die
       Natur besser wie der wissenschaftliche Kopf.“
       
       Das sind harmlose Sätze, keine Frage. Doch die Romantik habe – anders als
       in anderen Ländern – im deutschsprachigen Raum politischen Einfluss
       bekommen, sagt Speit. Sie beförderte eine Mystifizierung der Natur und
       Respiritualisierung des Denkens, die eine Distanz zur vermeintlich kalten
       Wissenschaft und sogenannten schulischen Medizin bewirken kann. Diese
       Position spitzte sich in der modernisierungskritischen Lebensreformbewegung
       Anfang des 20. Jahrhunderts zu. Einer ihrer bekanntesten Vertreter: der
       österreichische Begründer der Anthroposophie und der Waldorf-Pädagogik,
       Rudolf Steiner.
       
       Die Lebensreformer sehnten sich nach der Wiederherstellung eines Einklangs
       mit der Natur. Diese antimoderne Bewegung habe laut Speit „zu Recht die
       Moderne in ihren Auswüchsen kritisiert. Denn die wirkte sich damals ja
       tatsächlich dramatisch aus, etwa in Form des Börsencrashs und der
       Umweltzerstörung“. Doch eine Folge war eine „radikale Abkehr von der
       Aufklärung“.
       
       Ein Antimodernismus also, für den die Entzweiung von Mensch und Natur nur
       als Werk eines äußeren Feindes vorstellbar ist. Bis heute werde das
       Versprechen der Moderne, mit Rationalität und Logik eine bessere Welt
       aufzubauen, deshalb „von der Rechten bekämpft“, sagt Speit. Sie halte
       gleichsam an der Vorstellung einer zu verteidigenden ursprünglichen Einheit
       von Volk und Natur fest.
       
       Wie aber konnten Ideen aus dem 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart
       überdauern? Und sind sie mitverantwortlich dafür, dass in Thüringen heute
       „Gib Gates keine Chance“-Schilder an der Straße stehen, als wollten die
       Anwohner böse Geister vertreiben?
       
       Die ehemalige Grünen-Politikerin und Soziologin Jutta Ditfurth erforscht
       die deutschen Esoteriker seit Jahrzehnten. Dass die Romantik hier politisch
       wirksam werden konnte, habe mit der Abwehr der aus Frankreich kommenden
       Aufklärung zu tun, sagt sie: „Die Aufklärung kam aus Frankreich und hatte
       große Mühe in Deutschland.“ Im 19. Jahrhundert sei das Land rückschrittlich
       und durch die Agrarwirtschaft geprägt gewesen. „Es ist heute schwer
       vorstellbar, wie sehr deutsche Eliten im ländlichen Raum die Aufklärung und
       die französische Revolution hassten.“
       
       Zu diesen Eliten zählt auch Ditfurths eigene Verwandtschaft –
       großgrundbesitzender Adel aus Preußen. „Wenn ich Briefe meiner Verwandten
       aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert lese, dann war ihr Schreckgespenst
       eine Revolution wie die französische, der Albtraum, als herrschende Klasse
       zu stürzen“, sagt Ditfurth. Diese Eliten hätten Deutschlands intellektuelle
       Entwicklung lange aufgehalten, auch wegen ihres Antisemitismus. So sei ein
       geistiges Klima entstanden, das auch die Wandervogel- und
       Lebensreformbewegung erfasst habe mit Wissenschaftsfeindlichkeit, Eugenik,
       Naturreligiosität, völkischem Denken. Ditfurth sagt, dass Mystizismus,
       Irrationalismus und Antisemitismus als reaktionären Anteile alternativen
       Denkens bis heute fortwirken. „Auch so kommt es zur Weitergabe von
       antisemitischen Bildern, die man tief im Mittelalter vergraben glaubte.“
       
       Auch Speit verweist darauf, dass die Kritiker der Moderne diese schon sehr
       früh als „jüdisch“ begriffen und sich deshalb auch gegen die moderne,
       angeblich „jüdische“ Schulmedizin stellten. Der österreichische Publizist
       Christian Kreil führt den Begriff auf Samuel Hahnemann, den Begründer der
       Homöopathie, zurück.
       
