# taz.de -- Nordmazedonien und Bulgarien: Erpressung vor EU-Beitritt
       
       > Das Aufnahmeverfahren für EU-Mitgliedsanwärter verlangt Einstimmigkeit.
       > Einzelne Staaten können ihre Zustimmung an willkürliche Bedingungen
       > knüpfen.
       
 (IMG) Bild: Der bulgarische Premier Kiril Petkow und der nordmazedonische Premier Boris Grdanoski am 18.01.2022
       
       Ausgerechnet an einem kleinen und vielen in Westeuropa weitgehend
       unbekanntem Land zeigt sich, was in der Europäischen Union ganz
       grundsätzlich schiefläuft. Nordmazedonien mit seinen rund 1,8 Millionen
       Einwohner:innen, eingekeilt zwischen Albanien, Kosovo, Griechenland und
       Bulgarien, möchte Teil der EU werden. Die ersten Schritte in diese Richtung
       hatte das Land schon 2004 getan – nach Slowenien und noch vor Kroatien.
       
       Beide Länder sind längst Mitglieder der EU, während Nordmazedonien von
       einer Hürde zur nächsten stolpert. Die jüngste: das Veto Bulgariens, das
       nun seit 2020 den Start der Beitrittsgespräche blockiert. In dieser Causa
       haben sich der erst seit Montag amtierende Ministerpräsident
       Nordmazedoniens, [1][Dimitar Kovačevski], und sein bulgarischer Kollege,
       Kirill Petkow, am Dienstag [2][in Skopje zu Gesprächen] getroffen.
       
       Petkow ist selbst erst seit wenigen Wochen im Amt und hatte angekündigt,
       die Beziehungen zu Nordmazedonien neu aufzurollen. Zur Enttäuschung Skopjes
       beharrt aber auch er auf vielen der bisherigen Forderungen Bulgariens.
       Demnach soll Nordmazedonien unter anderem einräumen, dass seine Sprache und
       Kultur bulgarische Wurzeln haben und der bulgarischen Minderheit im Land
       einen offiziellen Status verleihen – zwei Themen, die jedoch nichts mit
       EU-Gesetzen zu tun haben.
       
       Ansonsten würde es bei dem Veto bleiben. Für viele in Nordmazedonien
       gleicht das einer Verneinung der eigenen „Identität“ und ist daher ein
       rotes Tuch. Mit solchen Erpressungen kennt sich Nordmazedonien bereits
       bestens aus. Griechenland hatte über Jahre dem Land den ersehnten
       EU-Beitritt aufgrund eines Namensstreits versperrt.
       
       ## Schon einmal klein beigegeben
       
       Kovačevskis Vorgänger, Zoran Zaev, der sich ganz dem angestrebten Beitritt
       verschrieben hatte, ging sogar so weit, 2018 [3][den Namen „Mazedonien“ zu
       ändern], um das Nachbarland mit der gleichnamigen Provinz
       zufriedenzustellen. Der Schritt war umstritten, doch die Hoffnung auf
       Europa wog schwerer. Dann aber stoppte Frankreich den Prozess – auch für
       Albanien, das nur im Zweierpack mit Nordmazedonien seinen Weg in die Union
       finden sollte.
       
       [4][Emmanuel Macrons Plädoyer] lautete: Die EU muss den gesamten Prozess
       reformieren, erst dann könne es Richtung Osten weitergehen. Im März 2020
       sollte es dann endlich losgehen für die beiden Balkanländer – als sich
       überraschend Bulgarien mit einem polternden „Ne!“ zu Wort meldete. Seitdem
       ist Nordmazedonien wiederholt dem politischen Willen eines einzelnen
       EU-Staates ausgeliefert. Dabei sollte die Erweiterung der Union eigentlich
       neutral ablaufen.
       
       Dass aber alle 27 Mitgliedstaaten den Schritten der Beitrittsprozesse
       zustimmen müssen, birgt die Gefahr, dass sie diese Macht politisch für sich
       nutzen – wie es in diesem Fall Bulgarien tut. Denn die Blockade gegen
       Nordmazedonien sollte dem damaligen bulgarischen Ministerpräsidenten Bojko
       Borissow vor allem innenpolitisch nutzen. Mit dem Schritt wollte er seinem
       nationalistischen Koalitionspartner schmeicheln.
       
       Die politische Komponente der Beitrittsverhandlungen wird deutlich, wenn
       man sich die Liste der Länder anschaut, die sich bereits mitten im
       Prozedere befinden: Die Türkei, Serbien und Montenegro sind allesamt
       Staaten mit massiven Defiziten in den Bereichen Menschenrechte,
       Pressefreiheit und Korruption. [5][Nordmazedonien und Albanien] hingegen
       haben viele Reformen unternommen, um der EU näher zu kommen, von der
       Umbenennung des eigenen Landes bis zu juristischen Reformen.
       
       ## Weitreichende Reformen eingeleitet
       
       Natürlich bleibt auch hier viel zu tun. Der Vergleich mit Serbien,
       Montenegro und der Türkei lässt trotzdem Zweifel an der Gerechtigkeit des
       Prozesses aufkommen. Nicht zuletzt schaffen die recht vagen Forderungen
       Bulgariens einen gefährlichen Präzedenzfall überall dort, wo
       Geschichtsschreibung und Identität zur Disposition stehen. Das ist
       insbesondere auf dem Balkan der Fall, wo Streit über gemeinsame Geschichte
       und Sprache an allen Ecken gärt.
       
