# taz.de -- Rassistischer Anschlag in Hanau: Ermittlungen eingestellt
       
       > Die Bundesanwaltschaft kommt zu dem Schluss, dass der Täter in Hanau
       > allein gehandelt habe. Angehörige der Opfer prüfen dagegen eine Klage.
       
 (IMG) Bild: Demonstrierende gedenken im Februar in Hanau der Anschlagsopfer und fordern Aufklärung
       
       BERLIN taz | Das Attentat von Hanau war der schwerste rechtsterroristische
       Anschlag in jüngerer Zeit – nun stellt die Bundesanwaltschaft die
       Ermittlungen dazu ein. Man sei 300 Hinweisen nachgegangen und habe 400
       Zeug:innen zur Aufklärung der Hintergründe befragt, teilte die Behörde am
       Donnerstag mit. Hinweise auf weitere Mittäter:innen oder
       Mitwisser:innen neben dem Attentäter Tobias R. hätten sich aber nicht
       ergeben.
       
       Der 43-Jährige hatte am 19. Februar 2020 in Hanau an zwei Orten [1][neun
       Menschen mit Migrationsgeschichte] erschossen: Kaloyan Velkov, Fatih
       Saraçoğlu, Sedat Gürbüz, Vili Viorel Păun, Gökhan Gültekin, Mercedes
       Kierpacz, Ferhat Unvar, Hamza Kurtović, Said Nesar Hashemi. Mehrere weitere
       Personen wurden teils schwer verletzt. Anschließend fuhr Tobias R. nach
       Hause, erschoss dort seine Mutter und dann sich selbst.
       
       In ihrer Einstellungsverfügung schreibt die Bundesanwaltschaft nun noch
       einmal das Motiv des Anschlags fest: Tobias R. habe „aus einer
       rassistischen Motivation heraus“ seine Tat begangen. Hier hatte es
       Diskussionen gegeben, weil R. in seinem Bekennerschreiben neben offenem
       Rassismus auch Verschwörungs- und Verfolgungswahn offenbart hatte. Ein
       Gutachter der Bundesanwaltschaft hatte R. posthum [2][eine paranoide
       Schizophrenie attestiert] – auf die eine „rechtsradikale Ideologie“
       aufgesetzt gewesen sei.
       
       Weitere Helfer, Mitwisser oder Mittäter beim Anschlag schließt die
       Bundesanwaltschaft indes aus. Auch hierzu habe man ermittelt, habe
       Kontaktpersonen von Tobias R. „gleich welcher Art“ überprüft, so die
       Behörde. „Dabei haben sich keine Hinweise darauf ergeben, dass andere
       Personen in die Anschlagspläne von Tobias R. eingeweiht gewesen sein
       könnten“, so die Behörde.
       
       ## Verdacht gegen Vater nicht bestätigt
       
       Auch die Verkäufer der Schusswaffen von Tobias R., die dieser legal
       erworben habe, hätten nichts vom Anschlag ahnen können. Ebenso wenig die
       Mitglieder seines Schützenvereins oder die Veranstalter der Schießtrainings
       im Ausland, an denen R. teilnahm. Auch die weiteren Tatvorbereitungen – das
       Erstellen des Bekennerschreibens und Videos sowie die Einrichtung einer
       Homepage – habe Tobias R. „allein und eigenverantwortlich“ vorgenommen.
       
       Auch den Vater des Attentäters entlastet die Bundesanwaltschaft. Der
       74-Jährige hatte mit seiner pflegebedürftigen Frau und dem Sohn
       zusammengelebt – blieb in der Tatnacht aber am Leben. Die Opferfamilien des
       Anschlags hatten gegen ihn im Februar [3][Anzeige wegen psychischer
       Beihilfe zum Mord] und Nichtanzeigen von Straftaten gestellt.
       
       Die Angehörigen sind überzeugt, dass der Vater allein schon wegen der engen
       Wohnsituation etwas von den Tatplanungen mitbekommen haben müsse. Zudem
       verweisen sie auf Ermittlungsunterlagen, die zeigten, dass dieser den
       Verschwörungswahn seines Sohnes teilte. Zudem sei er sehr dominant
       gegenüber seinem Sohn aufgetreten, habe sich bei Behördenangelegenheit für
       ihn bevollmächtigt.
       
       Und auch nach dem Anschlag hatte der Vater Beschwerden an mehrere Behörden
       verschickt, in denen er sich ebenfalls rassistisch äußerte und behauptete,
       nicht sein Sohn habe das Attentat verübt, sondern ein Geheimdienst.
       
       ## Angehörige der Opfer reagieren enttäuscht
       
       Im Oktober wurde der 74-Jährige dann zu einer Geldstrafe von 5.400 Euro vom
       Amtsgericht Hanau verurteilt, weil er in einem Schreiben die Angehörigen
       der Opfer als „wilde Fremde“ bezeichnet hatte, die sich „dem Deutschen Volk
       unterordnen“ sollten. Zudem nannte er die Polizisten, die sein Haus
       durchsuchten, ein „Terrorkommando“ und warf Hanaus Oberbürgermeister Claus
       Kaminsky (SPD) Wahlfälschung vor.
       
       Für die Bundesanwaltschaft hat sich der Verdacht gegen den Vater jedoch
       nicht bestätigt. „Eine tragfähige Grundlage für die Annahme, dass er die
       Begehung der Taten für möglich gehalten oder diese sogar gefördert hat, ist
       nicht vorhanden“, schreibt die Behörde. Das behauptete Dominanzverhältnis
       zu seinem Sohn habe bei der Tat keine Rolle gespielt. Tobias R. habe
       vielmehr, trotz psychischer Beeinträchtigung, ein „selbstbestimmtes Leben“
       geführt.
       
       Die Bundesanwaltschaft räumt aber ein, dass es ein „in erheblichen Umfang
       übereinstimmendes Weltbild von Vater und Sohn mit extremistischen und
       verschwörungstheoretischen Tendenzen“ gibt. Dennoch: Auch dieses begründe
       noch keine Einflussnahme auf die Tat.
       
       Anwältin Seda Başay-Yıldız, welche drei Opferfamilien des Anschlags
       vertritt, reagierte enttäuscht auf die Einstellung des Verfahrens. „Wir
       werden prüfen, ob wir ein Klageerzwingungsverfahren anstrengen“, sagte sie
       am Donnerstag der taz.
       
       Auch die Initiative 19. Februar, in der Angehörige und Unterstützer aktiv
       sind, erklärte: „Wir sehen nicht, dass die Rolle des Vaters des Täters in
       der Tatnacht ausermittelt ist.“ Zudem seien viele weitere Fragen bis heute
       ungeklärt. „Diese liegen in der Verantwortung der hessischen
       Landesregierung und müssen hier aufgeklärt werden.“
       
       Für die Betroffenen stellen sich neben der Rolle des Vaters noch Fragen zum
       kaum erreichbaren Polizeinotruf in der Tatnacht, einem verschlossenen
       Notausgang an einem Tatort oder warum der Täter trotz psychischer
       Erkrankung an Waffen kam. Die Bundesanwaltschaft äußerte sich dazu nicht.
       Den Sachverhalten wrd aktuell in einem laufenden Untersuchungsausschuss im
       hessischen Landtag nachgegangen.
       
       Aktualisiert und ergänzt am 16.12.2021 um 14:25 Uhr. d. R.
       
       16 Dec 2021
       
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