# taz.de -- Oscarpreisträger über neue Serie: „Nicht nur leerer Zeitvertreib“
       
       > Alejandro Amenábars „La Fortuna“ ist auf Sky zu sehen. Mit der taz sprach
       > der Oscarpreisträger über den Umgang mit Geschichte und kulturellem Erbe.
       
 (IMG) Bild: Susan McLean (T’Nia Miller) und Frank Wild (Stanley Tucci) in „La Fortuna“
       
       2007 entdeckte ein Team kommerzieller US-Tiefseetaucher vor der Küste
       Spaniens ein Schiffswrack mit Goldmünzen im Wert von rund 350 Millionen
       Euro, einer der größten jemals geborgenen Schätze der Weltmeere. Der
       jahrelange Rechtsstreit mit der spanischen Regierung inspirierte Paco Roca
       zur Graphic Novel „Der Schatz der Black Swan“ (Reprodukt, 2018), auf der
       wiederum nun der aufwendig produzierte Sky-Sechsteiler „La Fortuna“ des
       [1][Oscarpreisträgers Alejandro Amenábar] („Das Meer in mir“) basiert. 
       
       taz: Was war zuerst: Ihr Interesse an der Graphic Novel oder am realen
       Schatzfund? 
       
       Alejandro Amenábar: Ganz klar die Graphic Novel. Ich halte Paco Roca seit
       Jahren für den besten Geschichtenerzähler der spanischen Comicszene. Als
       ich das Buch las, gefiel mir sofort, wie er ein Abenteuer um einen
       gesunkenen Schatz und moderne Glücksritter mit politischen Intrigen zu
       einer „David gegen Goliath“-Geschichte verbindet. Das machte nicht nur Spaß
       beim Lesen, sondern ich sah auch gleich das Potenzial für eine Verfilmung.
       Mir war aber auch von Anfang an klar, lediglich das Buch als Vorlage zu
       nutzen, nicht die realen Ereignisse, auf denen es beruht.
       
       Warum das? 
       
       Ich wollte keine authentische Aufarbeitung des Falls, sondern möglichst
       frei darin sein, ein Abenteuer zu inszenieren. Es hatte auch schlicht
       rechtliche Gründe: Unsere Figuren sind nicht eins zu eins die realen
       Personen, die damals involviert waren, vieles ist fiktiv. Was wir dagegen
       akribisch recherchierten, war die Zeitebene des Jahres 1804 und die
       Seeschlacht, bei der die spanische Fregatte „Nuestra Señora de las
       Mercedes“ mitsamt der millionenschweren Goldfracht von den Briten versenkt
       wurde. Das wollte ich möglichst realistisch und historisch akkurat
       darstellen.
       
       Sie haben bislang sehr erfolgreich fürs Kino gearbeitet, „La Fortuna“ ist
       nun Ihre erste Serie. Warum der Wechsel des Mediums? 
       
       Wenn ich eine Idee oder eine gute Geschichte habe, ist mein natürlicher
       Reflex zunächst, daraus einen Film zu machen. Aber hier wurde mir bald
       klar, dass diese Geschichte mehr Zeit braucht und ich dachte zunächst an
       einen Dreiteiler. Als dann die Charaktere und Handlungsstränge entwickelt
       waren, entschieden wir uns letztlich für sechs Folgen. Eine Serie war also
       gar nicht mein ursprünglicher Plan, die Geschichte diktierte das Format.
       
       Also eher ein überlanger Film? 
       
       Nein, es ist ganz klar eine Serie. Alles andere wäre eine snobistische
       Haltung eines Regisseurs, der eigentlich lieber Kino machen würde.
       Serielles Erzählen ist eine eigene Kunstform, es unterliegt spezifischen
       Regeln, der dramaturgische Aufbau ist ein anderer, es gibt einen inneren
       Rhythmus, man braucht Cliffhanger am Ende jeder Episode. Das war neu für
       mich, doch was die Dreharbeiten selbst angeht, sind wir tatsächlich
       vorgegangen, als wäre es ein einziger Film. Es gibt zum Beispiel keine
       Episodenregisseure, die meine Vorgaben als Creator ausführen, ich habe alle
       Folgen selbst geschrieben und inszeniert. Das betrifft auch den Drehplan,
       meine Arbeit mit den Schauspielern, mit dem Kameramann, alles ist aus einem
       Guss, genauso wie bei meinen Filmen bisher.
       
       Es ist eine internationale Koproduktion, rund fünf Stunden Sendezeit und
       mit einer Handlung auf verschiedenen Kontinenten und in verschiedenen
       Jahrhunderten. Wie ist das inmitten einer Pandemie gelungen? 
       
       Das war eine ziemliche Herausforderung. Nach dem Ende des ersten Lockdowns
       im Frühjahr 2020 entschieden die Produzenten, die Entspannung der Lage zu
       nutzen und mit den Dreharbeiten zu beginnen. Das war im August letzten
       Jahres, und zu dem Zeitpunkt waren die Straßen von Madrid noch immer fast
       menschenleer. Wir wussten, wie wohl jede Produktion während dieser
       Pandemie, dass wir es mit einem unberechenbaren Feind zu tun hatten, das
       Virus war eine allgegenwärtige Bedrohung.
       
