# taz.de -- Wende zum seriellen Bauen: Nicht nur preiswert
       
       > Die Deutschen bauen gern verdient, aber massiv. Doch die Ampel will nun
       > die Wende zum seriellen Bauen einleiten – aus guten Gründen.
       
 (IMG) Bild: Modulbauweise: Modell der Bauhaus-Mustersiedlung Dessau-Törten, Reihenhaus Typ Sie Tö I
       
       Der Regierungswechsel in Deutschland wird sich in den nächsten Jahren
       nachhaltig auf die Wohnungslandschaft auswirken – das zeichnet sich jetzt
       bereits ab. Dreißig Jahre nach Aufhebung der Wohnungsgemeinnützigkeit
       setzte sich unter den rot-grün-gelben Koalitionären die Einsicht durch,
       dass sich die sozialen Engpässe auf dem Wohnungsmarkt verschärften und
       endlich eine „dauerhafte Sozialbindung bezahlbaren Wohnraums“ her muss. Das
       im Koalitionsvertrag geforderte Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz kommt
       deswegen einer Kehrtwende gleich.
       
       Zugleich macht der Vertrag einen wichtigen klimapolitischen Schritt in
       Richtung auf ein Emissionseinspargesetz: Endlich werden nicht allein die
       Schadstoffemissionen herangezogen, die bei der Nutzungsphase von Wohnungen
       entstehen, sondern bei der gesamten Bauphase, die beim Abbau von Kalkstein
       zur Zementproduktion beginnt. Architekten sprechen dabei von grauer
       Energie, die nun im „digitalen Gebäuderessourcenpass“ berücksichtigt wird.
       
       Diese Maßnahmen könnten endlich dazu führen, nicht allein mit weniger
       Material zu bauen und so schnell wie möglich auf fossile Energieträger zu
       verzichten, sondern noch grundsätzlicher: die gebaute Welt aus anderen
       Baustoffen zu errichten.
       
       Schließlich berücksichtigt das Koalitionspapier einen dritten Faktor, der
       die sozialen und klimapolitischen Aspekte zusammenführt: Die Förderung
       seriellen Bauens wird die Bauphase abkürzen und die Kosten insgesamt
       senken. Das mag in Kürze ziemlich viel Architektenlatein sein. Aber es
       lohnt die Mühe, sich die Wende hin zum seriellen Bauen einmal genauer
       anzuschauen.
       
       Die Verfasser des baupolitischen Programms haben sicher nicht die
       [1][zweifelhaften Segnungen des DDR-Plattenbaus] vor Augen, obwohl auch die
       kommunistischen Funktionäre daran dachten, mit westlicher Bautechnologie
       den Lebensstandard der Bevölkerung zu steigern. Wenn es im
       Koalitionspapier heißt, es sollen 400.000 zum Teil öffentlich geförderte
       Wohnungen gebaut werden, dann spielt hierbei der Kostenfaktor
       selbstverständlich eine große Rolle.
       
       ## Baubedarf in großen Städten
       
       Das Kölner Institut für deutsche Wirtschaft hat allerdings kürzlich
       errechnet, dass sich der Fehlbedarf vornehmlich auf die größeren Städte
       bezieht, während viele Gemeinden im Saarland oder in Sachsen-Anhalt mehr
       als nötig bauen. Von den 308.000 Wohnungen, die laut Kölner Institut
       bundesweit entstehen sollen, gibt es allein in Berlin einen Bedarf von
       22.200. Ansonsten, so die Immobilienexperten, solle man sich vor weiter
       drohendem Verfall und Leerstand hüten und besser auf Altbausanierung
       setzen.
       