       Die Nazis hatten in der Tat großes, auch wirtschaftlich bedingtes Interesse
       an Alternativmedizin. Reichsärzteführer Gerhard Wagner betonte 1933 die
       „Überlegenheit“ der Alternativmedizin gegenüber der „verjudeten
       Schulmedizin“. Um dieser die Homöopathie entgegenzusetzen, gründeten die
       Nazis 1935 die „Reichsarbeitsgemeinschaft Neue Deutsche Heilkunde“. Deren
       Mitglieder waren unter anderem der „Deutsche Zentralverein homöopathischer
       Ärzte“, der „Reichsverband der Naturärzte“ und die „Vereinigung
       anthroposophischer Ärzte“. 1933 zeigt das NS-Propagandablatt Der Stürmer
       die Karikatur einer blonden Mutter mit Baby im Arm. Daneben steht ein
       „naturferner und verirrter Mediziner“ mit einer Spritze in der Hand. Mit
       der Hakennase des Arztes erfüllt die Karikatur klar antisemitische
       Klischees. Skeptisch blickt die Mutter auf den Mediziner: „Es ist mir
       sonderbar zumut, denn Gift und Jud’ tut selten gut.“
       
       Im Zusammenhang mit Impfungen habe der Antisemitismus eine lange
       Geschichte, sagt der Medizinhistoriker Malte Thießen, der am Institut für
       Regionalgeschichte Münster und an der Universität Oldenburg forscht. Das
       Impfen werde teils als „Verschwörung einer Elite“ begriffen, die in den
       Körper eingreift.
       
       Die bis heute anhaltende Ablehnung der „Schulmedizin“ sei „eine deutsche
       Besonderheit, die klar auf die Romantik zurückzuführen ist“, sagt Andreas
       Speit. Man sehe dies etwa daran, dass es Heilpraktiker als staatlich
       geregeltes Berufsbild nur in Deutschland (NS-Heilpraktikergesetz von 1939)
       und Teilen der Schweiz gibt. Die alte Bundesregierung erwog die Abschaffung
       des Berufs, die Querdenker-Partei „Die Basis“ behauptet, die einzige Partei
       zu sein, die sich gegen die Abschaffung einsetze. „Die Menschen möchten
       frei entscheiden, welchen Therapeuten sie aufsuchen. Sie wünschen sich ein
       Miteinander von traditionellen und konventionellen, schulmedizinischen
       Therapien“, heißt es auf ihrer Website.
       
       Jutta Ditfurth schrieb 1996 in ihrem Buch „Entspannt in die Barbarei“, die
       Esoteriker würden „ein Teil der Massenbasis künftiger faschistischer
       Bewegungen sein“. Damals hätten ihr alle gesagt: „ ‚Übertreib nicht.‘ “
       Heute zeige sich die geistige Nähe. Waldorf-Pädagogen treten als Redner auf
       Querdenker-Demos auf. Der ehemalige Waldorf-Ausbilder Christoph Hueck etwa
       gilt als Vordenker der Szene. Der Bund der Freien Waldorfschulen allerdings
       distanziert sich ausdrücklich von ihm. Der Ulmer Waldorf-Lehrer Wilfried
       Kessler verglich als Demo-Redner Querdenker mit NS-Widerständlern.
       Anthroposophen seien heute eine „tragende Größe in der Corona-Querfront“,
       sagt Ditfurth.
       
       Ist also eine jahrhundertealte ideologisch abgedriftete Liebe der Deutschen
       zum Wald daran schuld, dass heute Millionen lieber eine lebensgefährliche
       Covid-19-Erkrankung riskieren, als sich impfen zu lassen? So einfach sei es
       natürlich nicht, sagt der Medizinhistoriker Thießen. „Man neigt dazu, in
       Schwarz-Weiß-Muster zu fallen: Impfskeptiker werden schnell als rechte
       Aluhut-Spinner abgetan.“ Es gebe aber noch andere Motive.
       
       Thießen unterscheidet elf Arten von Impfskepsis. Bei Weitem nicht alle
       ließen sich auf die Romantik zurückführen. Eine Rolle spiele etwa auch die
       starke liberale Tradition in Deutschland, wegen der in Preußen bis 1874
       eine Impfpflicht abgelehnt wurde. „Es geht da auch um die Frage, in welcher
       Gesellschaft wir leben wollen: Wer bestimmt über den Körper?“, sagt
       Thießen.
       
       Die Soziologin Nadine Frei von der Universität Basel hat mit ihrem Kollegen
       Oliver Nachtwey die Coronaproteste für die Böll-Stiftung untersucht. Frei
       spricht – ähnlich wie Thießen – von einem „libertären Freiheitsverständnis“
       der Impfgegner. Dieses hätten solche mit einem anthroposophischen
       Hintergrund ebenso wie ein bildungsbürgerliches Milieu, in dem
       Eigenverantwortung und Selbstbestimmung „fast schon absolut gesetzt“ werde.
       