       Wie sind Sie damit umgegangen? 
       
       Wir waren extrem vorsichtig und befolgten strikte Maßnahmen während des
       Drehs. Aber wir hatten auch großes Glück. In den fast sechs Monaten mussten
       wir kein einziges Mal unterbrechen oder einen Tag ausfallen lassen. Ich
       wusste, wenn ich positiv getestet oder gar krank werde, müssen wir
       abbrechen, weil es keinen Plan B gab, keinen anderen Regisseur, wie sonst
       bei Serien üblich. Zugleich zwang uns Covid dazu, kreativ mit der Situation
       und den eingeschränkten Möglichkeiten umzugehen, und wir mussten etwa für
       die Szenen, die in den Vereinigten Staaten spielen, geeignete Locations in
       Spanien finden.
       
       „La Fortuna“ ist spannend inszeniertes Erzählfernsehen, zugleich geht es um
       kulturelles Erbe und den Umgang mit der eigenen Geschichte. Auch in Ihren
       Spielfilmen verhandeln Sie immer wieder gesellschaftspolitische Themen, von
       Sterbehilfe im oscarprämierten Drama „Das Meer in mir“ bis zum Spanischen
       Bürgerkrieg in „While at War“. Sehen Sie sich als Filmemacher in der
       Verantwortung, mehr als Unterhaltung zu liefern? 
       
       Alle meine Filme basieren im Kern auf einer moralischen Idee, aber nicht
       als Selbstzweck. Ich will ein möglichst großes Publikum ansprechen und
       versuche, gut zu unterhalten, dafür nutze ich bestimmte Genres, ob
       Psychothriller, Historiendrama oder Abenteuerfilm. Gleichzeitig will ich
       aber zum Nachdenken anregen, es kann nicht einfach nur leerer Zeitvertreib
       sein, der nichts bedeutet. Das interessiert mich weder als Regisseur noch
       als Zuschauer.
       
       Dabei kreisen Sie immer wieder um die politische Spaltung in der
       Gesellschaft. Sehen Sie sich als eine Art Vermittler? 
       
       Ich weiß nicht, ob mir das gelingt, aber in „While at War“ zeige ich zum
       Beispiel, was es bedeutet, in einer zutiefst gespaltenen Gesellschaft eine
       eigene Haltung zu haben, auch wenn man damit zwischen allen Stühlen sitzt.
       Die Folgen des Bürgerkriegs und der Franco-Diktatur sind in Spanien heute
       noch überall zu spüren, aber eine Radikalisierung politischer Bewegungen
       erleben wir ja gerade in vielen Teilen der Welt. Es geht bestimmt nicht
       darum, dass alle einer Meinung sein sollen, das wäre absurd.
       Unterschiedliche Ansichten sind wichtig in einer lebendigen Demokratie,
       aber wir müssen auch einen Weg finden, wieder vernünftig miteinander zu
       reden.
       
       Der Streit in „La Fortuna“, wem dieser Schatz zusteht, ist eine Frage, die
       letztlich auch den Umgang mit dem postkolonialen Erbe betrifft. 
       
       Und es ist gut und richtig, die eigene Geschichte kritisch zu hinterfragen
       und zu benennen, was falsch war. Aber man sollte dabei nicht den Kontext
       aus den Augen verlieren, in dem Menschen damals gehandelt haben. Natürlich
       gibt es berechtigte Einwände, dass dieser Reichtum im Grunde das Resultat
       der Ausbeutung indigener Völker ist. Mich hat aber vor allem interessiert,
       was mit diesem Schatz nach dem Fund passiert. Bereichert sich jemand daran,
       indem die Münzen meistbietend verhökert werden, oder wird er bewahrt und in
       einem Museum der Allgemeinheit zugänglich gemacht?
       
       Als Sohn eines Chilenen und einer Spanierin sind Ihnen beide Kontinente
       vertraut. Wie sehen Sie das Verhältnis zwischen Spanien und Lateinamerika
       heute? 
       
       Zu manchen Ländern ist es sehr kompliziert, Mexiko etwa. Ich würde mir mehr
       Austausch und engere Zusammenarbeit wünschen. Ich selbst bin in
       [2][Santiago de Chile] geboren, aber in Spanien aufgewachsen und fühle mich
       auch als Spanier. Aber wenn ich in Chile bin, spüre ich doch eine enge
       Verbindung zu dieser Kultur. Und natürlich verfolge ich, was dort passiert.
       Ich habe große Hoffnungen, dass mit der Wahl [3][des 35-jährigen
       Sozialisten Gabriel Boric] zum neuen Präsidenten nun nach langer Zeit der
       Proteste und Unruhen dringend notwendige Reformen stattfinden.
       
       27 Dec 2021
       
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