# taz.de -- Daniel Benjamin über die US-Demokratie: „Es gibt große Herausforderungen“
       
       > Daniel Benjamin ist Präsident der American Academy in Berlin. Zum 25.
       > Jubiläum seiner Institution blickt er besorgt auf sein Land vor den
       > Wahlen.
       
 (IMG) Bild: Trump-Unterstützer in Philadelphia, USA, 22. Juni 2024
       
       taz: Herr Benjamin, wie gut funktionieren die vier demokratischen Säulen
       Rechtsstaat, freie Wahlen, Meinungsfreiheit und Gewaltenteilung in den USA
       noch? 
       
       Daniel Benjamin: Die US-Gründerväter haben sich eingehende Gedanken darüber
       gemacht, welche Leitplanken die Verfassung haben muss. Bis heute gilt der
       Grundsatz, dass ein demokratischer Staat nur funktioniert, wenn Bürger die
       Gesetze respektieren. Die Wahlentscheidung für Joe Biden 2020 war ein
       eindeutiges Votum pro Rechtsstaat.
       
       Die Tatsache, dass die Demokraten seit 2018 in einer langen Reihe von
       Wahlen auf verschiedener Ebene gewonnen haben, bedeutete eine Trendwende.
       Auf der anderen Seite reiben sich manche an Bidens fortgeschrittenem Alter,
       andere sind mit der Wirtschaftspolitik der Regierung unzufrieden. Insgesamt
       stehen der US-Demokratie große Herausforderungen bevor.
       
       Nun gibt es US-Präsidenten, wie die Lichtgestalt F. D. Roosevelt und auf
       der anderen Seite Warren Harding, der als korrupt galt. In welcher Phase
       befindet sich Ihr Land heute? 
       
       Warren Harding würde ich nicht als schlechtesten Präsidenten einstufen,
       obwohl er als korrupt galt. Demokratie muss sich Korruption erwehren, keine
       Frage, auch wenn es schwerer fällt, gegen einen Politiker wie Donald Trump
       zu kämpfen, der sich gar nicht erst an den Rechtsstaat hält. Gesetze dienen
       der Freiheit aller.
       
       Ein Teil der US-Bevölkerung glaubt, die USA seien nicht mehr das Land, in
       dem sie aufgewachsen sind, und ihr Status als weiße Christen sei bedroht.
       Sie glauben, Einwanderung würde die Zusammensetzung der Gesellschaft zu
       ihrem Nachteil ändern und ihren Way of Life bedrohen.
       
       Viele fürchten zunehmende Polarisierung. 
       
       Diese Einschätzung teile ich. Die US-Gesellschaft ist polarisiert wie lange
       nicht. Social Media haben dies noch verschärft. Joe Biden hat versucht, dem
       etwas entgegenzusetzen, etwa durch das Infrastrukturgesetz und das Gesetz
       zur Reduzierung der Inflation, womit er das Angebot an sicheren
       Arbeitsplätzen gestärkt hat, teils wurden sogar Jobs in Hochburgen der
       Republikaner geschaffen.
       
       In Sektion IV der US-Verfassung steht, wer zum Umsturz aufruft, kann kein
       öffentliches Amt ausfüllen. Warum ist Trump noch nicht hinter Gittern,
       obwohl er am 6. Januar 2021 die Demonstration vor dem Capitol angestachelt
       hat? 
       
       Es gibt keinen vergleichbaren Fall, bei dem ein amtierender oder ehemaliger
       US-Präsident solcher Schwerverbrechen angeklagt wurde. Unser Rechtsstaat
       hat sehr damit zu tun, die Verwerfungen, die sich daraus ergeben,
       abzuarbeiten.
       
       Dies hat weitere juristische Fragen aufgeworfen, die bisher verhindern,
       dass die Prozesse beginnen. In den USA gibt es zumindest in Teilen der
       Bevölkerung Unmut darüber. Das trifft zu auf die Untersuchungen zum 6.
       Januar 2021, zum Prozess über die Geheimdokumente, die in Trumps
       Wochenendsitz gefunden wurden, und zum versuchten Stimmenkauf in Georgia.
       Die Mühlen des Rechtsstaats mahlen langsam.
       
       Es ist allerdings bemerkenswert, dass der Supreme Court mehrmals auf
       Aussagen von Trump eingegangen ist, die sich an den Grenzen zum Absurden
       bewegen. Da der Ex-Präsident Immunität genießt, gerät selbst ein
       funktionierender Rechtsstaat an seine Grenzen.
       
       Was die US-Außenpolitik anbelangt und auch bei der Präsidentschaftswahl zum
       Faktor werden kann, ist der Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober in Israel
       und der Krieg, der danach ausgebrochen ist. In den USA gibt es anhaltende
       propalästinensische Uni-Proteste. 
       
       Beobachter glauben, wenn die Campus-Proteste bis November weitergehen,
       dann können sie zum Problem für Biden werden. In Staaten mit
       Campus-Protesten gibt es zwar große Mehrheiten für die Demokraten, doch je
       knapper der Wahlausgang ist, desto stärker kommt es auf jede einzelne
       Stimme an. Bis November wird noch viel Zeit vergehen; ob die Wut über die
       Außenpolitik dann immer noch anhält, bleibt abzuwarten.
       