       An Waldorfschulen würde häufig gar nicht anthroposophisch argumentiert.
       Stattdessen heiße es: „Der Staat hat hier nichts zu suchen, das ist der
       Ort, den ich hier gestalte“, sagt Frei. „Das ist auch eine Motivation von
       Eltern, die ihre Kinder auf Waldorfschulen schicken: die selbstbestimmte
       Struktur.“ Die dominierende Einstellung, „der Staat habe einem nichts zu
       sagen“, könne sich vor allem die Mittelschicht leisten: „Wenn ich schön in
       meinem Homeoffice sitze und keinem erhöhten Infektionsrisiko ausgesetzt
       bin, ist es schön und gut, wenn ich sage, ich kann mich einfach gesund
       ernähren und Corona macht mir nichts aus.“ Frei kommt zu dem Schluss, dass
       die Coronademos in Westdeutschland ein „akademischer Mittelschichtsprotest“
       seien – getragen von „anthroposophisch-esoterischer Ablehnung von
       Impfungen“. Eine „monokausale“ Erklärung gebe es aber nicht.
       
       Zu den Protesten in Ostdeutschland gebe es grundlegende Unterschiede, heißt
       es in ihrer Studie. Dort seien die Proteste „stärker von der extremen
       Rechten geprägt und tragen deutlich weniger esoterische und
       anthroposophische Züge“.
       
       Die AfD habe im Osten die mitunter starke Entfremdung vom politischen
       System erfolgreich mit einer Impfskepsis verbinden können. „Somit hat sich
       aus unterschiedlichen soziokulturellen Quellen in Baden-Württemberg und den
       neuen Bundesländern eine ähnliche Dissidenz gegenüber der Pandemiepolitik
       herausgebildet.“
       
       Der Medizinhistoriker Thießen nennt die Impfbereitschaft ein „Maß des
       Vertrauens in den Staat“. Mit dem Impfen lasse sich eine schon bestehende
       Unzufriedenheit mobilisieren. Die Impfakzeptanz in Ostdeutschland sei
       normalerweise größer – außer eben bei der Corona-Impfung. „Die allgemeine
       Unzufriedenheit wird hier am Impfen festgemacht“, sagt Thießen.
       
       Ist der Osten also durch die DDR-Geschichte esoterikfrei? Andreas Speit
       sagt: Nein. „Es gab im Osten sehr wohl auch eine alternative Szene, die in
       Teilen später eine starke Hinwendung zur Esoterik vollzogen hat.“ Führende
       Figuren der einstigen Ost-Ökobewegung wie etwa der Autor Michael Beleites
       finden sich heute im Umfeld des extrem rechten Instituts für Staatspolitik
       in Schnellroda. „Deshalb kann man nicht so idealtypisch von einer
       Ost-West-Unterscheidung sprechen“, sagt Speit. Ditfurth sieht das ähnlich:
       „Die Romantik war im Herzen des staatstragenden Kulturverständnisses in der
       DDR.“ So sei es nur schlüssig, dass sich ein „extrem rechter schwäbischer
       Guru“ wie der IfS-Gründer Götz Kubitschek im Osten niederlässt und „eine
       Geistesgeschichte wiederkäut, die immer schon da war“.
       
       Wie sieht es in den Nachbarstaaten aus? In Österreich demonstrieren seit
       Wochen trotz explodierender Infektionszahlen Neonazis und Coronagegner; in
       der Schweiz stimmten zuletzt rund 60 Prozent in einem Referendum für die
       Beibehaltung eines „Covid-Zertifikats“ als Voraussetzung für den Zugang zu
       öffentlichen Gebäuden, Restaurants und Veranstaltungen.
       
       In der Schweiz sei unter den Impfskeptikern „die Esoterik schwächer, aber
       der Konservatismus stärker“, sagt der Medizinhistoriker und
       Grünen-Politiker Jo Lang. Ein extremer Individualismus spiele eine große
       Rolle. Da gibt es Gruppen wie die „Freiheitstrychler“ – eine Art
       schweizerischer Querdenker, die an apokalyptische Zustände glauben, die nur
       „ureidgenössische“ Gegenwehr verhindern könne. Sie und die ähnlich
       gesinnten „Freunde der Verfassung“ würden die Schweiz in einem
       alteidgenössischen Sinn denken, sagt Lang. Sie agierten nicht als Citoyens,
       die dem Gemeinwesen gegenüber verpflichtet seien. Viele seien „Einzelgänger
       und Selbstständige“ – und lehnten die Impfung entsprechend ab.
       