       Als sich die Architekten des Neuen Bauens in der Weimarer Republik für den
       Einsatz moderner Bautechnologien entschieden, verbanden sie damit ein
       Plädoyer für schnelleres und preiswerteres Bauen, das breiten Schichten
       zugutekommen sollte. Dabei dachten sie keineswegs an Qualitätsminderung,
       denn selbst die gleichförmigen, tristen Plattenbausiedlungen, die in den
       1970er Jahren in Berlin-Marzahn errichtet worden waren, galten seinerzeit
       aufgrund ihres gehobenen Standards als äußerst begehrt.
       
       Entscheidend war, dass [2][das legendäre Dessauer Bauhaus,] das gemeinhin
       als international gefeierte Kunstschule galt, seinen Ruf nur erlangen
       konnte, weil die anhaltinische Hauptstadt den Bauhausdirektor Walter
       Gropius darauf verpflichtete, die Wohnungsnot der Gemeinde zu lindern.
       Tatsächlich ließ Gropius daraufhin eine Wohnsiedlung in Dessau-Törten
       errichten – eine Siedlung aus 314 Reihenhäusern mit einer jeweiligen
       Grundfläche von 57 bis 75 Quadratmetern.
       
       ## Industrialisierung des Hausbaus
       
       Die Wahl fiel nicht zufällig auf den Bauhaus-Gründer, denn der hat sich
       schon Jahre zuvor in Fachartikeln und Vorträgen, in denen er sich vehement
       für den „Bau von Montagehäusern“ und die „Industrialisierung des Hausbaus“
       eingesetzt hatte, zum „Ford des Wohnungsbaus“ erkoren.
       
       Die Kommune erwartete von dem Modellversuch Dessau-Törten, dass die
       Industrialisierung des Bauens die wirtschaftliche Not lindern werde.
       Gropius versprach denn auch, dass industrielle Vorfertigung, die
       Verwendung von Betonfertigteilen, vereinfachte Planungs- und
       Errichtungsprozesse die Baukosten deutlich drücken werden.
       
       Tatsächlich war die Dessauer Siedlung nach nur zweijähriger Bauzeit bereits
       fertiggestellt. Ermöglicht wurde sie durch das Reichsheimstättengesetz, das
       in Zeiten der Not breiten Bevölkerungsschichten bezahlbaren Wohnraum zur
       Verfügung stellte. Als Reaktion auf den Wohnungsmangel startete man
       beispielsweise auch in Düsseldorf mehrere Wohnungsbauprogramme, mit denen
       gezielt sozial schwache Familien gefördert wurden. Mit dem Programm „Bauen
       für das Existenzminimum“ ließ die Stadt – zwischen 1926 und 1932 – 17.000
       neue Wohnungen für 60.000 Menschen errichten.
       
       ## Die zweckmäßige Kleinwohnung
       
       Allerdings gab es in der Pioniersiedlung Dessau-Törten offensichtlich nicht
       erwartete Anfangsprobleme, die dazu führten, dass die Fertigungskosten
       deutlich zunahmen. Eine Dessauer Lokalzeitung berichtete genüsslich vom
       Unmut der Bewohner und sah bereits „die erste große Niederlage des
       Bauhauses und seines Leiters“. Aber Gropius ließ sich von der „Niederlage“
       keineswegs davon abhalten, im folgenden Jahr die Mustersiedlung
       Karlsruhe-Dammerstock zu errichten, die im Sommer 1929 im Rahmen der Bau-
       und Wohnungsausstellung „Die Gebrauchtwohnung“ der Öffentlichkeit gezeigt
       wurde.
       
       Das von drei gemeinnützigen Baugesellschaften getragene Siedlungsprojekt,
       das ursprünglich 750 Wohneinheiten vorsah, verdeutlichte der Bevölkerung,
       wie moderner Wohnungsbau durch standardisierte Bauelemente – etwa für
       Badezimmer und Kleinstküchen – nicht nur preiswert, sondern auch hygienisch
       und funktionsfähig sein kann. Ausgangspunkt war die zweckmäßige, allen
       Ansprüchen genügende Kleinwohnung.
       
