# taz.de -- Sturm auf US-Kapitol: Ein folgenschwerer Angriff
       
       > Vor genau einem Jahr stürmten Hunderte Anhänger Donald Trumps das
       > Kapitol. Noch heute verharmlosen Teile der Republikaner die Geschehnisse.
       
 (IMG) Bild: Trump Anhänger ziehen randalierend durchs Kapitol in Washington am 6. Januar 2021
       
       WASHINGTON D.C. taz | Es war ein Tag, der das Leben von vielen Menschen in
       den Vereinigten Staaten nachhaltig veränderte. Ein Tag, der die älteste
       Demokratie der Welt ins Wanken brachte und national wie auch international
       für Empörung und Entsetzen sorgte. Die Rede ist vom 6. Januar 2021. An
       diesem Tag vor genau einem Jahr stürmten Hunderte von Trump-Anhänger das
       US-Kapitol, schlugen auf Polizisten ein und verjagten Abgeordnete und
       Senatoren, um die dortige Bestätigung des Wahlergebnisses der
       Präsidentschaftswahl zu verhindern. Der Ex-Präsident hatte es durch seine
       Lügen über angeblich manipulierte Wahlen tatsächlich geschafft, dass viele
       Amerikaner den Wahlsieg von Joe Biden anzweifelten.
       
       Die Auswirkungen dieses Tages sind auch noch ein Jahr später im ganzen Land
       spürbar. Viele derjenigen, die diesen Tag hautnah miterlebt haben, leiden
       noch immer an den körperlichen und mentalen Konsequenzen. Andere verloren
       aufgrund ihrer Teilnahme ihren Arbeitsplatz oder mussten ins Gefängnis. Und
       fünf Personen zahlten mit ihrem Leben.
       
       Wie gravierend die Folgen dieses Tages für die demokratische Stabilität im
       Land sein wird, das kann man vermutlich erst in ein paar Jahren richtig
       beurteilen. Doch es zeigt sich schon jetzt, dass der 6. Januar 2021 den
       Glauben an die Demokratie in den USA stark erschüttert hat. So sind zwei
       Drittel der US-Bevölkerung knapp ein Jahr später der Meinung, dass die
       Demokratie sich in einer „Krise befinde“ und sogar in Gefahr sei, ganz „zu
       kollabieren“.
       
       Und auch die Republikaner halten an Donald Trump und seinen Lügen fest: So
       sind laut einer Umfrage durch NPR/Ipsos trotz aller Gegenbeweise zwei
       Drittel der Republikaner weiterhin davon überzeugt, dass Betrug bei Bidens
       Wahlerfolg eine Rolle gespielt habe. Weniger als die Hälfte der
       Trump-Wähler akzeptiert demnach den Wahlerfolg des Demokraten Biden. Zwar
       können sich mittlerweile sowohl Demokraten als auch Republikaner darauf
       einigen, dass die Vorfälle am 6. Januar kein normaler Protest waren, doch
       was sich genau an diesem schicksalhaften Tag abgespielt hat, darüber
       herrscht Uneinigkeit.
       
       Demokraten sprechen von einem Coup-Versuch. Republikaner hingegen
       bezeichnen es als einen Aufstand, der außer Kontrolle geriet. So
       verharmlosen viele noch immer die Gewalt, die an diesem Tag über das
       Kapitol hereinbrach. So beurteilen laut einer Umfrage der
       Nachrichtenagentur AP nur etwa 40 Prozent der Anhänger der republikanischen
       Partei die Unruhen als gewalttätig, 30 Prozent sind überzeugt, dass es bei
       den Unruhen zu gar keiner Gewalt kam.
       
       Wie es zu den Ausschreitungen kam und welche Rolle der Ex-Präsident und
       seine Regierung spielten, dazu wird noch immer im US-Repräsentantenhaus
       ermittelt. Ein von Demokraten geführter Untersuchungsausschuss, dem auch
       zwei Republikaner angehören, soll diese Zusammenhänge und Hintergründe
       durchleuchten. „Für 187 Minuten passierte nichts“, sagte der Abgeordnete
       Bennie Thompson am Sonntag in der US-Sendung „Meet the Press“.
       