       Der Lausanner Politologe und Föderalismusforscher Sean Müller befindet: „Es
       ist vor allem die ländliche Deutschschweiz, die sich nicht impfen lässt.“
       Wie Lang sieht auch Müller die Gründe dafür in der politischen Kultur: Man
       wolle sich nicht reinreden lassen, schon gar nicht bei der Gesundheit:
       „Jeder für sich, sonst die Gemeinde, irgendwann der Kanton, aber sicher
       nicht der Bund und schon gar nicht die WHO.“
       
       Auch in Österreich hat der Widerstand gegen Impfungen eine lange Tradition.
       Schon der Tiroler Volksaufstand von 1809 richtete sich auch gegen die von
       den bayerischen Besatzern eingeführte Pockenimpfung. Die Tiroler
       fürchteten, dass diese den „Tiroler Seelen bayerisches Denken“ einimpfen
       solle.
       
       Heute sind esoterische Ideen in Österreich nur ein Faktor unter vielen.
       Christoph Hofinger ist Gründer des Wiener Sora-Instituts und einer der
       führenden Meinungsforscher Österreichs. Er hat die Impfablehnung im Land
       eingehend untersucht. Diese sei „unter Akademikern nur halb so hoch wie
       unter der Durchschnittsbevölkerung“, sagt Hofinger. „Natürlich gibt es auch
       die Gruppe der gebildeten Esoteriker, die sich nicht impfen lassen
       wollen.“ Aber das seien vergleichsweise wenige.
       
       Der wichtigste Faktor sei der Zweifel, ob die Impfung wirklich hilft, sagt
       Hofinger. Diesen Zweifel bestärkten Meldungen, dass auch Geimpfte auf den
       Intensivstationen liegen. Hinzu komme der Glaube an Verschwörungstheorien.
       „Für manche Menschen gehört auch die Wissenschaft zu dieser Verschwörung“,
       sagt Hofinger. Viele seien überzeugt, dass Forscher „mit den Eliten
       gemeinsame Sache machen“. Schließlich sei die Furcht vor Nebenwirkungen
       verbreitet. 34 Prozent der Nichtgeimpften in Österreich gaben im November
       2021 an, auf die Zulassung eines „Totimpfstoffs“ zu warten. „Es ist ein Mix
       aus Elitenskepsis und der Pseudosicherheit, dass einem selbst schon nichts
       passieren wird“, sagt Hofinger.
       
       Die Gesundheitspsychologin Nina Knoll von der FU Berlin sagt, dass
       Ungeimpften mit niedriger Impfbereitschaft vor allem das Vertrauen in die
       Sicherheit fehlt. Zudem sehen sie eine weniger große Bedrohung durch
       Corona. „Man müsste Fakten ganz klar und transparent machen, aber auch die
       Risiken einer Ansteckung mit Covid-19. Und diese Risikoabwägung mit den
       Menschen gegebenenfalls durcharbeiten.“
       
       Die Impfbereitschaft hängt also von der Güte der Kommunikation der
       Impfkampagne ab. Bremen bestätigt Knolls Befund: Die Zweitimpfungsquote
       liegt hier bei 81 Prozent – bundesweite Spitze. Gesundheitssenatorin
       Claudia Bernhard (Linke) erklärt dies so: „Wir haben Daten erhoben, wo die
       Inzidenzen besonders hoch sind: Dort, wo die Arbeits- und Wohnverhältnisse
       prekärer sind. Und für uns war klar, hier muss man unterstützen, aufklären
       und Angebote schaffen.“ Dafür habe man mit Menschen zusammengearbeitet, die
       Kontakte in die Communitys hätten, an Stadtteilprogramme angedockt. „Dieses
       Vertrauen lässt sich nicht in zwei, drei Tagen herstellen, das muss man
       langfristig aufbauen. Aber wenn Vertrauen da ist, werden die Angebote auch
       wahrgenommen“, so Bernhard.
       
       In Portugal und Spanien, wo die Impfquote bei fast 100 Prozent liegt, haben
       die Behörden an Haustüren geklopft, SMS mit einer Impfaufforderung
       verschickt, die Impfung auch in Zahnarztpraxen oder Supermärkten
       ermöglicht. „Man hat Solidarität nicht bloß eingefordert, sondern auch
       erklärt, warum diese wichtig ist“, sagt Suzanne Suggs,
       Kommunikationswissenschaftlerin in Lugano. Dabei habe sich die lange
       Tradition „communitybasierter“ Handlungen in diesen Ländern ausgezahlt. In
       der Schweiz hingegen gelte die Impfung als individueller Entscheid. Auch
       hätten die Behörden nicht berücksichtigt, dass effektive Kommunikation
       individuelle Ansprache erfordere. „Wenn man versucht, alle auf die gleiche
       Weise zu erreichen, erreicht man letztlich niemanden“, sagt Suggs. In der
       Schweiz werde ab einem gewissen Alter jede Frau zur Krebsvorsorge
       aufgefordert. Das sei erfolgreich und zeige, dass spezifische Kommunikation
       funktioniere. „Die Pandemie wurde nicht mit derselben Dringlichkeit
       behandelt“, glaubt Suggs.
       