       Unter Außenministerin Hillary Clinton haben Sie als Terrorismusexperte
       gedient. Glauben Sie an eine Lösung des Nahostkonflikts und haben Sie eine
       Idee, wie der Hass eingedämmt werden könnte? 
       
       Viele US-Unterhändler haben bekundet, dass [1][ein Vermittler nicht
       friedenswilliger sein kann als die verfeindeten Akteure selbst]. Wenn sie
       um jeden Preis weiterkämpfen, werden Verhandlungen schwierig. Besonders
       schrecklich ist, dass die Hamas die Zivilbevölkerung im Gazastreifen als
       menschliche Schutzschilde missbraucht, in einem Konflikt, den diese nie
       wollte. Dennoch bleibe ich als Amerikaner optimistisch. Wir haben eine
       Erfahrung von mehr als 50 Jahren als Verhandlungspartner für Israel …
       
       Meinen Sie damit auch das Osloer Friedensabkommen? 
       
       Die Ergebnisse des Osloer Abkommens hatten keinen Bestand. Der Konflikt ist
       weiter eskaliert. Es gibt tragfähige Friedensabkommen zwischen Israel und
       Ägypten sowie zwischen Israel und Jordanien. Es gibt die
       Abraham-Übereinkunft von 2020, nach der Israel von Staaten wie den
       Vereinigten Arabischen Emiraten anerkannt wird. Frieden in der Region ist
       möglich.
       
       Problematisch ist die Ausgangslage: Zwei Bevölkerungen erheben Anspruch auf
       das gleiche Territorium. Auch wenn das Karfreitagsabkommen in Nordirland
       nicht perfekt umgesetzt worden ist, zeigt es doch, dass selbst bei einem
       verfahrenen Konflikt tragfähige Lösungen entstehen können.
       
       Diplomatie fällt leichter, wenn Konfliktparteien das Kämpfen eingestellt
       haben. Israel hat bekundet, dass es die Hamas auslöschen möchte. Die
       Ankündigung geschah angesichts von Ereignissen, bei denen an einem Tag mehr
       Juden ermordet wurden als jemals zuvor seit dem Holocaust.
       
       Die Existenz der American Academy in Berlin, deren Präsident Sie sind, ist
       ein Beispiel für das gewachsene bilaterale Verhältnis zwischen den USA und
       Deutschland. 2024 feiert Ihre Organisation ihr 25-jähriges Bestehen. Wie
       beurteilen Sie die Errungenschaften seit 1999? 
       
       Deutschland hat für die USA zentrale Bedeutung in Europa. In diesem
       Zusammenhang sind viele Austauschprogramme entstanden, die Amerikaner nach
       Deutschland gebracht haben. Die USA haben viel investiert, um
       Westdeutschland nach 1945 demokratisch zu machen, und hat sich dagegen
       gestemmt, [2][dass aus Europa wieder rivalisierende Einzelstaaten werden],
       denen die USA im Konfliktfall beistehen müssen.
       
       Das Engagement für Deutschland war in finanzieller, militärischer und
       kultureller Hinsicht immens. Dann fiel 1989 der Eiserne Vorhang, die
       US-Truppen verließen das Land. Zu jener Zeit haben Politiker wie Richard
       Holbrooke und Richard von Weizsäcker sich dafür eingesetzt, eine
       transatlantische Brücke zu bauen, um die Beziehungen aufrechtzuerhalten.
       Holbrookes Idee einer kleinen Akademie am Berliner Wannsee, die die
       US-Truppen ersetzt, war visionär. Die American Academy entsprach den hohen
       Anforderungen, die an sie gestellt wurden.
       
       Ich bin froh über die Förderung von großartiger Wissenschaft und Kultur.
       Unterm Strich sind das doch die größten Errungenschaften der Zivilisation,
       und wir sollten weiter daran arbeiten. Gerade tobt ein [3][Krieg, nur 800
       Kilometer von Berlin entfernt, in der Ukraine]. Darüber und über andere
       Konflikte müssen wir selbstverständlich auch reden. Ein weiteres zentrales
       Thema, das uns alle betrifft, ist die Klimakrise, und auch daran arbeiten
       wir intensiv.
       
       Sie haben von 1990 bis 1994 als Korrespondent in Deutschland gearbeitet.
       Wenn Sie heute auf das Land schauen und auf die Wahlen, die im Herbst
       anstehen, wie beurteilen Sie den Zustand der Demokratie? 
       
       Europa muss sich seit 2015 mit den Auswirkungen der Flüchtlingskrise
       auseinandersetzen. Auch die deutsche Gesellschaft ist deshalb verunsichert.
       Dennoch habe ich große Zuversicht, was seine gewachsene Demokratie angeht.
       Aus der NS-Geschichte ergeben sich besondere Verpflichtungen.
       
       Aber zugleich ist das Demokratieverständnis im Land ausgesprochen groß und
       die Zivilgesellschaft breit aufgestellt. Bei der letzten Bundestagswahl gab
       es eine Auseinandersetzung um Stimmen in der Mitte, nicht an den Rändern
       der Gesellschaft. Das sagt doch sehr viel aus über den Zustand der
       Demokratie. Die Europawahlen waren vielleicht nicht erfreulich, aber nicht
       so aussagekräftig, weil sie eine Einladung für Protestwähler:innen
       sind.
       
       29 Jun 2024
       
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