       Dass etwa Serbien jemals einem EU-Beitritt Kosovos oder Bosnien und
       Herzegowinas zustimmen würde – beides potenzielle Kandidaten –, scheint vor
       diesem Hintergrund unmöglich. Hier muss sich die EU dringend etwas
       einfallen lassen, um solchen Mechanismen vorzugreifen. Die Leidtragenden
       dieser Mauscheleien sind vor allem die jungen Menschen in Nordmazedonien.
       Sie galten lange als besonders Europa-begeistert. Doch fragt man sie heute
       nach der EU, zucken die meisten desinteressiert die Achseln.
       
       Andere werden sogar wütend und werfen ihrer Regierung vor, das eigene Land
       zu verscherbeln, für einen Beitritt, der den Menschen hier ohnehin nicht
       nützen würde. Die junge Generation sucht deshalb eigene Wege in Richtung
       Westeuropa, weg von der Perspektivlosigkeit im eigenen Land. Ganze Dörfer
       und Universitäten in Nordmazedonien sind mittlerweile verwaist. Dass die EU
       zu ihnen kommt, darauf können und wollen sie nicht warten.
       
       Denn dass Bulgarien und Nordmazedonien ihren Konflikt beilegen, das kann
       dauern. Lange herrschte Stillstand, da in Bulgarien im vergangenen Jahr
       eine Neuwahl auf die andere folgte, ohne stabile Regierung in Sicht. Dass
       sich Petkow nun so früh in seiner Amtszeit um die Beziehungen zu
       Nordmazedonien kümmert und nach Skopje gereist ist, ist ein gutes Zeichen –
       auch wenn es bei dem Treffen wie erwartet zu keinem Durchbruch gekommen
       ist.
       
       Immerhin haben die beiden Regierungschefs wöchentliche Arbeitsgruppen zu
       strittigen Themen und eine Luftverbindung zwischen Skopje und Sofia
       beschlossen. Sie reden nun wieder miteinander. Im Grunde wäre es jedoch
       Aufgabe der EU, in dieser verfahrenen Situation zu vermitteln und
       Mechanismen zu entwickeln, dass es gar nicht erst so weit kommt. Dass die
       Zukunft eines Staates vom Willen eines anderen abhängt, darf kein
       Dauerzustand bleiben.
       
       20 Jan 2022
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Gespraeche-Nordmazedonien-und-Bulgarien/!5828561
 (DIR) [2] https://www.tagesschau.de/ausland/europa/petkow-nordmazedonien-101.html
 (DIR) [3] /Mazedonien-billigt-Umbenennung/!5564814
 (DIR) [4] /Macrons-Vorschlaege-zu-EU-Erweiterung/!5638836
 (DIR) [5] https://www.eu-info.de/europa-punkt/politikbereiche/erweiterung/kandidaten/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jana Lapper
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Nordmazedonien
 (DIR) Bulgarien
 (DIR) EU-Mitgliedstaaten
 (DIR) Albanien
 (DIR) GNS
 (DIR) Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
 (DIR) Albanien
 (DIR) Lesestück Recherche und Reportage
 (DIR) Nordmazedonien
 (DIR) Nordmazedonien
 (DIR) Nordmazedonien
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) EU-Kandidatenstatus für die Ukraine: Voreilige Symbolpolitik
       
       Der EU-Kandidatenstatus für die Ukraine mag die ukrainischen Soldaten
       ermutigen. Doch Georgien und den Westbalkan stößt der Schritt vor den Kopf.
       
 (DIR) Neuer Präsident von Albanien: Vom Armeechef zum Staatschef
       
       In Albanien wählen die regierenden Sozialisten Bajram Begaj im Alleingang
       zum Präsidenten. Das vertieft die politischen Gräben.
       
 (DIR) Alltag in Nordmazedonien: Wir müssen hier weg
       
       Vor 20 Jahren schossen in Nordmazedonien albanische Minderheit und
       Mazedonier:innen aufeinander. Wie leben die Menschen dort heute?
       
 (DIR) Ethnische Teilung in Nordmazedonien: Im Klassenzimmer getrennt
       
       20 Jahre nach Ende des bewaffneten Konflikts leben Albaner:innen und
       Mazedonier:innen mehr neben- als miteinander. Das liegt auch am
       Schulsystem.
       
 (DIR) Nordmazedoniens Reform-Regierungschef: Vorerst gescheitert
       
       Zoran Zaev befriedete den Konflikt mit Griechenland und schwenkte auf
       EU-Kurs. Doch er hatte in den Nachbarländern zu viele Gegner.
       
 (DIR) Nach Kommunalwahlen in Nordmazedonien: Regierungschef tritt zurück
       
       Nordmazedoniens Ministerpräsident Zoran Zaev verliert die Mehrheit in der
       Hauptstadt Skopje und anderen Städten. Nun kündigt er seinen Rücktritt an.