       1929 war das Jahr der wohnungspolitischen Offensive des Bauhauses. Als im
       Oktober die 228 Wohnungen (mit 23 unterschiedlichen Wohnungstypen) des
       ersten Bauabschnitts übergeben worden waren, eröffnete im Frankfurter
       Palmengarten der 2. CIAM-Kongress für Neues Bauen (Congrès International
       d’Architecture Moderne). Eine Ausstellung im Werkbund-Haus
       versinnbildlichte die CIAM-Losung „Haus für das Existenzminimum“ mit
       Entwürfen für Kleinstwohnungen.
       
       ## Die internationale Avantgarde
       
       Der Kongress verdeutlichte, dass die Bauhaus-Ideen zum Wohnungsbau seit der
       zweiten Hälfte der zwanziger Jahre im Austausch mit der internationalen
       Avantgarde entstanden. Das zeigte sich bereits zuvor, als Ludwig Mies van
       der Rohe anlässlich der Werkbund-Ausstellung „Die Wohnung“ die
       internationale Avantgarde nach Stuttgart-Weißenhof einlud. Gekommen waren
       der Westschweizer Le Corbusier, der Niederländer Jacobus Johannes Pieter
       Oud, der Belgier Victor Bourgeois und der Österreicher Josef Frank. Doch
       ausgerechnet Gropius’ junger Kollege Konrad Wachsmann erregte 1929
       Aufsehen, als er für Albert Einstein ein wegweisendes, industriell
       vorgefertigtes Sommerhaus aus Holz in Caputh errichtete, unmittelbar am
       Templiner See.
       
       Das Holzgerippe des Hauses wurde in den Industriehallen eines
       Holzbauunternehmens in der Oberlausitz errichtet, dann wieder zerlegt und
       an die Baustelle verschickt. Für Rohbau und Fassadenverkleidung benötigten
       die Arbeiter lediglich zwei Wochen, zwei weitere für den Innenausbau. Wenig
       später konnten Elsa und Albert Einstein bereits in das geliebte „Paradies“
       (Albert Einstein) einziehen.
       
       Jahre später, nachdem Wachsmann mit Einsteins Hilfe in die Vereinigten
       Staaten emigrierte, entwickelte er zusammen mit Gropius das „packaged house
       system“, ein Fertighaussystem in Holzbauweise, das in weniger als neun
       Stunden von fünf ungelernten Arbeitern aufgestellt werden konnte. Die
       vorfabrizierten Fertigbauelemente konnten sogar zum Bau von beliebigen Ein-
       und Zweifamilienhäusern verwendet werden.
       
       ## Alternative zum Massivbau
       
       Obwohl das Modulsystem bei den Amerikanern nicht ankam, machte es Wachsmann
       international bekannt. Ihm ist es zu verdanken, dass serielles Bauen nicht
       nur preiswert und schnell, sondern auch nachhaltig ist. Richtig eingesetzt,
       ist die Methode eine sinnvolle Alternative zum Massivhaus, dem die
       Deutschen bis heute in Nibelungentreue verbunden sind.
       
       Und was lässt sich heute vom seriellen Bauen erwarten? Die Berliner
       Architekten Sauerbruch & Hutton halten Wachsmanns Erbe lebendig und
       beweisen, welches Potenzial in ihm steckt. 2017 errichteten sie in
       Hamburg-Wilhelmsburg das Studentenwohnheim „Woodie“. 371 Wohneinheiten
       wurden in Wachsmanns Manier in Holz-Modulbauweise in nur neun Monaten
       fertiggestellt.
       
       Wer beim Anblick des Hauses an stapelbare Massivholz-Container denkt, liegt
       nicht ganz falsch. Natürlich ist die rationale Fassadenstruktur nicht
       sonderlich anheimelnd. Und dennoch: Das aus Lärche errichtete Wohnheim
       erreicht fast die gleiche Wärme wie Einsteins Paradies aus Kiefernholz.
       
       25 Jan 2022
       
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