       Die Beispiele Bremen sowie Spanien und Portugal zeigen: Neben historischen
       Faktoren ist die Kampagne entscheidend – und die ließ vielfach zu wünschen
       übrig. Politische Einstellungen und historische Prägungen lassen sich nicht
       von einem Tag auf den anderen ändern. Die Kommunikationswissenschaftlerin
       Suggs, die sich seit Jahren mit dem Thema befasst, sagt, man müsse
       Impfgegnern erklären, dass sie zwar auf den Piks verzichten können,
       dafür aber andere Maßnahmen einhalten müssten. Skeptiker gelte es zu
       überzeugen – und man müsse jenen helfen, die ihre Meinung geändert hätten.
       „Diese Leute haben Angst, in ihrem Umfeld als Verräter zu gelten.“ Indem
       man Impfungen an unkonventionellen Orten wie der Post oder dem Friseursalon
       anbiete, ermögliche man ihnen, sich immunisieren zu lassen, ohne ihr
       Gesicht zu verlieren.
       
       Dieser Text ist in Kooperation mit dem „Falter“ und der „WOZ“ entstanden. 
       
       Mitarbeit: Nina Horaczek, Anna Jikhareva, Lisa Schneider
       
       20 Dec 2021
       
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 (DIR) Beschlüsse der Bund-Länder-Runde: Pandemiebekämpfung nach Weihnachten
       
       Die Ministerpräsident:innen und der Kanzler einigen sich auf scharfe
       Maßnahmen ab dem 28. Dezember. Weitergehende Forderung des RKI findet kein
       Gehör.
       
 (DIR) Antroposophie und das Impfen: Der Zweifel wächst trotz Wissen
       
       Unter Anthroposoph:innen gibt es viel Skepsis gegenüber den
       Corona-Impfungen. Aber gilt das auch für anthroposophische Ärzt:innen?
       
 (DIR) Tipp an Senioren in Bad Bramstedt: Impfpässe im Darknet kaufen
       
       In der schleswig-holsteinischen Gemeinde gibt es mehr Coronafälle als
       anderswo. Der Seniorenbeirat empfiehlt gefälschte Impfausweise.
       
 (DIR) Hochrangiger Polizist suspendiert: Falscher Applaus
       
       Der Leiter eines Polizeireviers in Sachsen-Anhalt soll den
       Teilnehmer*innen einer Coronademo applaudiert haben. Nun wurde er
       freigestellt.
       
 (DIR) Corona-Höchstzahlen in Dänemark: Ein Land rüstet sich für Omikron
       
       Daten aus Dänemark bringen Erkenntnisse über Omikron. Noch vor Weihnachten
       soll dort jede zweite Neuinfektionen auf die Variante zurückzuführen sein.
       
 (DIR) Gesundheitssenatorin über Impfpflicht: „Es geht nur mit Überzeugung“
       
       Bremen hat die höchste Impfquote. Gesundheitssenatorin Claudia Bernhard
       (Linke) erläutert, warum sie auf Vertrauen statt auf eine Impfpflicht
       setzt.
       
 (DIR) Impfskepsis, Querdenker und Chatgruppen: Verwurmter Wunderglaube
       
       Die einen kaufen sich Entwurmungsmittel, andere lassen sich einen nicht
       zugelassenen Impfstoff impfen. Woher kommt das Vertrauen in Chatgruppen?
       
 (DIR) Studie zu „Querdenken“ in BaWü: Esoterik als Nährboden für Proteste
       
       Eine Studie untersuchte, warum „Querdenken“ in Baden-Württemberg so stark
       wurde. Nicht Rechtsextreme, sondern die Mitte habe den Protest
       radikalisiert.
       
 (DIR) Niedrige Impfquote in Deutschland: Ungeimpft, aber nicht Impfgegner
       
       Die Impfquote in Deutschland ist nicht besonders hoch – die Gründe dafür
       sind vielfältig. Und etwas komplexer als gemeinhin angenommen.
       
 (DIR) Coronazahlen in Deutschland: Viel AfD, viel Corona
       
       Wo mehr AfD gewählt wird, ist das Infektionsgeschehen besonders stark,
       zeigt eine Studie. Das gilt in Ost- wie Westdeutschland.