       Mehr als drei Stunden lang schaute das Weiße Haus nur zu, als Hunderte von
       Demonstranten bis ins Innerste des Kapitols vordrangen. Sie zerstörten
       dabei Fenster und Türen, durchwühlten Schreibtische und drohten
       Abgeordneten mit Gewalt. Erst nach 187 Minuten verfasste der Ex-Präsident
       eine Videobotschaft, in der er die Meute dazu aufforderte, der Gewalt und
       Sachbeschädigung ein Ende zu setzen.
       
       Der [1][Untersuchungsausschuss] konnte bisher Dutzende von Nachrichten
       sicherstellen, die beweisen, dass enge Vertraute des Ex-Präsidenten sich an
       dessen Team gewandt hatten, um den Ausschreitungen ein schnelles Ende zu
       bereiten. „Er muss diese Scheiße schnellstmöglich verurteilen. Die
       Nachricht der Kapitolpolizei auf Twitter ist nicht genug“, schrieb Trumps
       ältester Sohn Donald Trump Jr. als Teil einer Serie von SMS-Nachrichten an
       den damaligen Stabschef des Weißen Hauses, Mark Meadows.
       
       Auch Moderatoren von Trumps Lieblingssender, den konservativen Fox News,
       gehörten zu den Absendern dieser Appelle an den Ex-Präsidenten. So auch der
       konservative TV-Moderator Sean Hannity. Der Untersuchungsausschuss forderte
       diesen am Dienstag dazu auf, eine freiwillige Aussage zu machen.
       
       Die Leidtragenden der damals mehr als dreistündigen Verzögerung waren die
       Kapitolpolizisten und andere Sicherheitskräfte, die zum Schutz der
       Abgeordneten und Angestellten an diesem Tag vor Ort waren. Einer davon ist
       Aquilino Gonell. „So werde ich also sterben – zu Tode getrampelt beim
       Versuch, diesen Eingang zu verteidigen“, erinnerte sich der Kapitolpolizist
       an die Geschehnisse des 6. Januar während einer [2][Anhörung vor dem
       Untersuchungsausschuss] im vergangenen Jahr.
       
       Vor seiner Zeit bei der Kapitolpolizei diente der aus der Dominikanischen
       Republik stammende Gondell im US-Militär. Wie er später zu Protokoll gab,
       markierte der 6. Januar 2021 den ersten Tag, an dem Gondell mehr Angst
       hatte, am Kapitol seinen Dienst zu verrichten, als während seines gesamten
       Auslandseinsatzes im Irak.
       
       Was ihn dort erwartete, war ein Sturm an verbaler und körperlicher Gewalt.
       Und das nicht durch Kriegsgegner, sondern durch die eigenen Landsleute. Er
       und seine Kollegen wurden von den randalierenden Massen als „Verräter“
       beschimpft. Manche schrien sogar, dass er, ein US-Militärveteran und
       Polizeioffizier, „hingerichtet“ werden sollte. Das war allerdings nur der
       Anfang, denn die körperliche Gewalt, die Gonell und seine Kollegen an
       diesem Tag erfahren hatten, war seinen Aussagen zufolge „entsetzlich“ und
       „niederschmetternd“.
       
       So wurden die Beamten laut Gonell geschlagen, gestoßen, getreten,
       angerempelt, mit chemischen Mitteln besprüht und sogar die Augen mit
       gefährlichen Lasern geblendet. Noch immer kann Gonell aufgrund von
       Verletzungen, die er vor einem Jahr erlitten hatte, seinen linken Arm nicht
       komplett heben. Die meisten körperlichen Wunden werden jedoch mit der Zeit
       verheilen. Ein deutlich längerer Prozess wird es sein, die seelischen
       Wunden zu verarbeiten.
       
       „Zu jedem anderen Zeitpunkt in unserer Geschichte hätte dieser Vorfall zu
       einem Moment der nationalen Einheit geführt. Stattdessen ist unsere
       Gesellschaft so polarisiert, dass manche Leute sogar glauben, was sich dort
       ereignet habe, sei nicht so schlimm gewesen, nur eine Art von Führung“,
       sagte Gonell vor Kurzem gegenüber dem National Public Radio. Insgesamt
       wurden bei den Zusammenstößen am 6. Januar rund 140 Polizeibeamte verletzt.
       Hinzu kommt, dass 130 Beamte die Kapitolpolizei innerhalb des vergangenen
       Jahres verlassen haben.
       
       Natürlich ist das nicht nur auf den 6. Januar zurückzuführen. Das Verhalten
       der Kapitolpolizei und anderer Sicherheitskräfte wurde nach dem Sturm des
       Kapitols genauestens durchleuchtet. Dabei wurden schwere Versäumnisse
       festgestellt, besonders die fehlende Kommunikation zwischen den
       verschiedenen Sicherheitsbehörden im Vorfeld. Es wurde festgestellt, dass
       es klare Informationen über einen möglichen bewaffneten Aufstand gegeben
       hatte. Auch gab es Berichte, dass Sicherheitsbeamte aus Selbstschutz
       keinen Widerstand gegen die Randalierer leisteten.
       
       Für viele derer, die an diesem Tag bis ins Kapitol vorgedrungen waren, ist
       es jedoch mehr als ein unglücklicher Umstand. Mehr als 720 Personen wurden
       im Zusammenhang mit den Ausschreitungen verhaftet. Davon haben bereits mehr
       als 160 sich für schuldig bekannt. Unter ihnen befinden sich
       Kriegsveteranen, Studenten, Großväter und noch viele weitere Personen aus
       den unterschiedlichsten sozialen Milieus.
       
       Was 70 von ihnen jedoch gemeinsam haben, ist, dass sie alle in ihrer
       Verteidigung auf Ex-Präsident Donald Trump zurückgreifen und ihm die Schuld
       an allem geben. Einer von ihnen ist Jacob Anthony Chansley. Der 34-Jährige
       aus Arizona wurde im November zu 41 Monaten hinter Gittern verurteilt.
       Chansley dürfte den meisten besser als „QAnon Shaman“ bekannt sein.
       
       „Dies sind keine schlechten Menschen“ 
       
       Sein Anwalt Albert Watkins erklärte, dass Chansley wie viele andere auch
       von Trump hintergangen wurde. „Dies sind keine schlechten Menschen. Sie
       haben keine Vorstrafen. Sie waren für mehr als vier Jahre einer Propaganda
       ausgesetzt, die die Welt seit dem Scheiß-Hitler nicht mehr gesehen hatte“,
       sagte Watkins. Die Erfolgsquote der Trump-Verteidigung ist äußerst gering.
       Dies haben die ersten Gerichtsverhandlungen vergangenes Jahr gezeigt. Jacob
       Chansley verstehe laut seinem Anwalt mittlerweile, dass er von Trump und
       den alternativen Wahrheiten betrogen wurde. Doch viele andere halten noch
       immer an der „Big Lie“ fest.
       
       Grund dafür sind nicht nur die anhaltenden Fake News in den Medien, sondern
       auch Trumps Vormachtstellung innerhalb der republikanischen Partei. Noch
       immer führt kein Weg an ihm vorbei. Sollte er 2024 tatsächlich erneut zur
       Wahl antreten, dann stehen seine Chancen gut. Auch deshalb fällt es vielen
       Republikanern bis heute schwer, sich klar gegen Trump und dessen Lügen zu
       platzieren.
       
       Doch genau darum ist es so wichtig, dass der Untersuchungsausschuss weiter
       versucht, so viele Informationen wie möglich zu den Ereignissen des 6.
       Januar zu gewinnen. Nur wenn alle Fakten auf dem Tisch liegen, können
       Menschen die richtige Entscheidung treffen. Wie diese am Ende ausfällt,
       hängt von jedem selber ab. Solange dies allerdings nicht der Fall ist,
       bleibt die US-Demokratie gefährdet. Denn Falschinformationen sorgen nur für
       einen Vertrauensverlust und entziehen der Demokratie damit ihre wohl
       wichtigste Grundlage.
       
       5 Jan 2022
       
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